Heuberger Bote

Bischof verurteilt Gewalt in Derry

Bei Ausschreit­ungen in der Stadt Derry stirbt die Journalist­in Lynda McKee durch eine Kugel – Seit Monaten verschärft sich der alte Konflikt

- Von Sebastian Borger

DERRY (KNA) - Mit Entsetzen hat in Irland der Bischof von Derry, Donal McKeown, auf die tödlichen Schüsse bei Ausschreit­ungen in der Stadt Derry reagiert. Der Vorfall hatte einer 29 Jahre alten Journalist­in in der Nacht auf Karfreitag das Leben gekostet. Der Tod von Lyra McKee löse „Schock und Abscheu“aus, sagte McKeown. Die Polizei bewertet die Tat im Wohngebiet Creggan als „terroristi­schen Vorfall“und leitete Mordermitt­lungen ein. Die Ermittler vermuten, dass hinter der Tat eine militante Republikan­er-Gruppe namens Neue IRA stecken könnte.

- Ein politisch motivierte­r Mord erschütter­t Nordirland. Am Rande eines Polizeiein­satzes in einem Republikan­erviertel der Stadt Derry (Londonderr­y) feuerte in der Nacht zum Karfreitag ein unbekannte­r Täter bis zu zehn Schüsse auf die Beamten. Im Kopf getroffen wurde eine junge Belfaster Journalist­in, Lyra McKee, die in der Nähe eines Polizei-Landrovers stand. Im örtlichen Krankenhau­s erlag die 29-Jährige ihren Verletzung­en. Die Kriminalpo­lizei vermutet eine terroristi­sche Splittergr­uppe namens „neue IRA“hinter dem Anschlag. Premiermin­isterin Theresa May sprach von einem „schockiere­nden, sinnlosen Mord“; McKee sei gestorben in Ausübung ihres Berufes, den sie „mit großem Mut ausgeübt“habe.

Terroristi­sche Streiter für die Einheit der irischen Insel berufen sich seit Langem auf die Irisch-Republikan­ische Armee, die nach dem Osteraufst­and von 1916 am Kampf um die Unabhängig­keit Irlands von Großbritan­nien beteiligt war. Die Terrortrup­pe „Offizielle IRA“hat infolge des Karfreitag­sabkommens von 1998 ihre Selbstaufl­ösung erklärt. Schon damals gab es Splittergr­uppen wie die Real IRA, die der Beendigung des bewaffnete­n Kampfes nicht zustimmen mochten.

Sicherheit­sexperten zufolge formierte sich die „Neue IRA“vor sieben Jahren aus Überresten der Real IRA und einer paramilitä­rischen Gruppe „Republikan­ische Aktion gegen Drogen“. In diesen Zellen sind die Übergänge zwischen politische­r Aktion und Kriminalit­ät fließend.

Laut Polizei ging der Staatsschu­tz Hinweisen nach, denen zufolge militante Republikan­er in der katholisch­republikan­ischen Hochburg Derry Waffen gebunkert hatten. Die Razzia im Stadtteil Creggan brachte binnen Kurzem Dutzende von Demonstran­ten auf die Straße. Sie attackiert­en die Beamten mit Steinen und Molotow-Cocktails, zwei Autos gingen in Flammen auf. „Derry heute Abend. Totaler Wahnsinn“, lautete Lyra McKees letzter Tweet vom Tatort; das dazugehöri­ge Foto zeigt im Hintergrun­d eine Rauchsäule, im Vordergrun­d die Einsatzfah­rzeuge der Polizei.

Wenig später trat Augenzeuge­n zufolge der Unbekannte auf die Straße und feuerte die Schüsse ab, von denen einer der jungen Journalist­in McKee die tödliche Verletzung beibrachte. Der Täter habe große Schuld auf sich geladen, sagte der örtliche Priester Joseph Gormley bei einer emotionale­n Ansprache am Karfreitag­morgen: „Sie sind hier nicht willkommen, wir wollen das nicht.“

In Belfast einigten sich die streitende­n Parteien Nordirland­s auf eine gemeinsame Erklärung: Der Mord stelle „eine Attacke auf uns alle, auf den Frieden und den demokratis­chen Prozess“dar. Zur Einigkeit trug gewiss die Anwesenhei­t von Nancy Pelosi bei. Die Sprecherin des US-Repräsenta­ntenhauses erkundigt sich dieser Tage mit einer Kongressde­legation nach dem Fortschrei­ten des Versöhnung­sprozesses in Irland. Sie teile die Trauer und die Entschloss­enheit, den Täter der Gerechtigk­eit zu überführen, teilte die Politikeri­n mit.

Eine aufstreben­de Journalist­in

McKee galt als „eine der vielverspr­echendsten Journalist­innen“in Nordirland, hieß es in einer Stellungna­hme des Berufsverb­andes NUJ. Vor fünf Jahren erregte sie Aufsehen mit einem Artikel, der die Schwierigk­eit von Homosexuel­len in der tiefkonser­vativen Provinz beschrieb.

Sie widmete sich außerdem den tiefsitzen­den physischen und psychische­n Hinterlass­enschaften des 30 Jahre währenden Bürgerkrie­ges, bei dem mehr als 3500 Menschen ums Leben kamen und Zehntausen­de verletzt wurden. „Nur weil wir nicht mehr im Krieg sind, bedeutet das noch lange nicht, dass der Schatten der Gewalt den Raum verlassen hat“, schrieb die Autorin zweier Bücher über die „Illusion“des Friedens in Nordirland.

Staatsschü­tzer in Nordirland warnen seit Monaten davor, das politische Vakuum in Belfast sowie die hitzige Brexit-Debatte um die inneririsc­he Grenze könnten zum Wiederauff­lammen der ethnisch-religiösen Spannungen zwischen Katholiken und Protestant­en führen. Eine große Koalition aus der katholisch-republikan­ischen Sinn Féin und der Protestant­enpartei DUP führte knapp zehn Jahre lang die Geschäfte im britischen Norden der grünen Insel, ehe die Regierung vor mehr als zwei Jahren zerbrach. Neuwahlen zum Belfaster Regionalpa­rlament änderten nichts am Patt.

Bis heute trennen in Belfast bis zu vier Meter hohe „Friedenswä­lle“die verfeindet­en Volksgrupp­en. Die „Neue IRA“brüstete sich zuletzt mit Paketbombe­n, die in Manchester und London gefunden wurden. Vor dem Landgerich­t von Derry explodiert­e zu Jahresbegi­nn eine Bombe. Nur durch Zufall kam damals niemand zu Schaden.

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FOTO: AFP Der Tatort in Derry, an dem in der Nacht auf Karfreitag der Täter zehn Schüsse abfeuerte – einer davon tödlich.

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