Alles eine Frage der Digitalisierung
Tobias Koch von Prognos spricht über „Die Zukunft des Medtech-Clusters“
- Einen Blick in die Zukunft der Medizintechnik im Landkreis Tuttlingen hat am Dienstagabend Tobias Koch, Leiter des Stuttgarter Büros des schweizerischen Wirtschaftsforschungs- und Beratungsunternehmens Prognos, gegeben. Der in Tuttlingen aufgewachsene Referent war zu Gast bei den „Medtech Shakers“im Werk 39 des Tuttlinger Medizintechnik-Unternehmens Aesculap.
Sören Lauinger, Leiter des Werks 39, berichtete, dass der Bruder von Tobias Koch, Jan Koch, im Werk 39 arbeiten würde. Er selbst habe den Referenten, der zwar in Hamburg geboren wurde, aber im Alter von einem Jahr nach Tuttlingen gekommen war, bei den Arbeiten zum Film „Auf Messers Schneide“über die Tuttlinger Medizintechnik kennengelernt. „Wir legen Wert darauf, dass wir die Referenten aus dem Landkreis Tuttlingen rekrutieren“, sagte Lauinger.
Und mit Tobias Koch hatte er keinen schlechten Griff gemacht. Der Prognos-Mitarbeiter wollte mit seinem Vortrag für die zukünftigen Risiken der Medizintechnik sensibilisieren. Auch wenn der Kreis im Prognos-Zukunftsatlas aus dem Jahr 2016 auf Rang 64 von 402 Landkreisen und kreisfreien Städten in Deutschland gelandet sei (wir berichteten), so habe er Nachholbedarf bei der Digitalisierung (siehe Kasten).
Das Medizintechnik-Cluster Tuttlingen mit seinen rund 400 Unternehmen sei „ausgesprochen dynamisch“und verfüge über eine besondere Qualität. In den vergangenen Jahren sei die Anzahl der Beschäftigten aufgebaut worden: „Hier entwickelt sich nach wie vor die Industrie, woanders ist es die Dienstleistung.“Fast 20 Prozent aller rund 62 000 Arbeitsplätze im Kreis seien in der Medizintechnik zu finden. Jeder zehnte Job in der deutschen Medizintechnik mit seinen rund 120 000 Beschäftigten sei im Kreis Tuttlingen verankert. Ein vergleichbares MedizintechnikCluster sei „vielleicht eine Handvoll Mal“auf der Welt zu finden.
Hochschullandschaft ausbaufähig
Das Cluster sei eine Stärke, wenn es wirtschaftlich gut laufe, zeige aber bei einem Abschwung auch seine Schwächen. Wichtig sei eine wissenschaftliche Vernetzung der Unternehmen – und dabei sei die Region mit ihren sechs Hochschulen und nur einer unabhängigen Forschungseinrichtung, die Hahn-SchickardGesellschaft für angewandte Forschung in Villingen-Schwenningen, nicht unbedingt gut aufgestellt. Hierdurch gibt es einen „schleichenden Verlust“bei den 18- bis 30-Jährigen.
Aufgrund der Digitalisierung müssten sich die Unternehmen fragen, wie lange ihr Geschäftsmodell noch klappen wird. Zentrale Megatrends und Einflussfaktoren seien die Automatisierung, die Digitalisierung, die Urbanisierung, neue Mobilitätskonzepte, die Stadt von Morgen, der Wandel der Arbeitswelt, die Individualisierung, disruptive Innovationen (Innovationen, die einen neuen Markt schaffen und bestehende Produkte verdrängen) und hybride Wertschöpfung (Bündelung von Industriewaren und Dienstleistungen). „Diese Veränderungen müssen die Unternehmen in den Blick nehmen“, sagte Koch. Die Veränderungen hin zu einer Gesellschaft 5.0 würden neue Fragen hervorbringen, etwa digitale Lösungen als Alltagshelfer. So könnten Pflegeroboter zum Einsatz kommen, die auch einen schleichenden Druck auf die OP-Säle ausüben könnten. Gesamtheitliche Gesundheitslösungen würden auch weniger OP-Einsätze hervorbringen.
IT-Player drücken in den Markt
Die Unternehmen müssten sich darauf einstellen, dass auch Player aus der IT-Branche, die viel Geld in die Forschung und Entwicklung stecken, in den Medizintechnik-Markt drücken: „Es gilt, sich darauf vorzubereiten“– und das bei einem Rückstand Deutschlands in der Digitalisierung im Vergleich mit anderen Ländern. Der Tuttlinger MedizintechnikCluster verfüge zudem über keine Kernkompetenz bei bildgebenden Verfahren, neuen und intelligenten Verfahren und bei der Sensorik. Dabei würden die einfachen und standardisierten Produkte aufgrund der veränderten Kundenanforderungen an Bedeutung verlieren. Daher müssten sich die Unternehmen vermehrt um Kooperationen kümmern, sei es innerhalb der Branche oder im Verbund mit IT-Unternehmen.