„Man kann dem FSME-Risiko nicht mehr ausweichen“
Die Parasitologin Ute Mackenstedt von der Universität Hohenheim erklärt, wie man sich wirkungsvoll vor Zeckenstichen und ihren Folgen schützen kann
2
018 war ein Rekordjahr für FSME: Bundesweit erkrankten 583 Menschen an der eigentlich vermeidbaren Frühsommer-Meningoenzephalitis, einer durch Viren ausgelösten Entzündung der Hirnhäute und des Gehirns. Womit 2019 zu rechnen ist, wie man sich gegen FSME schützen kann und weshalb man Zecken einsammeln sollte, darüber hat Andrea Mertes mit der Parasitologin Professor Ute Mackenstedt von der Universität Hohenheim in Stuttgart gesprochen.
Frau Professor Mackenstedt, die Zecken-Saison hat begonnen. Wenn ich bestimmte Regionen meide, bin ich dann geschützt vor einer FSME-Erkrankung?
Das Robert-Koch-Institut benennt jedes Jahr die FSME-Risikogebiete in Deutschland, also jene Gebiete, in denen die meisten Infektionen auftreten. Nach wie vor geschieht das zu 95 Prozent in Baden-Württemberg und Bayern. Doch es gibt auch einzelne Fälle in Norddeutschland, Brandenburg oder Berlin, das Emsland ist neu als FSME-Risikogebiet hinzugekommen. Man kann dem FSME-Risiko in Deutschland nicht mehr ausweichen.
Wie erkenne ich, ob ich FSME habe?
Die Krankheit verläuft in zwei Phasen. Zunächst treten grippeähnliche Symptome auf und man bekommt Fieber. Das hält ungefähr eine Woche an. Bei vielen ist nach dieser ersten Fieberkurve Schluss, sie haben keine Beschwerden mehr. Bei etwa 30 Prozent der Betroffenen treten die Symptome jedoch wieder auf, das Fieber steigt wieder. In dieser Phase befallen die FSME-Viren die Hirnhäute, das Gehirn oder das Rückenmark, es kommt zu Entzündungen. Die Folge können Bewusstseinsstörungen sein, Lähmungen in Armen und Beinen oder der Gesichtsmuskulatur. In den meisten Fällen heilt die Infektion folgenlos aus. Doch es gibt eben kein wirksames Mittel gegen FSME. Deshalb sage ich: Bevor ich Viren die Möglichkeit eröffne, mein Gehirn zu befallen, lasse ich mich lieber impfen.
Die Impfung bietet einen zuverlässigen Schutz gegen FSME?
Wenn sie ordentlich durchgeführt wird, ist das so. Sie besteht aus drei Teil-Immunisierungen. Die ersten beiden erfolgen innerhalb eines Monats, die dritte nach neun bis zwölf Monaten. Gesunde Erwachsene sollten die Impfung nach fünf Jahren auffrischen. Wer älter ist als 60 Jahre, sollte bereits nach drei Jahren nachimpfen, weil das Immunsystem im höheren Lebensalter schwächer wird.
Sollte man auch Kinder impfen?
Nach dem, was wir derzeit über FSME wissen, würde ich dazu raten. Denn auch Kinder können infiziert werden – so hatten wir 2018 mehrere FSME-Fälle in einem Waldkindergarten. Und: Erkrankte Kinder zeigen häufiger als bisher bekannt neurologische Auffälligkeiten. Eine aktuelle schwedische Studie hat über mehrere Jahre Kinder begleitet, die an FSME erkrankt sind. Zwei Drittel hatten mit kognitiven Veränderungen zu kämpfen und mit Problemen wie Konzentrations- und Lernschwierigkeiten.
Wie gut helfen chemische Abwehrmittel gegen Zecken?
Sie sind kein 100-prozentiger Schutz, aber sie helfen. Die bekannteste Zeckenart ist der Gemeine Holzbock. Diese Zecke ist blind, besitzt aber ein spezielles Organ zur Geruchserkennung, mit der sie ihren Wirt wahrnimmt. Da helfen chemische Duftstoffe schon, dass die Zecke lieber wegbleibt. Ansonsten hilft schützende, lange Kleidung, damit sie nicht bis zur Haut vordringen kann.
Und wenn sie doch zugestochen hat? Was bringt das Entfernen mit der Zeckenpinzette?
Bei FSME so gut wie nichts, denn die Viren wandern innerhalb einer Viertelstunde nach dem Stich in das Blut über. Da haben Sie eigentlich keine Chance. Eine schnelle Entfernung schützt Sie lediglich gegen Borreliose, weil Borrelia-Bakterien erst etwa zwölf Stunden nach Beginn der Blutmahlzeit übertragen werden.
Sie haben einen Aufruf gestartet, Zecken in Ihr Institut einzuschicken. Was hat es damit auf sich?
Es gibt in Deutschland erste Funde der tropischen Hyalomma-Zecke, die ursprünglich aus Afrika, Asien und Südeuropa stammt. Vermutlich wurde sie von Vögeln eingeschleppt. Und der Klimawandel scheint ihr zu ermöglichen, auch dauerhaft in Deutschland Fuß zu fassen. Die Hyalomma-Zecke ist fünfmal größer als der Gemeine Holzbock. Und sie ist – anders als er – eine Jagdzecke. Sie kann uns sehen, sie reagiert auf Bewegung, sie ist schnell. Sie erkennt Warmblütler auf Distanzen von bis zu zehn Metern und kann sie über mehrere 100 Meter verfolgen. Wir wissen noch nicht, welche Krankheiten sie übertragen kann, doch wir wollen mehr über sie wissen, über ihre Ausbreitung und mögliche Gefahren. Deshalb bitten wir die Bevölkerung um Mithilfe. Wir sind dankbar um jede Zecke, die wir im Labor erforschen können.
Sie freuen sich über jede Einsendung?
Ja! Und wir antworten auch mit detaillierten Informationen, per Mail oder Post. Bisher haben wir an die 600 Zecken eingeschickt bekommen, eine Hyalomma war allerdings noch nicht dabei. Vor allem Pferdehalter sollten beim täglichen Striegeln aufmerksam sein, weil die Hyalomma gern große Säugetiere befällt. Die festgebissene Zecke kann man am besten mit einer Pinzette entfernen und in einer kleinen, festverschlossenen Box an uns senden.
Wie kommt man eigentlich dazu, sich beruflich mit Zecken zu beschäftigen?
Oh, ich finde Zecken faszinierend. Aus Bernstein-Funden weiß man, dass Zecken schon seit 100 Millionen Jahren auf der Erde leben. Sie müssen also bereits das Blut von Dinosaurieren getrunken haben. Zecken sind ein uralter Organismus. Sie können jahrelang hungern und überleben dennoch. Und sie haben ihre Lebensweise in den Jahrmillionen nicht verändert, im Gegensatz zu fast allem, was wir in der Evolution finden. Sie sind ein echtes Erfolgsmodell der Natur.