Heuberger Bote

Stiller Kampf der Genies wird zum Epos

Schon jetzt ist die Schach-WM zwischen Carlsen und Caruana historisch

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(dpa) - Im Spielzimme­r der Geistesrie­sen herrschen exakt 22,0 Grad Celsius. Immer. Hier steigt nur die Spannung. Eine Doppelglas-Panoramasc­heibe trennt die Protagonis­ten vom Auditorium der Neugierige­n. Doch ein abgeschlos­senes Biotop ist der Raum nicht, in dem sich Magnus Carlsen und Fabiano Caruana über ein Brett mit 64 Feldern und 32 Figuren beugen. Rund 20 handverles­ene Journalist­en haben Zutritt zum Allerheili­gsten, aber immer nur für fünf Minuten – klick-klick-klick, Blitze zucken. Dann müssen auch die Fotografen raus.

Im angesagten „The College“, einem viktoriani­schen Prachtbau in Holborn, mitten in London, beginnt dann keine Lektion, sondern ein stiller Kampf: Die beiden besten Schachspie­ler der Welt ermitteln den Weltmeiste­r anno 2018. Und sie machen es spannend.

Das achte Remis im achten Match am Montag fühlte sich für Carlsen wie ein kleiner Sieg an – denn der Serienwelt­meister (seit 2013 ununterbro­chen) aus Norwegen hätte fast verloren. Die Rettung in höchster Not kam als falscher Bauernzug Caruanas daher, der die weißen Figuren führte – die Fans und Sekundante­n des Amerikaner­s mit italienisc­hen Wurzeln und zwei Pässen stöhnten.

Druck allein reicht nicht

„Das war ein enges Match. Er hatte alle Chancen. Deshalb bin ich wirklich froh, dass ich überlebt habe“, meinte Carlsen. Und Caruana vergab eine weitere Chance, bei seiner ersten WM in Führung zu gehen. „Dass du Magnus etwas unter Druck setzt, heißt noch lange nicht, dass er zusammenbr­icht“, sagte der Herausford­erer, der letztlich für die Einstellun­g eines 23 Jahre alten WM-Rekords sorgte: Schon 1995 trennten sich der Russe Garri Kasparow und der Inder Viswanatha­n Anand in den ersten acht Partien durchweg remis.

Wenn Carlsen am Ende doch wieder gewinnt, dann ist der alte auch der neue Champion. Im winterspor­tverrückte­n Norwegen ist der junge Mann sowieso schon ein Volksheld. Die Fans verehren den 27-Jährigen wie einen Skisprung-Olympiasie­ger oder einen Mega-Popstar. Doch der Titelverte­idiger ist gewarnt: Der ein Jahr jüngere Caruana wird als gleichstar­k eingeschät­zt. Nur drei EloPunkte, der Gradmesser der Geistesgrö­ßen, trennen beide in der Weltrangli­ste.

Lange Schlangen vor dem College

Schon beim Einlass, eine Stunde vor dem ersten Zug um Punkt 15 Uhr Ortszeit, bilden sich lange Schlangen an der Southampto­n Row vor dem College. Wenn’s regnet in London, dann sind die Fans bedröppelt. Bei besonders großem Andrang wird der Zugang zum Auditorium beschränkt: Die Zuschauer bekommen dann 30Minuten-Zeitkarten, sogenannte Timeslots.

Die ersten fünf Minuten sind für C&C die anstrengen­dsten, denn dann müssen sie das Klacken der Kameras und das verkrampft­e Leisesein der Reporter ertragen. Danach dürfen nur vier Personen im Spielsaal bleiben: Titelverte­idiger Carlsen, Herausford­erer Caruana und die beiden Schiedsric­hter. Handys sind verboten. Es gibt einen Ruheraum für die Duellanten, mit Sesseln, Snacks und Getränken.

Wer nicht stundenlan­g im Auditorium wie in einem großen Kinosaal sitzen will, der kann die Partien auf großen Flatscreen­s verfolgen – auf allen Ebenen der Event-Location, wie man auch das Berliner Kühlhaus im besten Neudeutsch nennen würde. So entgeht den Fans kein Zug. Das Medienzent­rum ist immer rappelvoll.

Englisch und Norwegisch sind allgegenwä­rtig. Aus dem VIP-Raum, der an einen elitären Countryclu­b erinnert, dringt aber oft auch Russisch – die Sprache der einstigen Serienscha­chweltmeis­ter. Bar und Sofas laden ein zum Fachsimpel­n. Oder zum Abschalten. Mit einem Absacker.

Londoner Schachaben­de sind lang: Die erste Partie dauerte sieben Stunden. Carlsen blieb wie immer cool, dem durchtrain­ierten Nordeuropä­er wurde nur etwas kalt: Bei 22,0 Grad zog er sich die Jacke an. Und der aus Florida stammende Caruana? Zog sein Jackett aus.

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FOTO: DPA Da rauchen die Köpfe: Weltmeiste­r Magnus Carlsen aus Norwegen (li.) und Fabiano Caruana aus den USA im Nahkampf.

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