Da lachen ja die Hühner!
Der Verein „Rettet das Huhn“bewahrt Zehntausende Tiere vor dem Schlachthof – Einige beginnen ihr zweites, glückliches Leben auf einem Hof in Oberschwaben
Zur Hühner-Pazifistin ist Martinovic vor fünf Jahren geworden, als sie nach Ittenhausen (Landkreis Biberach) zog. Die Vegetarierin wollte wissen, wo die Eier herkommen, die sie für Spätzle und Kuchen verquirlt. Also wählte sie den sichersten Weg und schaffte sich für ihren großen Garten Hühner an, erst über den Handel, dann über „Rettet das Huhn“. Der Verein hat schon Zehntausende Legehennen vor dem sicheren Tod bewahrt, auch dank Ehrenamtlichen wie Carmen Martinovic, die sagt: „Ich mache das aus ethischen Gründen – mir geht es um das Tierwohl.“
Viel zu lachen haben Hühner in der Tat nicht. Das Leben als Legehenne bemisst sich vielmehr in Zahlen, in Kalkulationen und Kosten, in Gewinn und Verlust, in Leistung und ganz am Ende in Leistungsverlust.
„Eine Legehenne ist eine Henne, die besonders viel Eier legt“, heißt es lapidar in einem Lexikoneintrag. Pro Henne sind es durchschnittlich 298 Eier im Jahr, das entspricht knapp 0,82 pro Tag. In Deutschland werden mehr als 50 Millionen Legehennen gehalten, die rund zwölf Milliarden Eier produzieren, welche wir auf verschiedenste Weise verspeisen. Die Käfighaltung (Legebatterien) ist seit 2010 verboten, die Bodenhaltung wird bevorzugt. Dabei leben die Hennen laut Albert-Schweizer-Stiftung nicht selten in großen Hallen in Gruppen von 6000 Tieren, bei einem Platzangebot von neun Hennen pro Quadratmeter.
Laut Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft stellen strenge Regelungen „sicher, dass die Geflügelaufzucht so tierfreundlich wie möglich gestaltet wird, die Erhaltung der Tiergesundheit gesichert wird ...“. Davon profitieren männliche Küken meist allerdings nicht, weil sie, was der Bund aktuell ändern möchte, massenhaft getötet werden. Ihr Nachteil: Hähne legen keine Eier.
Und Hühner zunehmend weniger: „Nach 15 bis 17 Monaten lässt die Legeleistung nach“, erklärt Martinovic. „Dann überlassen uns die Betriebe die Hennen kostenlos. Dadurch sparen sie sich die Transportkosten zum Schlachthof.“Der Wert einer Henne liegt also zu diesem Zeitpunkt oftmals unter den Entsorgungs- oder Verwertungskosten.
Es hätte daher nicht viel gefehlt und unser Hahn und seine Hennen würden auf dem Parkplatz einer Schlachtanlage stehen und nicht unweit von Riedlingen. Doch die Vögel wissen noch nichts von ihrem Glück – und auch nicht von Viviane Roth. Die Gärtnerin bekommt ein Huhn nach dem anderen von Carmen Martinovic gereicht, sechs insgesamt – und unseren Hahn. Der lässt seinen roten Kamm schlaff am Kopf hängen und starrt, als ob er sich eher in einem Schlachthof wähnen würde, als auf einem Bauernhof.
Dort geht die kurvenreiche Fahrt jedoch hin, nach Attenweiler im Landkreis Biberach, wo Ehemann Stefan, ein Illustrator, und Sohn Marlon (9) schon auf die Neuankömmlinge warten. Schnell werden die Käfige ausgeladen und hinter das 100 Jahre alte Gebäude getragen, das idyllisch an einem Weiher liegt. Dann ist der große Augenblick gekommen: Die Körbe klappen auf, Hühner und Hahn springen raus, laufen aufgeregt umher. Andere Hühner eilen zur Begrüßung herbei, zwei Hängebauchschweine schnuppernd und grunzend auch. Eines der Schweine läuft, den Schwanz heftig wedelnd, zu unserem Hahn – der panisch die Flucht ergreift.
In einer Ecke des Geländes knabbern Kaninchen an Grünzeug, Katzen streunen über Hof und Wiesen. Und erst der Hühnerstall: Eine Holzhütte wie aus dem Bilderbuch, ausgestattet mit reichlich Stroh und einer Wärmelampe. Und ja, vielleicht spüren es die neuen Mitbewohner schon: Das muss das Hühnerparadies auf Erden sein.
„Die sehen aber noch gut aus“, freut sich Stefan Roth. „Wir haben schon Hühner aufgenommen, die musste man zusammenkleben“, mit blutigem Hintern, nacktem Hals und zerpicktem Federkleid, berichtet er, „ausgebrannt und ohne lange Lebenserwartung“. Hier im weitläufigen Hof tun die Hennen, was Hennen am liebsten tun: Die Umgebung erkunden, nach Insekten, Würmern und Körnern picken, sich bezirzen und beschützen lassen von einem Hahn. Wenn dieser nicht gerade vor einem Hängebauchschwein flieht.
Freude über frische Eier
„Auch die Schweine waren einst für die Pfanne gedacht“, sagt Stefan Roth, die genauso wie Kaninchen, Katzen und Hühner bei der Familie Obhut fanden. „Es gibt uns ein gutes Gefühl, diesen Tieren ein lebenswertes Dasein zu bescheren“, sagt Viviane Roth, die als Veganerin nicht einmal die Eier der geretteten Hennen selber verwertet. Die die Nutztiere von ihren Nutzen für den Menschen entledigt.
Nicht alle Hühner-Retter gehen so weit, nicht alle leben vegetarisch oder vegan. Ingrid Schwochow aus Gutenstein bei Sigmaringen etwa nimmt auf dem Parkplatz vier Legehennen entgegen, die künftig in den Gärten einer Gemeinschaft von Nachbarn leben. „Und alle freuen sich auf frische Eier“, sagt die 48-Jährige. Noch mehr würde allerdings das „friedliche Bild“erfreuen, wenn die Hühner gackernd zwischen den Beeten herumstolzieren und die Gärten mit Leben erfüllen. Die Massentierhaltung, die den Massenbedarf der Menschen befriedigt, sie ist zumindest in diesen Momenten weit weg. „Die Welt können wir nicht ändern“, sagt Ingrid Schwochow. „Aber wir können die Welt für diese Hühner ändern.“
Und, nicht zu vergessen, auch für einen Hahn. Der sich in seinem neuen Reich in Attenweiler akustisch bemerkbar machen will: „Kiker...riiii...kii...“Nun, das Krähen, das geht besser, das wird noch geübt. Auf jeden Fall ist der stolze Vogel auf gutem Weg sprichwörtlich ein Hahn im Korb zu werden. Auch wenn er seinen größten Fan einstweilen in einem Schwein hat.