Archäologin entdeckt in Lindau mittelalterliche Skelette
Bei Kanalarbeiten am Oberen Schrannenplatz tauchen jahrhundertealte Knochen, Schädel und Sarkophage auf
- Archäologin Elisabeth Faulstich-Schilling spricht von einer Sensation: Bei Kanalarbeiten am Oberen Schrannenplatz, direkt neben der ältesten Kirche der Lindauer Insel, haben Bauarbeiter einen alten Friedhof ausgebaggert. Nur einige Zentimeter unter der Erde liegen Sarkophage und einige Skelette, die ersten Einschätzungen zufolge zwischen 600 und 700 Jahre alt sind. Besonders eines von ihnen stellt die Expertin vor ein Rätsel.
Denn dieses Skelett liegt nicht in der richtigen Position. „Früher hat man den Kopf der Toten im Westen platziert, seine Füße im Osten“, erklärt Faulstich-Schilling. „So haben sie der aufgehenden Sonne entgegen geblickt.“Doch das Skelett liegt schräg zu den restlichen Särgen. Es wirkt beinahe eingequetscht. „Und der Tote wurde ohne Sarg begraben“, sagt die Archäologin. Sie möchte nun herausfinden, was der Grund für das ungewöhnliche Begräbnis des Menschen ist, der vor so langer Zeit in Lindau gestorben ist.
Entdeckt hat Elisabeth FaulstichSchilling den Friedhof bereits am Montagnachmittag. Das bayerische Landesamt für Denkmalschutz hatte die Archäologin den Bauarbeitern zur Seite gestellt, die am Oberen Schrannenplatz einen neuen Kanal verlegen sollten. Denn es war bereits bekannt, dass sich dort archäologische Schätze befinden könnten. „1902 hat man bei einem Hausbau schon einmal Skelette gefunden“, erzählt die Archäologin.
Für die Bauarbeiter allein wäre es unmöglich gewesen, Holz- und Knochenteile vom Bagger aus zu sehen. „Sie sind nicht sehr gut zu erkennen.“Denn die Farbe der alten Sarkophage ähnelt der der schlammigen Erde unter dem Schrannenplatz. Und auch Schädel und Knochen sind nicht mehr weiß, sondern eher erdfarben. Also hat die Archäologin die Baggerschaufel in den vergangenen Tagen ganz genau beobachtet – und laut „Stopp“gerufen, wenn sie etwas entdeckt hat.
Dafür sind viel Erfahrung und gute Augen nötig. Denn gefunden hat die Archäologin als allererstes ein klitzekleines Stück einer Schädeldecke, das, selbst jetzt, wo es offen gelegt in der Grube liegt, nur schwer zu erkennen ist.
Neben dem schief liegenden Skelett, in dessen Kiefer sogar noch ein Großteil der Zähne steckt, hat Faulstich-Schilling drei übereinander gestapelte Särge gefunden, zwischen ihnen liegen Oberschenkelknochen, Schienbeine und Hüften von weiteren Toten, die teilweise mit, teilweise ohne Sarg begraben wurden. Insgesamt hat die Archäologin auf einem kleinen Stück von 1,50 auf zwei Meter fünf Bestattungen gezählt. Daraufhin hat sie die Bauarbeiter eine weitere Grube baggern lassen. „Suchschnitt“nennt sich dies, eine Art Stichprobe. Tatsächlich tauchten weitere Särge und Knochen auf. Hinweise auf einen mittelalterlichen Friedhof direkt neben der fast tausend Jahre alten Peterskirche.
Außergewöhnlich gut konserviert
Ein Teil des Rätsels um diesen Friedhof wird vermutlich am Mittwoch gelöst. Dann kommt eine Anthropologin aus Konstanz, um FaulstichSchilling zu unterstützen. „Wir holen das Skelett gemeinsam raus und untersuchen, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt“, erklärt sie. Das genaue Alter des Skeletts und welche Krankheiten der Mensch hatte, wollen die beiden Frauen ebenfalls herausfinden. „Auch zur Ernährung kann man viel feststellen.“Die starke Abnutzung der Zähne zum Beispiel komme daher, dass vor 600 bis 700 Jahren beim Mahlen noch viel Sand ins Mehl gekommen sei. Proben vom Holz der Sarkophage sollen Aufschluss darüber geben, woraus diese genau bestehen. „Es ist vermutlich ein Nadelholz“, lautet eine erste Diagnose der Archäologin.
Dass Skelette und Sarkophage unter dem Schrannenplatz, auf dem normalerweise die Autos der Inselbewohner parken, auch nach vielen Jahrhunderten so gut erhalten geblieben sind, sei etwas Besonderes. „Das ist dem Boden geschuldet. Er ist sehr wasserhaltig, dadurch war nicht so viel Sauerstoff drin“, erklärt Faulstich-Schilling. Wenn Knochen und Holz untersucht sind, wird der Friedhof wahrscheinlich mit einem Geotextil konserviert. „Darauf kommt dann eine Lage Sand und dann wird das Ganze wieder verfüllt.“
Die Stadt Lindau hat indes in Sachen Kanalarbeiten umgeplant. Eigentlich sollten die Rohre unter dem Schrannenplatz komplett ausgewechselt werden, wie Patricia Herpich von der Pressestelle der Stadt auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“erklärt. Weil die neue Schneise aber durch den alten Friedhof führen würde, werden die alten Rohre jetzt lediglich saniert. Damit einer von Lindaus bedeutendsten archäologischen Schätzen erhalten bleibt.