Jetzt heißt es: Erster gegen Zehnten
(SID) - Fabiano Caruana riss verdutzt die Augen auf, als ihm der Weltmeister plötzlich die Hand entgegenstreckte. Dass Titelverteidiger Magnus Carlsen mit seinem Remisangebot auch die zwölfte Partie der Schach-WM in ein Unentschieden lenkte, überraschte seinen Herausforderer sichtlich. Trotz klarer Vorteile auf dem Brett ließ Carlsen die vorletzte Chance zum Sieg ungenutzt. Die Entscheidung fällt nun im Tiebreak am heutigen Mittwoch.
„Ich war einfach nicht in der richtigen mentalen Verfassung, um weiterzukämpfen“, räumte Carlsen wenig später offen ein. „Ich habe keinen Weg gesehen, wie ich die weiße Verteidigung brechen könnte, ohne Risiken einzugehen.“Risiken, die der Norweger bereits in den elf vorangegangenen Remispartien immer wieder gescheut hatte. Der große Dominator der vergangenen Jahre ist in London spürbar ins Wanken geraten. Und dennoch war Carlsens überraschende Entscheidung ein Signal der Schwäche und der Stärke zugleich. Der Schwäche, weil „König Magnus“sich offensichtlich wieder einmal nicht in der Lage fühlte, eine überlegene Stellung in einen Sieg zu verwandeln. Der Stärke, weil er sich im finalen Showdown um den Thron der Schachwelt offensichtlich im Vorteil wähnt.
Gespielt werden dort zunächst vier Partien im Schnellschach mit auf 25 Minuten verkürzter Bedenkzeit, danach würden maximal zehn Partien Blitzschach mit fünf Minuten pro Spieler folgen. Steht es dann immer noch unentschieden, käme es zu einer „Armageddon“-Partie. In dieser erhält der Spieler mit den weißen Steinen mehr Zeit, muss dafür aber gewinnen, um Weltmeister zu werden.
Schon bei seiner letzten Titelverteidigung 2016 gegen den zähen Russen Sergej Karjakin hatte Carlsen am Ende bewusst den Tiebreak provoziert. Denn je kürzer die Bedenkzeit, um so besser kommen normalerweise seine überlegenen kombinatorischen Fähigkeiten zum Tragen – womöglich auch gegen den klug rechnenden, dafür aber immer etwas langsamer spielenden Caruana.
Während Carlsen in der „normalen“Weltrangliste nur drei Punkte vor dem zweitplatzierten Caruana liegt, ist sein Vorsprung in den Rankings im Schnell- und Blitz-Schach deutlich größer. Der 27-Jährige rangiert auch dort jeweils an der Spitze, Caruana belegt die Plätze zehn und 18. Weil Partien mit kürzerer Bedenkzeit aber auch zwangsläufig häufiger für Überraschungen sorgen, sieht sich der USAmerikaner trotzdem „nicht so chancenlos, wie alle denken“.