Wirtschaft kritisiert Bleiberechtserlass
Wirtschaft sieht unerfüllbare Bedingungen – Südwest-Innenminister weist Vorwurf zurück
RAVENSBURG (ank) - Die schwäbische Unternehmerinitiative „Bleiberecht durch Arbeit“hat sich erneut gegen den Bleiberechtserlass von Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) ausgesprochen. Strobl erwecke den Eindruck, dass „Unternehmen Flüchtlinge, die in Arbeit sind, weiterbeschäftigen können. Doch der Eindruck ist falsch“, sagte der Mitbegründer der Initiative, Gottfried Härle, der „Schwäbischen Zeitung“. Strobls Ministerium wies die Vorwürfe als nicht zutreffend zurück.
- Unternehmer aus Oberschwaben haben ihre Kritik an dem Bleiberechtserlass von BadenWürttembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) für integrierte Flüchtlinge mit Arbeitsvertrag erneuert. „Strobl hat damit den Eindruck erweckt, dass Unternehmen Flüchtlinge, die in Arbeit sind, weiterbeschäftigen können. Doch dieser Eindruck ist falsch“, schimpft Gottfried Härle, Mitgründer der Unternehmerinitiative „Bleiberecht durch Arbeit“und Chef der Brauerei Clemens Härle aus Leutkirch im Allgäu.
Härle sitzt zusammen mit Markus Winter, dem Chef des Industriedienstleisters IDS aus Unteressendorf (Landkreis Biberach) und Mitstreiter in Härles Initiative, sowie dem Nigerianer Pauli Aguwa in einem schmucklosen Büro am IDS-Standort Ravensburg. Aguwa, abgelehnter Asyalantrag, seit knapp drei Jahren bei IDS in Vollzeit beschäftigt, ist einer der Flüchtlinge, für den sich Härle und Winter engagieren, für den sie eine Bleibeperspektive haben wollen: integriert, zuverlässig, Nettoeinzahler in die Sozialkassen. Einer der Flüchtlinge, die angesichts eines leergefegten Arbeitsmarkts und voller Auftragsbücher viele Mittelständler und Handwerksbetriebe im Südwesten am Laufen halten. Anfang April haben die zuständigen Behörden in Ravensburg Aguwa die Arbeitserlaubnis aber gestrichen. Seitdem muss er fürchten, abgeschoben zu werden – und Winter eine weitere offene Stelle nicht besetzen zu können.
Rückblick: Ende März hatte Innenminister Strobl angekündigt für Flüchtlinge, die seit mindestens 18 Monaten arbeiten, ihren Lebensunterhalt selbst verdienen und seit zwölf Monaten geduldet sind, eine längerfristige Bleibeperspektive zu schaffen. Baden-Württemberg hat damit eine geplante bundesgesetzliche Regelung vorweggenommen, die voraussichtlich am 1. Januar 2020 in Kraft treten soll. Schon damals wiesen Unternehmer auf den Haken der Regelungen aus Berlin hin: Die Kriterien seien zu restriktiv – vor allem die Bedingung, dass Flüchtlinge bereits zwölf Monate im Status der Duldung sein müssten, um von dieser Regelung zu profitieren. Denn die allermeisten Flüchtlinge befinden sich noch im Status der Gestattung. „Da werden Hürden aufgebaut, die kaum einer überspringen kann. Faktisch führt das dazu, dass wir einen Großteil unserer Leute verlieren werden“, prophezeit Winter, der in seinem Unternehmen 85 Flüchtlinge beschäftigt. Bei mehr als der Hälfte muss der IDS-Chef damit rechnen, dass sie abgeschoben werden.
Abschiebung droht
Pauli Aguwa ist seit dem 8. Januar dieses Jahres geduldet, was heißt, dass seine Abschiebung vorerst ausgesetzt ist. Eine längerfristige Bleibeperspektive hätte der Nigerianer aber erst mit Ablauf des 8. Januar 2020. Dann sind die geforderten zwölf Monate der Duldung um. Da ihm jedoch die Arbeitserlaubnis gestrichen wurde, kann er nicht selbst für seinen Lebensunterhalt sorgen und muss mit der Abschiebung rechnen. „Um die Kriterien des Erlasses zu erfüllen, müssten wir Pauli Aguwa bis zum 8. Januar 2020 verstecken “, rechnet Winter vor. „Es geht um pragmatische, wirtschaftsfreundliche Lösungen. Doch was uns hier vorgesetzt wird, ist keine glaubwürdige Politik“, springt ihm Härle bei.
Im Innenministerium in Stuttgart sieht man die Sache anders. „Aus einer Beschäftigung entsteht nicht zwingend ein Bleiberecht. Wenn das gelten würde, hätten wir den vollen Spurwechsel von der Asyl- in die Erwerbsmigration und keine Möglichkeit, Zuwanderung sinnvoll zu steuern und zu begrenzen“, sagte ein Sprecher Strobls der „Schwäbischen Zeitung“. Dennoch seien ihm die Bedürfnisse der Unternehmen im Südwesten „ein wichtiges Anliegen“. Mit diesem Anliegen ist Strobl im Bundesrat aber ausgebremst worden. Laut Ministerium habe Baden-Württemberg im Bundesrat einen Antrag zur Beschäftigungsduldung eingebracht, der den Bedürfnissen der Unternehmer deutlich stärker Rechnung getragen hätte. „Damit wäre es möglich gewesen, Arbeitszeiten während des Asylverfahrens auf den notwendigen Duldungszeitraum anzurechnen. Trotz aller geleisteter Überzeugungsarbeit gab es dafür in der Länderkammer aber keine Mehrheit“, so der Sprecher des Ministers.
Gleichzeitig kontert er die Kritik der Unternehmerinitiative „Bleiberecht durch Arbeit“: „Ermessensduldungen für ausreisepflichtige Ausländer in Beschäftigung können wir erteilen.“Auch Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) gibt sich ob der Kritik der Unternehmer überrascht: „Ich bin überzeugt, dass der Erlass in vielen Fällen zum Tragen kommt und eine pragmatische Lösung bereithält. Die Landesregierung hat ihre Möglichkeiten jedenfalls voll ausgeschöpft und ist über das hinausgegangen, was andere Länder bisher unternommen haben“, sagt Hoffmeister-Kraut.
Wirtschaft blickt nach NRW
Härle und Winter hingegen verweisen auf Nordrhein-Westfalen, wo ihrer Meinung nach eine pragmatischere und wirtschaftsfreundlichere Lösung angewendet wird. „Viele Unternehmer, vor allem im Handwerk und im Mittelstand, haben einen Beitrag zur Integration von Flüchtlingen geleistet. Und nun zieht man uns die Leute unter den Füßen weg. Das ist einfach nicht fassbar“, erklärt Härle. Auch hier widerspricht das Innenministeriums, die Lösung sei mit der im Südwesten nicht vergleichbar.
Erst jüngst wieder hätte es Lob für die „oberschwäbische Form der Integration“von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) gegeben. „Doch darauf kann ich gern verzichten, wenn wir nicht mehr als die nützlichen Idioten sind“, macht Härle seinem Ärger Luft. Beide, Härle und Winter, zusammen mit den anderen gut 150 Unternehmern, die sich in der Initiative Bleiberecht zusammengeschlossen haben, hoffen nun darauf, dass sich im Gesetzgebungsprozess noch etwas zu ihren Gunsten ändert – und dass Pauli Aguwa sowie die rund 2000 anderen bei den Mitgliedsunternehmen beschäftigten Flüchtlinge ihren Arbeitsplatz behalten können.