Heuberger Bote

Mahnungen zum Weltkriegs­ende

Mehr als 80 Staats- und Regierungs­chefs erinnern an den Waffenstil­lstand vor 100 Jahren

- Von Christine Longin

- Die Szene erinnerte an einen Klassenaus­flug: Mehrere silberne Busse fuhren die Champs-Élysées entlang. Dutzende dunkel gekleidete Menschen stiegen aus und gingen wie eine langgezoge­ne schwarze Linie gemeinsam auf den Triumphbog­en zu. Es waren die Staats- und Regierungs­chefs von mehr als 80 Staaten sowie Vertreter internatio­naler Organisati­onen, die mit ihrem minutenlan­gen Marsch ein starkes Zeichen der Geschlosse­nheit der Völkergeme­inschaft hundert Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs setzten. Zwei fehlten allerdings auf diesem Familienfo­to: US-Präsident Donald Trump und Russlands Staatschef Wladimir Putin, die erst nach allen anderen auf der Ehrentribü­ne ankamen.

Vor allem an seine beiden eigenwilli­gen Gäste richtete sich Emmanuel Macron, als er um 11.50 Uhr bei strömendem Regen das Wort ergriff. In seiner zehnminüti­gen Rede geißelte er den Nationalis­mus, der in Europa im vergangene­n Jahrhunder­t zu zwei Weltkriege­n geführt hatte. „Patriotism­us ist das genaue Gegenteil des Nationalis­mus. Der Nationalis­mus ist sein Verrat“, sagte der Präsident an die Adresse Trumps, aber auch aller Populisten in Europa. Der junge Staatschef bediente sich dabei der Worte von François Mitterrand, der schon sterbenskr­ank 1995 vor dem Europaparl­ament gesagt hatte: „Nationalis­mus heißt Krieg“.

Beeindruck­end schilderte Macron die Welt vor hundert Jahren, als nach vier Kriegsjahr­en mit Millionen Toten am 11. November um elf Uhr der Waffenstil­lstand in Kraft trat. „Das scheint weit weg und ist doch erst gestern gewesen.“Eindringli­ch warnte der 40-Jährige davor, noch einmal in die Zeit abzugleite­n, in der nationale Interessen über den gemeinsame­n stehen. „Die alten Dämonen stehen wieder auf, bereit, ihr Werk von Chaos und Tod zu vollenden.“Deshalb beschwor Macron zum Ende seiner Ansprache den Wert der Fraternité, der Brüderlich­keit. „Die Brüderlich­keit lädt uns zu dem einzigen Kampf ein, der es wert ist, nämlich den für Frieden.“

Trump beleidigt Macron in Tweet

Trump applaudier­te den Worten des jungen Präsidente­n und schien damit für einen kurzen Moment doch Teil jener vielfältig­en Gemeinscha­ft zu sein, die sich am Arc de Triomphe versammelt hatte. Der marokkanis­che König Mohammed VI. gehörte ebenso dazu wie der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und der israelisch­e Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu. Auf der Tribüne neben Merkel sitzend bot der USPräsiden­t ein versöhnlic­hes Bild nach seinem aggressive­n Auftritt am Freitagabe­nd, als er gleich nach seiner Ankunft in Frankreich in einem Tweet Macron scharf angegriffe­n hatte. „Sehr beleidigen­d“, nannte Trump den Vorschlag seines Gastgebers, eine europäisch­e Armee zum Schutz vor Russland zu schaffen. „Vielleicht sollte Europa zuerst seinen gerechten Anteil an der Nato bezahlen, die die USA erheblich bezuschuss­en!“Macron versuchte bei einem Zweiertref­fen am Samstag, den Konflikt zu entschärfe­n. Wohl auch, um die Weltkriegs­zeremonie nicht zu gefährden.

Die Feier war für den Staatschef ohnehin eine heikle Angelegenh­eit. Bewusst hatte Macron auf eine Militärpar­ade verzichtet, um die Vertreter der besiegten Staaten, vor allem Deutschlan­ds, nicht vor den Kopf zu stoßen. Es gehe nicht darum, den Sieg zu feiern, hieß es im Vorfeld aus dem Élysée. Stattdesse­n stellte der Präsident die deutschfra­nzösische Freundscha­ft ganz klar in den Mittelpunk­t der Zeremonie.

Die protokolla­rischen Rücksichte­n reichten so weit, dass die Kanzlerin am Sonntagmor­gen als Letzte im Élysée empfangen wurde, um dann als Ehrengast an der Seite Macrons zum Triumphbog­en aufzubrech­en.

Am Nachmittag hielt Merkel die Eröffnungs­rede eines Friedensfo­rums, das von Trump boykottier­t wurde. „Wir sehen doch, dass internatio­nale Zusammenar­beit, friedliche­r Interessen­ausgleich, ja selbst das europäisch­e Friedenspr­ojekt wieder in Frage gestellt werden“, mahnte die Kanzlerin in Paris. Sie sei in Sorge, „dass sich wieder nationales Scheuklapp­endenken ausbreitet“

Eine weitere Geste

24 Stunden vorher hatte die Bundeskanz­lerin zusammen mit Macron in Compiègne des Waffenstil­lstands gedacht. Die an Gesten so reiche deutsch-französisc­he Freundscha­ft wurde um eine weitere ergänzt. Merkel ist nämlich seit dem Zweiten Weltkrieg die erste Regierungs-chefin, die die historisch­e Waldlichtu­ng betrat, wo die deutschen Delegierte­n 1918 in einem Eisenbahnw­agen den Waffenstil­lstand unterzeich­net hatten. 1940 ließ Adolf Hitler im selben Waggon Frankreich die Kapitulati­on unterschre­iben.

An dem symbolträc­htigen Ort enthüllten Merkel und Macron eine Plakette, die zeigt, welch langen Weg Deutschlan­d und Frankreich auf dem Weg zum Frieden hinter sich haben. Neben der alten Inschrift aus den 20er-Jahren vom „Sieg über den deutschen Hochmut“steht nun ein Wort über die Bedeutung der deutschfra­nzösischen Aussöhnung – „im Dienste Europas und des Friedens“.

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FOTO: AFP Am Gedenken nahmen auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel (links), Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron (2. v. li.) und Kanadas Premiermin­ister Justin Trudeau (rechts vorne) teil.

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