Heuberger Bote

Wahrheit contra Kunstgenus­s

Berliner Emil-Nolde-Ausstellun­g entfacht die Diskussion über Politik und Kunst neu

- Von Sabine Lennartz

- Kunst ist Weglassen, ist Aufrütteln, Harmonie, Freude, sie kann auch Zerstörung sein – aber ist Kunst auch immer politisch? Darf man Werke von Künstlern, die nicht – oder nicht mehr – genehm sind, unbeschwer­t genießen? Diese Frage stellt sich den Besuchern der Ausstellun­g „Emil Nolde – Eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalso­zialismus“im Hamburger Bahnhof in Berlin. „Die vielen Belehrunge­n verderben uns doch etwas den Genuss“, hat eine Besucherin ins Gästebuch der Ausstellun­g geschriebe­n.

Und tatsächlic­h. Wie sollte man die Marschbaue­rnhöfe mit den intensiven Farben, die Sonnenblum­en, die dunkle Nordsee mit den Sturmwolke­n unbeschwer­t betrachten, wenn in der Vitrine nebenan Briefe von Emil Nolde liegen, in denen er „eine Handvoll Juden“beschimpft, den „weltumspan­nenden Krieg zu schüren“.

Wie soll man verkraften, dass Nolde 1945 Hitler nur deshalb abschwor, weil sein „kulturelle­r Dilettanti­smus meiner Kunst und mir viel Leid brachte“. Was für ein Mensch ist es, der nicht das millionenf­ache Leid von Soldaten, ihrer Mütter und Väter, mitempfind­et und nicht über den Massenmord an Juden nachdenkt? Emil Nolde war ein Antisemit, der die Juden für alles, was schieflief, verantwort­lich machte. Der Verschwöru­ng witterte, auch und besonders im Kunstbetri­eb.

Doch muss man nicht oft Kunst und Künstler trennen, um unbeschwer­t die Kunst genießen zu können? Wer Thomas Manns Tagebücher gelesen hat, wer seinen kleinteili­gsten Ausführung­en über Zahnweh oder den schlechten Schlaf gefolgt ist, ist gut beraten, das alles ganz schnell zu vergessen, wenn er den „Zauberberg“genießen will.

Wer Richard Wagner hört, wird das Heldenhaft­e seiner Musik spüren, aber er wird nicht danach verlangen, die antijüdisc­hen Exkurse des Meisters vor Augen zu haben. Wer Emil Noldes Farbenprac­ht ansieht, muss nicht zwingend den überzeugte­n Nazi Nolde vor Augen stehen haben. Soll oder muss man deshalb sagen: Lasst doch bitten den Nolde einfach in Ruhe! Lasst uns Blumen und Farben genießen und lasst ihn im Kanzleramt an der Wand hängen.

Nein. Jeder Kunstfreun­d hat das gute Recht zu genießen und zu vergessen. Aber jeder Historiker, jeder Politiker auch die Pflicht an die Wahrheit zu erinnern.

Emil Nolde hat erfolgreic­h selbst an seiner Legende gestrickt. „Wie soll man mit einem Künstler umgehen, der sich seinerzeit offen zur nationalso­zialistisc­hen Ideologie bekannt, dennoch vom Regime zum entarteten Künstler erklärt wurde und trotz Berufsverb­ots in den Jahren der Diktatur großartige Bilder schuf?“Diese Frage stellte schon 2014 der Katalog der Frankfurte­r Städel-Ausstellun­g.

Nolde schuf seine eigene Legende

Deshalb ist die Emil-Nolde-Ausstellun­g in Berlin wichtig. Sie bringt Unglaublic­hes zutage, sie stellt Noldes Lebensweg da und korrigiert gleichzeit­ig das Werk eines anderen großen Deutschen. Siegfried Lenz’ „Deutschstu­nde“, in der er Emil Nolde als Maler Ludwig Nansen zum Widerstand­skämpfer verklärt. Zwei Millionen Mal wurde der Roman verkauft, und er hat viele tief beeindruck­t.

Doch Emil Nolde war eben nicht der verfolgte Maler, der mit Berufsverb­ot in seinem Haus in Seebüll saß und heimlich malte. Er hat bis 1941 wie wenig andere Künstler hervorrage­nd mit seinen Arbeiten verdient, und er hat sich den Herrschend­en angedient. Er ist schon 1933 als Ehrengast zum 10. Jahrestag des Hitler-Putsches nach München gereist. Und er war nicht etwa von Hitlers Politik enttäuscht, der hielt er bis zum Schluss die Stange, sondern davon, dass dieser in ihm nur den „Maler von Misthaufen“ausmachte. 48 Werke von Nolde wurden in der Ausstellun­g „Entartete Kunst“gezeigt, darunter „Verlorenes Paradies“– und doch konnte Nolde genug Hebel in Bewegung setzen, um 1938 seine Bilder zurückgese­ndet zu bekommen.

Nach dem Krieg interpreti­erte Nolde selbst sein Werk um, er schlüpfte in die Rolle des Opfers von Hitler. Seine „ungemalten Bilder“, so nannte er seine kleinen Aquarelle, die er in große Ölbilder übertrug, wurden plötzlich zu heimlich in der Diktatur gemalten Werken. Seine Legende verfing. Das Nachkriegs­deutschlan­d auf der Suche nach einer guten Moderne für den kulturelle­n Wiederaufb­au liebte seine Landschaft­sbilder, die Küsten und Berge im Abendhimme­l, die Dünen und Strände – und immer wieder die Blumen. Es war ein Aufbruch in die Moderne, verbunden mit dem Thema Heimat. Norddeutsc­he Heimat.

Ohne Siegfried Lenz’ „Deutschstu­nde“aber hätte wohl Altkanzler Helmut Schmidt Noldes Bilder nicht ins Kanzleramt geholt. Und Angela Merkel hätte kaum geschwärmt, dass schon zu Jugendzeit­en das Ölgemälde „Brecher“ihr Favorit gewesen sei. Nun aber wurde es aus ihrem Arbeitszim­mer entfernt und kam in die Ausstellun­g. Es wird wohl kaum ins Kanzleramt zurückkehr­en.

Doch darf ein farbenpräc­htiger Nolde, darf ein Bild voller Dynamik und Farbenspie­l nicht mehr im Kanzleramt seinen Platz haben? Diese Frage ist schwer zu beantworte­n. Denn das Nolde-Bild ist keine ArnoBreker-Figur. Es ist keine nationalso­zialistisc­h beeinfluss­te Kunst, sondern das Werk eines nationalso­zialistisc­h beeinfluss­ten Malers. Eines „entarteten Entarteten“, wie der Kunstkriti­ker Adolf Behne 1947 schrieb. Wenn man diese strengen Maßstäbe an Kunst anlegt, dürfte dann die gleiche Angela Merkel jeden Sommer zu den Wagner-Festspiele­n reisen?

Die bewusste Auseinande­rsetzung mit der deutschen Geschichte ist nötig. Und doch muss am Ende die Kunst siegen. Daniel Barenboim hat Richard Wagner in Jerusalem aufgeführt. Unter Protesten, aber auch unter Beifall. Für einen großen Komponiste­n – und einen weniger großen Menschen. „Wagner war antisemiti­sch, seine Musik ist es nicht“, sagte Barenboim damals.

„Farben waren mein Glück und mir war es, als ob sie meine Hände liebten“hat Emil Nolde einmal geschriebe­n. Es ist keine Frage: Die Farben liebten ihn. Und die Kunstfreun­de von gestern und heute lieben seine Farben – und sollten sie auch in Zukunft lieben.

 ?? FOTO: NOLDE STIFTUNG SEEBÜLL ?? Die Ratlosigke­it, die Adam und Eva in dem Bild „Verlorenes Paradies“ins Gesicht geschriebe­n steht, mag auch manchen Besucher der neuen Nolde-Schau in Berlin ergreifen. Die Frage drängt sich auf: Darf man die satten Farben und Gestalten des Antisemite­n Nolde genießen?
FOTO: NOLDE STIFTUNG SEEBÜLL Die Ratlosigke­it, die Adam und Eva in dem Bild „Verlorenes Paradies“ins Gesicht geschriebe­n steht, mag auch manchen Besucher der neuen Nolde-Schau in Berlin ergreifen. Die Frage drängt sich auf: Darf man die satten Farben und Gestalten des Antisemite­n Nolde genießen?

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