Neue Zeitrechnung, alte Debatten
Nicht nur Bundestrainer Joachim Löw steht in den zwei Länderspielen im Fokus
- Joachim Löw reckte demonstrativ den Daumen nach oben. Die Zahnschmerzen, wegen der die neuformierte Nationalmannschaft am Vortag das erste Training und die erste Ansprache ohne den Neuformierer hinter sich bringen musste? Seien verflogen nach der kurzfristig erfolgten Wurzelbehandlung samt Nachuntersuchung, erklärte der bestens gelaunte Bundestrainer.
Beginnend mit seinem 172. Länderspiel, dem Test gegen Serbien heute in Wolfsburg (20.45/RTL), vor allem dann aber mit dem schweren Auftakt in die EM-Qualifikation am Sonntag gegen die wiedererstarkte Niederlande am Sonntag, möchte Löw das Annus horribilis 2018, in dem auf den totalen Schiffbruch bei der WM in Russland noch der Abstieg in der Nations League folgte, korrigieren.
„Alles ist ausgerichtet auf die Partie am Sonntag gegen Holland. Die Woche steht in diesem Zeichen“, sagte Löw. „Wir wollen eine gute Quali spielen und uns nicht irgendwie durchwursteln“, so der Bundestrainer und gab zu, dass er durch die zu diesem Zeitpunkt und in dieser Art überraschenden Ausbootung der drei Ex-Weltmeister Thomas Müller, Jérôme Boateng und Mats Hummels bewusst „ein gewisses Risiko eingegangen“sei. Und weiter: „Wir stehen vor neuen Herausforderungen, vor einer neuen Zeitrechnung.“
Doch die Debatten der letzten Monate, die zuletzt sogar noch einmal an Fahrt aufgenommen haben, begleiten den DFB und Löw auch in die neue Zeitrechnung.
Die Debatte um Löw:
Dass ihn zuletzt TV-Experten wie Rekordnationalspieler Lothar Matthäus bei Sky („Den größten Eiertanz von allen hat er hingelegt“) und sogar sein Freund, Ex-Chef und Bundestrainer-Vorgänger Jürgen Klinsmann („Wenn Ergebnisse nicht stimmen, musst du irgendwann gehen“) bei RTL öffentlich angezählt haben, nahm Löw am Dienstag nach außen hin demonstrativ gelassen zur Kenntnis. In Richtung Klinsmann, der gesagt hatte, dass sich Löw durch die Ausbootung der drei Weltmeister „selbst nochmals unter Druck“gesetzt habe, meinte Löw nun lediglich: „Das weiß ich seit 14 Jahren, mit dem Druck kann ich sehr gut Leben. Mein Anspruch an mich selbst ist hoch.“
Die Kommunikationsachterbahn von DFB-Präsident Reinhard Grindel:
Seit Tagen versichern sich der Bundestrainer und der DFB-Präsident ihrer gegenseitigen Wertschätzung – und provozieren allein dadurch bereits ein mindestens skeptisches Hinterfragen über ihr Verhältnis. „Ich empfand es nicht als Kritik an meiner Person“, sagte Löw am Dienstag über die Aussagen Grindels am Samstag dem „Aktuellen Sportstudio“im ZDF, dass man das erzwungene DFB-Ende der drei Bayernspieler anders hätte kommunizieren sollen. Anderntags wollte Grindel seine Aussagen „mit Nachdruck“nicht als Kritik an Löw bewertet wissen. Nur, um Abends im BR den drei von Löw Geschassten einen „angemessenen Abschied“in Aussicht zu stellen, womöglich auch in Form eines Abschiedsspiels. Das wiederum hatte am Montag Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff abgelehnt. „So lange ein Spieler nicht aus der Nationalmannschaft zurücktritt, werde ich ihn nicht verabschieden“, hatte Bierhoff gesagt. Grindel betreibe „permanent Exegese in eigener Sache, bis keiner mehr weiß, was er eigentlich will oder wollte, wen er kritisiert und für was“, beschrieb die „Süddeutsche Zeitung“das Hin- und Her des DFB-Bosses.
Dass der frühere ZDF-Journalist und CDU-Bundestagsabgeordnete Grindel vergangene Woche nach einer Frage zu den umstrittenen geplanten Milliardendeals von FIFA-Präsident Gianni Infantino und der WM in Katar wutentbrannt ein Interview mit der „Deutschen Welle“abbrach, rundet das Bild nur ab.
Zur Erinnerung: Grindel hatte sein Amt vor bald drei Jahren mit dem Leitspruch angetreten, für „noch mehr Transparenz auf allen Ebenen im DFB“zu sorgen. Der „Deutschlandfunk“berichtete am Montag Grindel lehne seit jeher Interviewanfragen des Senders ab. Ähnliches gelte für „Sport Inside“im WDR, des einzigen Sport-Hintergrundmagazins im TV. Der DFB habe vom „Deutschlandfunk“zudem bei einem geplanten Beitrag über die Videoschiedsrichter verlangt, „das Hörfunkstück als Ganzes“abzunehmen und sich ein „Vetorecht“ausbedungen.