Heuberger Bote

„Nur der Tod erreicht sein Ziel zu 100 Prozent“

Christian Berkel ist vielbeschä­ftigt als Schauspiel­er und jetzt auch als Schriftste­ller – Von Perfektion hält er wenig

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Ja, das glaube ich tatsächlic­h. Die Anforderun­gen sind wesentlich komplexer geworden. Die Digitalisi­erung hat für viele Menschen Probleme geschaffen, das Zeitmanage­ment ist komplizier­t geworden. Wir sind heute gewohnt immer zwei, drei Sachen gleichzeit­ig zu machen und dabei noch nebenher etwas zu googeln. Dieses Gefühl der ständigen Verfügbark­eit und der ständigen Informiert­heit bestimmt unsere Zeit.

Eine andere Tendenz, die sich abzeichnet ist die zur ständigen Selbstopti­mierung. Was halten Sie von dieser Entwicklun­g?

Das finde ich extrem problemati­sch. Dieses permanente Streben nach Perfektion ist unglaublic­h anstrengen­d und letztendli­ch erreicht sowieso nur der Tod sein Ziel zu 100 Prozent. Vor einiger Zeit hat mir jemand erzählt, dass bei den alten Teppichweb­ern in Persien stets ein kleiner Fehler in den Teppich gewebt wurde, damit dieser gerade nicht perfekt wird und mit Allah konkurrier­t. Das Leben ist nicht perfekt, das Leben ist bunt und voller Fehler – und das ist auch gut so.

In „Was uns nicht umbringt“handeln die Figuren zunächst so, wie sie eigentlich möchten, um dann doch wieder in die gesellscha­ftlichen Normen zu verfallen. Warum ist das so?

Ich finde, das ist einer der gelungenst­en Kunstgriff­e in dem Film. Denn man stellt sich die Frage, wann man selbst das letzte Mal nicht so gehandelt hat, wie man es eigentlich wollte, sondern wie die Gesellscha­ft es von einem verlangt hat.

Sie sind seit 12 Jahren als der „Kriminalis­t“im ZDF zu sehen. Was denken Sie angesichts der Fülle an Krimireihe­n auf ARD und ZDF?

Wenn ich darüber mit Freunden oder Zuschauern rede, egal welchen Alters, höre ich immer: „Es gibt ja eigentlich nur noch Krimis im deutschen Fernsehen“. Das stimmt, jedoch wundere ich mich darüber, dass sich alle Leute beschweren, die Krimis aber gleichzeit­ig anscheinen­d gerne anschauen. Wenn ich mit den Fernsehred­aktionen über dieses Phänomen spreche, wird stets angemerkt, dass die Krimis im Konkurrenz­kampf immer gewinnen. Manchmal würde ich mir wünschen, dass sich die Fernsehmac­her über diese Tatsache einfach mal hinwegsetz­en und nach anderen Möglichkei­ten Ausschau halten ...

...und weniger auf die Quote gucken?

Ich zähle nicht zu denen, die sagen, das ist alles Blödsinn mit der Quote. Ich verstehe, dass die öffentlich­rechtliche­n Sender sich nach der Quote richten müssen, wenn sie von Gebühren finanziert werden. Auf der anderen Seite gibt es da natürlich noch den Kulturauft­rag, der den öffentlich-rechtliche­n Sendern vorgegeben ist. Die Kunst ist es, sich zwischen diesen beiden Polen zu bewegen. Meiner Meinung nach ist die Tendenz eindeutig zu stark in Richtung Quote und somit in Richtung Krimi gegangen. Ein typisch deutsches Phänomen: Wenn wir Deutschen mal was geschluckt haben, dann wird das so lange ausgeschla­chtet, bis es nicht mehr geht. Wir sind nicht die Wandlungsf­reudigsten.

Gerade ist Ihr erster Roman „Der Apfelbaum“erschienen, in dem Sie die Geschichte Ihrer Familie erzählen. Wie kam es dazu?

Als ich anfing, Freunden die Geschichte meiner Familie zu erzählen, habe ich immer gemerkt, dass viele das zum Anlass genommen haben, von ihren eigenen Erfahrunge­n und Familien zu berichten. Außerdem habe ich festgestel­lt, dass es einfach unglaublic­h viele Erinnerung­en gibt, die aus der deutschen Geschichte verschwieg­en wurden.

Im Buch spielen auch Werte wie Familie und Zusammenha­lt eine große Rolle. Haben Sie das Gefühl, dass diese Werte heute mehr und mehr verloren gehen?

Nein, eigentlich nicht. Mein ältester Sohn zum Beispiel ist jetzt drei Jahre mit seiner Freundin zusammen und erst 19 Jahre alt. Das wäre damals bei mir gar nicht denkbar gewesen und zwar nicht bei mir im Besonderen, sondern in meiner Generation allgemein. Wenn man da mit 16 Jahren ein paar Monate mit jemandem zusammen war, dann war das schon eine Langzeitbe­ziehung (lacht). Vielleicht haben wir alle davon geträumt, aber es hat nie geklappt. In der heutigen Generation sehe ich das viel häufiger. Ich habe auch das Gefühl, dass zum Beispiel das Playboy-Verhalten bei jungen Männern überhaupt nicht mehr als erstrebens­wert gilt.

Warum nicht?

Ich glaube, da gibt es ein großes Bedürfnis nach Stabilität. Dadurch dass die Welt um uns herum immer instabiler wird und alles immer unsicherer zu sein scheint, streben die Leute gerade in Beziehunge­n sehr viel mehr nach Sicherheit und Stabilität.

Wie haben Sie die Arbeit als Schriftste­ller empfunden? Könnte das Schreiben zu einem zweiten Standbein werden?

Das wird sich zeigen. Von Wim Wenders gibt es den schönen Satz, „im Paradies ist man nur einmal, nämlich wenn man seinen ersten Film macht“(lacht). Ich glaube das kann man auch auf das Schreiben anwenden. Was einem in einem neuen Kunstberei­ch an Erfahrung fehlt, macht man häufig durch eine gewisse Unbefangen­heit und Naivität wieder wett. Natürlich durfte ich bereits aus der Filmbranch­e einiges an Erfahrung mitnehmen, aber das Schreiben im Besonderen hat mich sehr verändert. Ich ertappe mich jetzt schon dabei, wie ich jedes Buch anders wahrnehme. Ich würde mich sehr freuen, wenn ein weiteres Projekt folgt.

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FOTO: DPA Mit seinem Roman über die jüdischen Wurzeln seiner Familie hat der Schauspiel­er zuletzt für Aufsehen gesorgt.

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