Bischof verurteilt Gewalt in Derry
Bei Ausschreitungen in der Stadt Derry stirbt die Journalistin Lynda McKee durch eine Kugel – Seit Monaten verschärft sich der alte Konflikt
DERRY (KNA) - Mit Entsetzen hat in Irland der Bischof von Derry, Donal McKeown, auf die tödlichen Schüsse bei Ausschreitungen in der Stadt Derry reagiert. Der Vorfall hatte einer 29 Jahre alten Journalistin in der Nacht auf Karfreitag das Leben gekostet. Der Tod von Lyra McKee löse „Schock und Abscheu“aus, sagte McKeown. Die Polizei bewertet die Tat im Wohngebiet Creggan als „terroristischen Vorfall“und leitete Mordermittlungen ein. Die Ermittler vermuten, dass hinter der Tat eine militante Republikaner-Gruppe namens Neue IRA stecken könnte.
- Ein politisch motivierter Mord erschüttert Nordirland. Am Rande eines Polizeieinsatzes in einem Republikanerviertel der Stadt Derry (Londonderry) feuerte in der Nacht zum Karfreitag ein unbekannter Täter bis zu zehn Schüsse auf die Beamten. Im Kopf getroffen wurde eine junge Belfaster Journalistin, Lyra McKee, die in der Nähe eines Polizei-Landrovers stand. Im örtlichen Krankenhaus erlag die 29-Jährige ihren Verletzungen. Die Kriminalpolizei vermutet eine terroristische Splittergruppe namens „neue IRA“hinter dem Anschlag. Premierministerin Theresa May sprach von einem „schockierenden, sinnlosen Mord“; McKee sei gestorben in Ausübung ihres Berufes, den sie „mit großem Mut ausgeübt“habe.
Terroristische Streiter für die Einheit der irischen Insel berufen sich seit Langem auf die Irisch-Republikanische Armee, die nach dem Osteraufstand von 1916 am Kampf um die Unabhängigkeit Irlands von Großbritannien beteiligt war. Die Terrortruppe „Offizielle IRA“hat infolge des Karfreitagsabkommens von 1998 ihre Selbstauflösung erklärt. Schon damals gab es Splittergruppen wie die Real IRA, die der Beendigung des bewaffneten Kampfes nicht zustimmen mochten.
Sicherheitsexperten zufolge formierte sich die „Neue IRA“vor sieben Jahren aus Überresten der Real IRA und einer paramilitärischen Gruppe „Republikanische Aktion gegen Drogen“. In diesen Zellen sind die Übergänge zwischen politischer Aktion und Kriminalität fließend.
Laut Polizei ging der Staatsschutz Hinweisen nach, denen zufolge militante Republikaner in der katholischrepublikanischen Hochburg Derry Waffen gebunkert hatten. Die Razzia im Stadtteil Creggan brachte binnen Kurzem Dutzende von Demonstranten auf die Straße. Sie attackierten die Beamten mit Steinen und Molotow-Cocktails, zwei Autos gingen in Flammen auf. „Derry heute Abend. Totaler Wahnsinn“, lautete Lyra McKees letzter Tweet vom Tatort; das dazugehörige Foto zeigt im Hintergrund eine Rauchsäule, im Vordergrund die Einsatzfahrzeuge der Polizei.
Wenig später trat Augenzeugen zufolge der Unbekannte auf die Straße und feuerte die Schüsse ab, von denen einer der jungen Journalistin McKee die tödliche Verletzung beibrachte. Der Täter habe große Schuld auf sich geladen, sagte der örtliche Priester Joseph Gormley bei einer emotionalen Ansprache am Karfreitagmorgen: „Sie sind hier nicht willkommen, wir wollen das nicht.“
In Belfast einigten sich die streitenden Parteien Nordirlands auf eine gemeinsame Erklärung: Der Mord stelle „eine Attacke auf uns alle, auf den Frieden und den demokratischen Prozess“dar. Zur Einigkeit trug gewiss die Anwesenheit von Nancy Pelosi bei. Die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses erkundigt sich dieser Tage mit einer Kongressdelegation nach dem Fortschreiten des Versöhnungsprozesses in Irland. Sie teile die Trauer und die Entschlossenheit, den Täter der Gerechtigkeit zu überführen, teilte die Politikerin mit.
Eine aufstrebende Journalistin
McKee galt als „eine der vielversprechendsten Journalistinnen“in Nordirland, hieß es in einer Stellungnahme des Berufsverbandes NUJ. Vor fünf Jahren erregte sie Aufsehen mit einem Artikel, der die Schwierigkeit von Homosexuellen in der tiefkonservativen Provinz beschrieb.
Sie widmete sich außerdem den tiefsitzenden physischen und psychischen Hinterlassenschaften des 30 Jahre währenden Bürgerkrieges, bei dem mehr als 3500 Menschen ums Leben kamen und Zehntausende verletzt wurden. „Nur weil wir nicht mehr im Krieg sind, bedeutet das noch lange nicht, dass der Schatten der Gewalt den Raum verlassen hat“, schrieb die Autorin zweier Bücher über die „Illusion“des Friedens in Nordirland.
Staatsschützer in Nordirland warnen seit Monaten davor, das politische Vakuum in Belfast sowie die hitzige Brexit-Debatte um die innerirische Grenze könnten zum Wiederaufflammen der ethnisch-religiösen Spannungen zwischen Katholiken und Protestanten führen. Eine große Koalition aus der katholisch-republikanischen Sinn Féin und der Protestantenpartei DUP führte knapp zehn Jahre lang die Geschäfte im britischen Norden der grünen Insel, ehe die Regierung vor mehr als zwei Jahren zerbrach. Neuwahlen zum Belfaster Regionalparlament änderten nichts am Patt.
Bis heute trennen in Belfast bis zu vier Meter hohe „Friedenswälle“die verfeindeten Volksgruppen. Die „Neue IRA“brüstete sich zuletzt mit Paketbomben, die in Manchester und London gefunden wurden. Vor dem Landgericht von Derry explodierte zu Jahresbeginn eine Bombe. Nur durch Zufall kam damals niemand zu Schaden.