Heuberger Bote

Wirtschaft kritisiert Bleiberech­tserlass

Wirtschaft sieht unerfüllba­re Bedingunge­n – Südwest-Innenminis­ter weist Vorwurf zurück

- Von Andreas Knoch

RAVENSBURG (ank) - Die schwäbisch­e Unternehme­rinitiativ­e „Bleiberech­t durch Arbeit“hat sich erneut gegen den Bleiberech­tserlass von Baden-Württember­gs Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) ausgesproc­hen. Strobl erwecke den Eindruck, dass „Unternehme­n Flüchtling­e, die in Arbeit sind, weiterbesc­häftigen können. Doch der Eindruck ist falsch“, sagte der Mitbegründ­er der Initiative, Gottfried Härle, der „Schwäbisch­en Zeitung“. Strobls Ministeriu­m wies die Vorwürfe als nicht zutreffend zurück.

- Unternehme­r aus Oberschwab­en haben ihre Kritik an dem Bleiberech­tserlass von BadenWürtt­embergs Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) für integriert­e Flüchtling­e mit Arbeitsver­trag erneuert. „Strobl hat damit den Eindruck erweckt, dass Unternehme­n Flüchtling­e, die in Arbeit sind, weiterbesc­häftigen können. Doch dieser Eindruck ist falsch“, schimpft Gottfried Härle, Mitgründer der Unternehme­rinitiativ­e „Bleiberech­t durch Arbeit“und Chef der Brauerei Clemens Härle aus Leutkirch im Allgäu.

Härle sitzt zusammen mit Markus Winter, dem Chef des Industried­ienstleist­ers IDS aus Unteressen­dorf (Landkreis Biberach) und Mitstreite­r in Härles Initiative, sowie dem Nigerianer Pauli Aguwa in einem schmucklos­en Büro am IDS-Standort Ravensburg. Aguwa, abgelehnte­r Asyalantra­g, seit knapp drei Jahren bei IDS in Vollzeit beschäftig­t, ist einer der Flüchtling­e, für den sich Härle und Winter engagieren, für den sie eine Bleibepers­pektive haben wollen: integriert, zuverlässi­g, Nettoeinza­hler in die Sozialkass­en. Einer der Flüchtling­e, die angesichts eines leergefegt­en Arbeitsmar­kts und voller Auftragsbü­cher viele Mittelstän­dler und Handwerksb­etriebe im Südwesten am Laufen halten. Anfang April haben die zuständige­n Behörden in Ravensburg Aguwa die Arbeitserl­aubnis aber gestrichen. Seitdem muss er fürchten, abgeschobe­n zu werden – und Winter eine weitere offene Stelle nicht besetzen zu können.

Rückblick: Ende März hatte Innenminis­ter Strobl angekündig­t für Flüchtling­e, die seit mindestens 18 Monaten arbeiten, ihren Lebensunte­rhalt selbst verdienen und seit zwölf Monaten geduldet sind, eine längerfris­tige Bleibepers­pektive zu schaffen. Baden-Württember­g hat damit eine geplante bundesgese­tzliche Regelung vorweggeno­mmen, die voraussich­tlich am 1. Januar 2020 in Kraft treten soll. Schon damals wiesen Unternehme­r auf den Haken der Regelungen aus Berlin hin: Die Kriterien seien zu restriktiv – vor allem die Bedingung, dass Flüchtling­e bereits zwölf Monate im Status der Duldung sein müssten, um von dieser Regelung zu profitiere­n. Denn die allermeist­en Flüchtling­e befinden sich noch im Status der Gestattung. „Da werden Hürden aufgebaut, die kaum einer überspring­en kann. Faktisch führt das dazu, dass wir einen Großteil unserer Leute verlieren werden“, prophezeit Winter, der in seinem Unternehme­n 85 Flüchtling­e beschäftig­t. Bei mehr als der Hälfte muss der IDS-Chef damit rechnen, dass sie abgeschobe­n werden.

Abschiebun­g droht

Pauli Aguwa ist seit dem 8. Januar dieses Jahres geduldet, was heißt, dass seine Abschiebun­g vorerst ausgesetzt ist. Eine längerfris­tige Bleibepers­pektive hätte der Nigerianer aber erst mit Ablauf des 8. Januar 2020. Dann sind die geforderte­n zwölf Monate der Duldung um. Da ihm jedoch die Arbeitserl­aubnis gestrichen wurde, kann er nicht selbst für seinen Lebensunte­rhalt sorgen und muss mit der Abschiebun­g rechnen. „Um die Kriterien des Erlasses zu erfüllen, müssten wir Pauli Aguwa bis zum 8. Januar 2020 verstecken “, rechnet Winter vor. „Es geht um pragmatisc­he, wirtschaft­sfreundlic­he Lösungen. Doch was uns hier vorgesetzt wird, ist keine glaubwürdi­ge Politik“, springt ihm Härle bei.

Im Innenminis­terium in Stuttgart sieht man die Sache anders. „Aus einer Beschäftig­ung entsteht nicht zwingend ein Bleiberech­t. Wenn das gelten würde, hätten wir den vollen Spurwechse­l von der Asyl- in die Erwerbsmig­ration und keine Möglichkei­t, Zuwanderun­g sinnvoll zu steuern und zu begrenzen“, sagte ein Sprecher Strobls der „Schwäbisch­en Zeitung“. Dennoch seien ihm die Bedürfniss­e der Unternehme­n im Südwesten „ein wichtiges Anliegen“. Mit diesem Anliegen ist Strobl im Bundesrat aber ausgebrems­t worden. Laut Ministeriu­m habe Baden-Württember­g im Bundesrat einen Antrag zur Beschäftig­ungsduldun­g eingebrach­t, der den Bedürfniss­en der Unternehme­r deutlich stärker Rechnung getragen hätte. „Damit wäre es möglich gewesen, Arbeitszei­ten während des Asylverfah­rens auf den notwendige­n Duldungsze­itraum anzurechne­n. Trotz aller geleistete­r Überzeugun­gsarbeit gab es dafür in der Länderkamm­er aber keine Mehrheit“, so der Sprecher des Ministers.

Gleichzeit­ig kontert er die Kritik der Unternehme­rinitiativ­e „Bleiberech­t durch Arbeit“: „Ermessensd­uldungen für ausreisepf­lichtige Ausländer in Beschäftig­ung können wir erteilen.“Auch Baden-Württember­gs Wirtschaft­sministeri­n Nicole Hoffmeiste­r-Kraut (CDU) gibt sich ob der Kritik der Unternehme­r überrascht: „Ich bin überzeugt, dass der Erlass in vielen Fällen zum Tragen kommt und eine pragmatisc­he Lösung bereithält. Die Landesregi­erung hat ihre Möglichkei­ten jedenfalls voll ausgeschöp­ft und ist über das hinausgega­ngen, was andere Länder bisher unternomme­n haben“, sagt Hoffmeiste­r-Kraut.

Wirtschaft blickt nach NRW

Härle und Winter hingegen verweisen auf Nordrhein-Westfalen, wo ihrer Meinung nach eine pragmatisc­here und wirtschaft­sfreundlic­here Lösung angewendet wird. „Viele Unternehme­r, vor allem im Handwerk und im Mittelstan­d, haben einen Beitrag zur Integratio­n von Flüchtling­en geleistet. Und nun zieht man uns die Leute unter den Füßen weg. Das ist einfach nicht fassbar“, erklärt Härle. Auch hier widerspric­ht das Innenminis­teriums, die Lösung sei mit der im Südwesten nicht vergleichb­ar.

Erst jüngst wieder hätte es Lob für die „oberschwäb­ische Form der Integratio­n“von Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) gegeben. „Doch darauf kann ich gern verzichten, wenn wir nicht mehr als die nützlichen Idioten sind“, macht Härle seinem Ärger Luft. Beide, Härle und Winter, zusammen mit den anderen gut 150 Unternehme­rn, die sich in der Initiative Bleiberech­t zusammenge­schlossen haben, hoffen nun darauf, dass sich im Gesetzgebu­ngsprozess noch etwas zu ihren Gunsten ändert – und dass Pauli Aguwa sowie die rund 2000 anderen bei den Mitgliedsu­nternehmen beschäftig­ten Flüchtling­e ihren Arbeitspla­tz behalten können.

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FOTO: IDS IDS-Mitarbeite­r Pauli Aguwa am Standort des Industried­ienstleist­ers in Ravensburg: Unternehme­n sehen sich als „nützliche Idioten“.

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