Messerstecher müssen rund sieben Jahre in Haft
Landgericht fällt Urteil im Prozess um Laupheimer „Ehrenmord“-Versuch – Bewährungsstrafe für Eltern
- Zu Haftstrafen von siebeneinhalb Jahren sowie sechs Jahren und neun Monaten hat das Ravensburger Landgericht am Freitag die beiden Männer verurteilt, die im Februar dieses Jahres in Laupheim die eigene Schwester beziehungsweise Ehepartnerin (nach islamischem Recht) mit Messerstichen lebensgefährlich verletzt haben. Die Eltern der jungen Frau erhielten Bewährungsstrafen. Motiv für die Tat innerhalb der islamischen Familie war die Beziehung der damals 17-Jährigen zu einem anderen Mann.
Elf Verhandlungstage hatte die 2. Große Strafkammer seit dem 24. September hinter sich gebracht, rund 30 Zeugen gehört – um am Ende festzustellen: „Das ist kein glasklarer Fall.“Mit diesem Fazit bezog sich der Vorsitzende Richter Veiko Böhm natürlich nicht auf den unbestrittenen Umstand, dass die junge Frau am Abend des 27. Februar 2018 von ihrem 20-jährigen Bruder und ihrem 34 Jahre alten „Ehemann“mit Messern misshandelt worden war, sondern auf den konkreten Tatbeitrag der vier Angeklagten.
Besonders schwer gemacht hatten es dem Gericht die Widersprüche, in die sich sowohl die vier Angeklagten als auch das Opfer verstrickten. Zwar hatten die Beschuldigten im Prozess zu den Vorwürfen geschwiegen, nicht aber bei den polizeilichen Ermittlungen. Die junge Frau selbst hatte die Rolle der beiden Männer und ihrer Eltern gegenüber der Polizei und dem Gericht ganz unterschiedlich geschildert. Richter Böhm zeigte sich letztlich überzeugt, dass sich das Verbrechen so abspielte: Der „Ehemann“hatte von der schwangeren 17-Jährigen, mit der er zu diesem Zeitpunkt bereits einen zehn Monate alten Sohn hatte, verlangt, ihre Beziehung zu einem anderen Mann zu beenden. Sie weigerte sich, worauf es zum Streit kam. Dieser eskalierte wegen angeblicher „Nacktbilder“, die sie dem Geliebten übers Handy geschickt haben soll. „Bilder, die eine normale junge Frau mit schulterfreiem Shirt zeigen und auf denen ein Minizentimeter Bauch zu sehen ist“, sagte Richter Böhm.
Die Wirkung aber sei fatal gewesen. Der mittlerweile dazu gestoßene Bruder sei innerlich explodiert, und weil der 14 Jahre ältere Schwager vor dem „Jungspund“nicht als Schwächling dastehen wollte, habe er entschieden: „Sie muss büßen.“Nachdem sein geplanter Messerangriff auf den Hals des sich wehrenden Opfers gescheitert und das Messer kaputt gegangen sei, habe der Bruder die Tat mit einem eigenen Messer fortgesetzt – und seiner Schwester einen lebensbedrohlichen Stich in den Oberkörper versetzt. Danach habe der Bruder genüsslich eine Zigarette geraucht, mit dem Handy ein Video von der ANZEIGE schwer verletzten Schwester gedreht und den Film als Morddrohung an den Geliebten geschickt. Dann seien beide Männer geflohen.
Für Richter Böhm war der Bruder deshalb wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung zu verurteilen, allerdings wegen Reifeverzögerung nach Jugendstrafrecht. Die siebeneinhalbjährige Haftstrafe muss er in einer sozialtherapeutischen Einrichtung verbüßen. Eine anschließende Sicherungsverwahrung ist möglich. Den „Ehemann“verurteilte das Gericht zu sechs Jahren und neun Monaten Gefängnis.
Rolle der Eltern unklar
Nach wie vor unklar sei die Rolle der Eltern. Es sei nicht zweifelsfrei feststellbar, wann sie ins Zimmer gekommen seien – einiges spreche dafür, dass es nach der Tat gewesen sei. „Die Eltern wollten nicht, dass ihr Kind stirbt“, zeigte sich Böhm überzeugt. Er machte den beiden aber den Vorwurf, dass sie die Tochter anschließend 14 Minuten lang leiden ließen, ehe sie den Rettungsdienst alarmierten. Wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilte Böhm den 64 Jahre alten Vater und die 62jährige Mutter zu einer Haftstrafe von jeweils einem Jahr und zehn Monaten auf Bewährung. Durch die siebenmonatige Untersuchungshaft hätten die beiden bereits eine spürbare Strafe verbüßt.
In den nicht öffentlich vorgetragenen Plädoyers hatte die Staatsanwaltschaft um etwa ein bis drei Jahre höhere Haftstrafen, bei den Eltern ohne Bewährung, beantragt. Ganz erheblich unterschieden sich die Plädoyers der vier Verteidiger von dem Urteil. Diese hatten Freisprüche für die Eltern und den „Ehemann“gefordert, der Verteidiger des Bruders sah lediglich eine gefährliche Körperverletzung durch seinen Mandanten. Alle vier Anwälte schlossen eine Revision nicht aus.