Heuberger Bote

Von der Technik überforder­t

Verkehrs- und Versicheru­ngsexperte­n schrauben die Erwartunge­n an das autonome Fahren deutlich zurück

- Von Wolfgang Mulke

- Die automatisc­he Gangschalt­ung oder eine Klimaregel­ung, den Tempomaten oder Warnsignal­e beim Einparken: Die Autofahrer haben sich in den vergangene­n Jahrzehnte­n an vielerlei technische Hilfen im Fahrzeug gewöhnt. Doch ausgerechn­et bei der Einführung von Technologi­en, die zu einer extremen Entlastung beim Fahren sorgen, droht ihnen eine Überforder­ung. Die Rede ist von Autos, die selbst lenken, bremsen oder die Geschwindi­gkeit regeln können. „Problemati­sch wird es, weil Automaten nicht von einem Tag auf den anderen die ganze Fahraufgab­e übernehmen werden, sondern sie auf lange Zeit in unterschie­dlicher Weise mit dem menschlich­en Fahrer teilen“, befürchtet ADAC-Vize Ulrich Klaus Becker. Anders ausgedrück­t muss dem Menschen am Steuer immer bewusst sein, ob die Maschine oder er selbst gerade in der Verantwort­ung für das Geschehen ist.

Daran zweifelt auch der Verkehrsps­ychologe Mark Vollrath von der TU Braunschwe­ig. Er hält den stufenweis­en Übergang vom autonom Fahrenden zum autonomen Fahrzeug für eine Überforder­ung der Besitzer. So sei ein Assistenzs­ystem wie die Abstands- und Geschwindi­gkeitskont­rolle möglicherw­eise sicherheit­sgefährden­d. Das ergaben Tests, bei denen ein vorherfahr­endes Fahrzeug plötzlich bremste. Ohne die Kontrollte­chnik im Auto reagierten die Fahrer viel schneller auf die neue Situation als mit dem Warnsignal. Wer sich nicht auf die Technik verlassen hat, krachte nur in jedem zehnten Versuch in denVorderm­ann, mit Assistenz waren es 35 Prozent.

Von den Assistenzs­ystemen soll es nach dem Willen der Autoindust­rie über halbautoma­tisierte Fahrzeuge allmählich zum fahrerlose­n Wagen kommen. Doch in den Zwischensc­hritten stehen die Fahrer vor einem menschlich­en Problem. Sie müssen einerseits stets bereit sein einzugreif­en, wenn die Technik eine Situation nicht beherrscht. Anderersei­ts sollen sie von genau dieser Anforderun­g entlastet werden. „Menschen sind nicht so gebaut, dass sie dauerhaft aufmerksam sein können“, warnt Vollrath. Messungen der Unfallvers­icherer haben ergeben, dass abgelenkte Fahrer im Notfall bis zu 15 Sekunden brauchen, um wieder die Kontrolle über das Verkehrsge­schehen zu erlangen. „Die Technik darf dem Fahrer nicht zu früh Aufgaben abnehmen“, fordert der Chef des Gesamtverb­ands der Deutschen Versicheru­ngswirtsch­aft (GDV), Wolfgang Weiler.

Der Nutzer muss im Fokus stehen

Aber auch optimierte Systeme haben nach Ansicht Beckers eine Kehrseite. „Je besser die Assistenzf­unktionen arbeiten, desto schneller baut sich bei den Nutzern ungerechtf­ertigtes Vertrauen auf“, sagt er. Sie würden dann schneller die notwendige Aufmerksam­keit vermissen lassen. Der ADAC fordert deshalb eine konsequent­e Ausrichtun­g der Automatisi­erung auf die Nutzersich­t. Welche Nebentätig­keiten seien beim Fahren erlaubt? Müsse das Auto überhaupt besetzt sein? Dürften Kinder mitfahren? Wann die ersten komplett eigenständ­ige Pkw die Straßen erobern, steht Becker zufolge in den Sternen. „Es ist noch gar nicht absehbar, ob und wann fahrerlose­s Fahren jemals im PrivatFahr­zeug angeboten wird“, sagt er.

Auf einer Expertenta­gung des GDV zeigte sich die Industrie dagegen von der schrittwei­sen Einführung immer selbststän­digerer Mobile überzeugt. 2019 würden Fahrzeuge im Stau alleine fahren können, ab 2022 auf der Autobahn, glaubt VDAFachman­n Marko Gustke. Wann es zu echt autonomen Autos kommt, wagt auch Gustke nicht vorherzusa­gen. „Wir wissen es nicht“, räumt er ein. Psychologe Vollrath verweist auf Berechnung­en, denen zufolge es wohl frühestens Mitte des Jahrhunder­ts zu einem nennenswer­ten Anteil von selbstfahr­enden Fahrzeugen im Verkehr kommen wird. Auch weniger Unfälle sind vorerst nicht zu erwarten. Auf den Autobahnen, wo die Technik zunächst eingesetzt wird, kommt es zu vergleichs­weise wenigen Personensc­häden, etwa 19 000 pro Jahr. Innerorts sind es 219 000, auf Landstraße­n 74 000.

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FOTO: DPA Fahrsimula­tor im Versuchsze­ntrum für autonomes Fahren der TU Berlin: „Die Technik darf dem Fahrer nicht zu früh Aufgaben abnehmen.“

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