Der Stern ist nicht alles
Jahr für Jahr überschütten Führer die Branche mit Wertungen – dabei ist ein Symbol zunehmend wichtig: der Bib Gourmand
- Pfannen, Sterne, Kochmützen, Teller, Gabeln, Löffel, Punkte, Michelin-Männchen-Gesichter oder Sonnen: Wer seinem Gaumen etwas Gutes tun will, muss inzwischen fast schon eine kleine Wissenschaft betreiben. Denn die unterschiedlichen Restaurantführer werfen mittlerweile mit Symbolen und Kategorisierungen nur so um sich. Dabei war vor ein paar Jahrzehnten alles noch ganz einfach: Der Gault Millau vergab seine Punkte und Mützen, der Guide Michelin seine Sterne. Neben diesen beiden Platzhirschen war kaum etwas, das Köche und Gäste wirklich ernst nahmen. Von Blogs im Internet wie „Sternenfresser“, die sich für ihre Wertungen zum Essen einladen lassen, ganz zu schweigen.
„Doch, doch – es ist schon so, dass Leute wegen Auszeichnungen dann ganz gezielt kommen“, sagt Edwin Hügle, der aus der aktuellen Ausgabe des Guide Michelin gestrichen wurde. Das liegt aber nicht daran, dass der Meisterkoch, der mehr als 50 Jahre hinterm Herd stand – seit den 1980er-Jahren im eigenen Hotel Hack Heiligenberg – seine Kunst verlernt hätte. Er und seine Frau Ulrike haben das Restaurant des über die Grenzen des Linzgau hinaus bekannten Gasthofs im Januar geschlossen. Altersbedingt.
Hotelbetrieb läuft weiter
Ein bisschen melancholisch schaut Hügle drein, wenn er davon erzählt, dass es mit der eigentlich angestrebten Nachfolge nicht geklappt hat. „Meine Tochter hat sich anders entschieden“, sagt er ohne Groll. Und seine Frau betont: „Das, was wir hier gemacht haben, dafür müssen Sie erst mal den richtigen Partner haben. Das kann man nur zusammen machen.“Das Hotel betreibt das Ehepaar aber weiter. Kein seltenes Bild in der Region: Restaurant schließt, Übernachtungen laufen weiter.
Die Geschichte der Hügles ist typisch für eine Branche, in der es noch nie ein Zuckerschlecken war, sein Auskommen zu sichern. Endlose Schichten hinterm Herd, die Verantwortung für Mitarbeiter, die noch dazu immer schwerer zu bekommen sind und eine Bürokratie, mit der kaum noch zu wirtschaften sei, wie Edwin Hügle kopfschüttelnd feststellt. „Einfacher ist es in den letzten Jahren sicher nicht geworden.“
Wie hart es inzwischen wirklich ist, zeigt das Beispiel der Alten Post in Nagold, die heuer im Guide Michelin ebenfalls ihre Auszeichnung verloren hat, weil es das Traditionshaus schlicht nicht mehr gibt. Die Betreiber schreiben resigniert auf ihrer Internetseite: „Aufgrund der Tatsache, dass unsere Mitarbeitersuche für die Küche keinen Erfolg hatte und wir somit den Betrieb nicht mehr gewährleisten können, müssen wir die Gastronomie in der Alten Post zum 31. Oktober komplett schließen.“Und weiter: „Mit viel Engagement und Herzblut war es immer unser Ziel, Nagolds schönstes Wahrzeichen zu pflegen und zu erhalten und es mit einer guten Gastronomie zu beleben, wie dies Generationen zuvor bereits seit Jahrhunderten getan haben. Die Alte Post sollte wie eh und je ein Treffpunkt sein für Gäste aus nah und fern, für alle Generationen und Nationalitäten. Die anhaltend angespannte Lage im Mitarbeiterbereich in der Hotellerie/ Gastronomie hat diesen Traum nun leider beendet.“
Das Paradoxe bringt Edwin Hügle so auf den Punkt: „Heute gibt es deutlich mehr wirklich gute Betriebe als früher.“Doch die Gesamtzahl nehme ab. Hügle, der nach seiner Ausbildung auch unter den damals noch jungen wilden Küchenpionieren Heinz Winkler und Eckehard Witzigmann im Münchner Tantris gekocht hat, weiß wovon er spricht. Sein Eindruck bestätigt sich durch die jüngste Veröffentlichungssaison der Gastronomieführer – zuletzt des Guide Michelin. Darin sind in BadenWürttemberg trotz aller schwierigen Umstände der Branche mehr Sterne dazugekommen als gestrichen wurden. Damit blinken insgesamt 77 davon über dem Südwesten.
Doch für viele Genießer hat ein anderes Symbol aus dem Guide Michelin die deutlich größere Bedeutung. Gemeint ist der Bib Gourmand. Es zeigt ein sich die Lippen leckendes Michelin-Männchen und steht per Definition für „bestes Preis-Leistungs-Verhältnis“. Im Führer steht geschrieben, dass Häuser mit dieser Auszeichnung eine Mahlzeit mit „guten Produkten, schön zur Geltung gebracht“, für höchstens 37 Euro zu bieten haben. Der Bib hat sich sogar so gemausert, dass der Verlag ihm inzwischen jährlich einen eigenen Führer widmet.
Ophelia am höchsten dekoriert
In der aktuellen Deutschland-Ausgabe tragen 17 Häuser im Verbreitungsgebiet der „Schwäbischen Zeitung“einen solchen Bib. Inklusive Konstanz leuchten neun Sterne in der Region, wobei das Restaurant Ophelia in Konstanz mit zwei Sternen das am höchsten dekorierte Haus ist – bei den Sternen gibt es gegenüber dem Vorjahr insgesamt keine Änderungen. Die regionalen Veränderungen bei den Bibs sehen wie folgt aus: Erstmals erhält die Rose in Hayingen die Auszeichnung. Es handelt sich um das Biorestaurant der Familie Tress. Und ein alter Bekannter aus Lindau am Bodensee hat den Bib wiederbekommen: Thomas Kraus im Schachener Hof.
Verloren hat ihn indes der Lumperhof in Ravensburg, was aber laut Michelin nicht an der Qualität des Essens lag, sondern am Umstand, dass das Preisniveau knapp über der definierten Marke von 37 Euro für ein Menü liege. Der Lumperhof erscheint nach wie vor im Michelin mit dem Prädikat „Eine Küche mit guter Qualität“. Das Landgasthaus Schenkenberger Hof (Kreis Tuttlingen) kommt indes gar nicht mehr vor. Auf Nachfrage heißt es von dort zur Erklärung, es stehe ein Betreiberwechsel zum 1. Juni bevor.
Zurück im leeren Restaurant des Hotels Hack in Heiligenberg. Ulrike und Edwin Hügle sehen ein bisschen verloren aus in dem großen Raum, in dem vor ein paar Monaten noch das volle gastronomische Leben pulsierte. „Als klar war, dass bald Schluss ist, haben wir gesehen, dass man uns vermissen wird“, sagt Ulrike Hügle. Anfragen gebe es bis heute. „In der Schlussphase hat der Laden noch einmal richtig gebrummt“, erinnert sich Edwin Hügle, der am Ende ordentlich Vollgas geben musste. Es sei ein gutes Gefühl und der Beleg, dass man „nicht alles falsch“gemacht habe in all den Jahren.
Ob es ihnen nicht fehlt, das Restaurant, das Kochen, die Gäste? „Ja, schon“, sagt Ulrike Hügle. Aber irgendwann sei es auch mal gut. Nach mehr als 50 Arbeitsjahren. Und vielleicht bleibt die Küche ja nicht für alle Zeiten kalt, denn die Hausgäste müssten ja schließlich auch was essen. Aber ohne Druck. Planbar und ganz gewiss keine 16 Stunden mehr am Tag.