Das Herz schlägt für Merz
Bei der CDU-Regionalkonferenz in Böblingen haben Annegret Kramp-Karrenbauer und Jens Spahn das Nachsehen
- So sieht sie also aus, die wachgeküsste Südwest-CDU: 2048 Zuschauer auf eigentlich nur 2000 Plätzen in der Kongresshalle Böblingen. Sie sind gekommen, um Jens Spahn, Friedrich Merz und Annegret Kramp-Karrenbauer auf ihrer Vorstellungsrunde durchs Land zu erleben. Und die so viele Fragen an die Kandidaten hatten wie noch auf keiner der vorherigen vier Regionalkonferenzen. Es ist eine Zäsur, und offenbar haben sie hier darauf gewartet: Nach 18 Jahren Angela Merkel sucht die Partei einen neuen Vorsitzenden – und diskutiert so lebendig wie lange nicht mehr.
Die Metapher „wachgeküsst“bemühen viele in der Landes-CDU in diesen Tagen. Wachgeküsst wird man gemeinhin von einer neuen Liebe. Die CDU wurde wachgeküsst von einer Verflossenen. Zuletzt fühlte sich die Partei in weiten Teilen ignoriert von Angela Merkel, Kanzlerin und Noch-Parteivorsitzende. Geliebt jedenfalls nicht, und wenn es andersherum Liebe gab zur Parteivorsitzenden, dann ist diese merklich abgekühlt. Gerade hier im Südwesten, wo viele in der CDU ihr die Schuld geben an der verlorenen Landtagswahl von 2016. Merkel und ihre Flüchtlingspolitik, so geht die Erzählung von der Niederlage, habe viele CDUAnhänger verschreckt. Wenig verwunderlich also, dass die Basis in Baden-Württemberg am Dienstagabend besonders ausgiebig applaudiert, als Merz betont: „Wir müssen offen zugeben, dass wir uns den unbequemen Fragen der Gesellschaft zuletzt nicht gestellt haben.“Die CDU habe die Menschen mit ihren Sorgen und Nöten alleingelassen.
Niederlage von 2016 wirkt nach
Was die Südwest-CDU weniger gern erzählt, wenn es um die Wahlniederlage von 2016 geht: Die Parteimitglieder selbst wählten mit Guido Wolf einen Spitzenkandidaten, der zwar in CDU-Hallen punktete, aber außerhalb des schwarzen Dunstkreises zu wenige Menschen überzeugte. Nicht nur wegen dieser Niederlage hat die CDU im Südwesten keine guten Erfahrungen gemacht mit Kandidaten, die die Basis bestimmt. Das Duell zwischen Annette Schavan und Günther Oettinger 2005 riss Gräben auf, die die Mitglieder bis heute trennen.
Die drei Konkurrenten um den Parteivorsitz der Bundes-CDU könnten also einiges gelernt haben von Baden-Württemberg. Erstens: Es gibt einen Tag nach dem Duell, von dem an die Partei möglichst geschlossen hinter dem oder der Neuen stehen sollte. Zweitens: Nicht alles, was beim CDU-Mitglied zieht, überzeugt auch die Wähler. Der neue Bundesparteichef wird zwar nicht von der Basis, sondern von 1000 Delegierten gewählt werden – das sind zu 90 Prozent Politprofis mit Ämtern und Mandaten. Doch auf den Regionalkonferenzen ist auch das einfache Parteivolk, und zu große Gräben darf es nicht geben nach dem Parteitag in Hamburg Anfang Dezember.
Vielleicht haben sich Kramp-Karrenbauer, Merz und Spahn das BadenWürttemberger Beispiel vor Böblingen noch einmal vor Augen geführt. Sie betonten unisono, wie fair das Duell um den Parteivorsitz laufe. In der ersten Hälfte der Regionaltour hatten sie sich mit direkten Attacken auf die Gegner zurückgehalten. Doch am vergangenen Wochenende rüstete Kramp-Karrenbauer verbal auf und kritisierte Merz scharf für seine Äußerung, Teile der CDU hätten den Aufstieg der AfD mit einem Schulterzucken zur Kenntnis genommen. Prompt mahnte die baden-württembergische Initiative für Friedrich Merz, „den Weg der Fairness im parteiinternen Wettbewerb nicht zu verlassen“. In der Initiative haben sich viele von Merz’ Unterstützern im Südwesten zusammengeschlossen. Darunter sind EU-, Bundes- und Landtagsabgeordnete, der Vorsitzende der Jungen Union Philipp Bürkle sowie sein gesamter Verband und der Kreisverbandsvorsitzende von Ravensburg, Christian Natterer.
Baden-Württemberg ist MerzLand, etwa 90 der 154 Parteitagsdelegierten aus dem Südwesten sollen sich dem Vernehmen nach bereits für den Sauerländer entschieden haben. Auch in der CDU-Fraktion erhielt Merz am Dienstagnachmittag in Stuttgart den meisten Applaus. Vor den 43 Abgeordneten hatten sich die drei Bewerber vorgestellt, 37 der Parlamentarier sind Delegierte in Hamburg und wählen mit. Nur kein Weiter-so mit Kramp-Karrenbauer, die vielen im Südwesten als Nachfolgerin von Merkels Gnaden scheint. Die die Kanzlerin auch in Böblingen am Anfang ihrer Rede lobte für den selbstbestimmten Rückzug. Die mit Heiner Geißler, Rita Süßmuth und Klaus Töpfer Vorbilder vom sozialpolitischen Flügel der CDU nennt. Und vor allem: die in der Flüchtlingspolitik und anderen Fragen nach Eindruck vieler eher in die Mitte zielt als ein Stück weiter nach rechts. Nach rechts hat Baden-Württembergs CDU 2016 erheblich verloren.
Selbstkritische Töne
Das weiß auch Kramp-Karrenbauer und sie übte Selbstkritik. Sie habe ja in den vergangenen Jahren zum CDU-Führungspersonal gehört. Viele Bürger hätten sich in dieser Zeit mit ihren Sorgen und Nöten von der CDU nicht mehr ernst genommen gefühlt. „Und dann müssen wir uns nicht wundern, wenn diese Menschen Parteien wählen, die den Eindruck erwecken, dass sie sich um dieses Versagen kümmern“, so Kramp-Karrenbauer. „Das wird sich mit mir als Vorsitzende ändern, dass verspreche ich.“
Über die Probleme der CDU, sich als Volkspartei auch in Zukunft im politischen Spektrum zu halten, lässt sich in Baden-Württemberg ebenfalls etwas lernen. Die Partei ist im Kretschmann-Land in dem politischen Sandwich gefangen, in das auch die Bundes-CDU gerade gerät. Hier im Südwesten sind die Grünen seit Jahren bürgerlicher und vor allem erfolgreicher als anderswo. Von rechts rückt die AfD heran, von links die Grünen.
Merz’ Antwort in Böblingen: Er wolle eine breit aufgestellte CDU, die vom sozial Engagierten bis zum Wertkonservativen jeden mitnehme. Beim politischen Gegner kennt Merz, der noch keine Rücksicht um Koalitionspartner nehmen muss, keine Zurückhaltung. „Wir dürfen es den Grünen nicht durchgehen lassen, wenn sie wie im Hambacher Forst Entscheidungen für den Braunkohleabbau mitträgt und sich dann an gewalttätigen Demonstrationen dagegen beteiligt. Baden-Württembergs Ministerpräsident spricht von Männerhorden, während wir in NRW grüne Horden bei Demos haben.“Da jubelten sie in Böblingen und das Unbehagen brach sich Bahn, dass in Baden-Württemberg bleibt trotz gemeinsamer Regierung mit den Grünen.
Zur Kursfrage argumentierte Kramp-Karrenbauer inhaltlich sehr ähnlich. „Wir waren in den 1980ern doch erfolgreich, weil wir beide hatten: Norbert Blüm und Lothar Späth“, sagte sie. Das Verbinden sei für sie das christliche Menschenbild. Es brauche keinen Gemischtwarenladen, sondern von den eigenen Werten überzeugte Mitglieder. Auch sie attackierte die Grünen. „Ich habe kein Verständnis dafür, dass Ministerpräsident Winfried Kretschmann von Männerhorden spricht, aber nicht in der Lage ist, seine Partei davon zu überzeugen, dass es mehr sichere Herkunftsländer gibt.“
Kritik an den Grünen
Spahn arbeitete sich auch an der Konkurrenz von links und rechts ab. Deutschland brauche Lust auf Fortschritt. „Die Grünen wollen ständig aus etwas aussteigen – aus der Dieseltechnologie, aus der Gentechnik.“Aber es gehe bei solche Themen nicht nur um Wirtschaftswachstum, sondern auch um Fortschritt zu Gunsten der Menschen, etwa Krebspatienten. Sein Rezept gegen die AfD: „Wir brauchen einen aufgeklärten Patriotismus, der alle einlädt, mitzumachen. Anders als die Spalter von der AfD schauen wir nicht auf Stammbäume.“Wer die in Deutschland geltenden Werten teile, sei willkommen, alle anderen müssten gehen.
Zwei Stunden lang stellten die Zuhörer Fragen, längst nicht alle kamen zum Zug. Schon die Debatten um den Kurs haben sie offenbar wirklich wachgeküsst, die CDU. Wem die Herzen in Böblingen gehörten, wurde klar: Applaus und Zustimmung sprachen am Ende für Friedrich Merz – wenn auch im Vergleich zu Kramp-Karrenbauer nicht so eindeutig wie von vielen im Saal erwartet.