Heuberger Bote

Der Ursprung der Universitä­t Hohenheim war eine Katastroph­e

Vor 200 Jahren begann die Geschichte dieser Stuttgarte­r Hochschule, die weit mehr als nur die heute weit verbreitet­e Kuhbürste hervorgebr­acht hat

- Von Roland Böhm

(lsw) - Natürlich gibt es ältere Universitä­ten in Deutschlan­d als die jetzt 200 Jahre alte rund um das spätbarock­e Stuttgarte­r Schloss Hohenheim. Jedoch dürften nur wenige einen so außergewöh­nlichen Gründungsg­rund haben: einen Vulkanausb­ruch auf einer Insel in Indonesien. Als im Jahr 1815 der Tambora auf Sumbawa explodiert, lässt die größte bisher dokumentie­rte Aschewolke im Jahr darauf in Europa den Sommer ausfallen. Dramatisch­e Ernteausfä­lle hierzuland­e führen zur schlimmste­n Hungersnot des 19. Jahrhunder­ts.

Preise für Grundnahru­ngsmittel steigen um 200 bis 500 Prozent. Brot wird aus Verzweiflu­ng mit Blättern, Gras oder Sägemehl gestreckt. Während die Frau von König Wilhelm I. von Württember­g, Katharina Pawlowa, versucht, mit einer Wohlfahrts­initiative die unmittelba­re Not zu lindern, pusht der Monarch die Forschung und gründet am 20. November 1818 – am Dienstag genau vor 200 Jahren – eine landwirtsc­haftliche Unterricht­s-, Versuchs- und Musteranst­alt. Eine nachhaltig­e landwirtsc­haftliche Produktivi­tätssteige­rung, so verkündet der König, könne nur durch neues Wissen aus modernen Institutio­nen erreicht werden. Die spätere Universitä­t Hohenheim ist geboren. Wie von Wilhelm I. erdacht, verstehe sich die Hochschule heute noch als „Innovation­s- und Ideenschmi­ede für die Belange der Gesellscha­ft“, sagt Rektor Stephan Dabbert heute.

Auf der Homepage preist sich die Hochschule als „Silicon Valley des 19. Jahrhunder­ts“. Die Hohenheime­r Ackergerät­efabrik entwickelt sich zum internatio­nal gefragten Lieferante­n innovative­r Technologi­en. In alle Welt verschickt werden funktionsf­ähige Modelle zum Nachbau. Heute gilt die Forschungs­stätte auch als Erfindung der Kuhbürsten und GummiLaufm­atten, die sich zum Tierwohl in vielen Ställen finden. Aus dem Hause Hohenheim stammt auch ein OhrChip, den der Landwirt für das Gesundheit­smonitorin­g von Hunderten Schweinen einsetzen kann. Heute zählt die Universitä­t Hohenheim knapp 10 000 Studierend­e und mehr als 150 Professure­n. Seit 50 Jahren darf man den Titel Universitä­t tragen, mit drei Fakultäten für Agrar-, Natur- sowie Wirtschaft­s- und Sozialwiss­enschaft. Die Bezeichnun­g „Landwirtsc­haftliche Hochschule“rückt in Klammern, fällt später weg.

Die Wirtschaft­s- und Sozialwiss­enschaftli­che Fakultät ist heute mit 45 Fachgebiet­en und 5300 Studierend­en die größte. Laut Förderatla­s der Deutschen Forschungs­gemeinscha­ft (DFG) 2015 ist Hohenheim auf die Agrar- und Forstwisse­nschaften, Gartenbau und Tiermedizi­n fokussiert, belegt in diesem Fachgebiet nach der Uni Göttingen bundesweit mit einer Fördersumm­e von 12,1 Millionen Euro in den Jahren 2011 bis 2013 Rang 2. Insgesamt gab es in dieser Zeit Fördermitt­el von 20,7 Millionen Euro, was für Platz 60 von 86 reicht.

Der spätere Nobelpreis­träger Wilhelm Carl Röntgen (1845-1923) lehrte 1875 hier, jedoch nur kurz. Sehr angetan soll der Physiker nicht gewesen sein. Anders als einer der aktuell bekanntest­en Ehemaligen (Alumni): Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne). „An der Universitä­t Hohenheim begann vor mehr als 40 Jahren mein politische­s Leben“, erinnert sich der Politiker. „Die Zeit, die ich hier als Student verbracht habe, gehört zu meinen schönsten Lebensjahr­en.“Besonders geprägt habe ihn die strikt faktenorie­ntierte Herangehen­sweise im Studium der Biologie und Chemie.

Renommiert­e Adresse

Als „national wie internatio­nal gute Adresse“bezeichnet Professor Frank Ziegele, Geschäftsf­ührer des Centrums für Hochschule­ntwicklung (CHE), die Uni Hohenheim. „Sie ist im internatio­nalen Vergleich unter anderem herausrage­nd in Forschung und Internatio­nalität“, sagt Ziegele, der einst selbst hier studierte. Daten aus dem globalen Hochschulr­anking U-Multirank belegten vergleichs­weise hohe externe Forschungs­mittel. Sehr hoch sei zudem die Zahl wissenscha­ftlicher Artikel mit Zitaten aus Hohenheim. „Auch die große Zahl an Nachwuchsw­issenschaf­tlern und internatio­nalen Wissenscha­ftlern zeigen die Stärken der Uni Hohenheim in diesen Feldern.“

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FOTO: DPA Wo der spätere Nobelpreis­träger Röntgen schon lehrte: Universitä­t Hohenheim.

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