„Europa hat zum Wohlstand beigetragen“
EU-Abgeordneter Schwab spricht über die Auswirkung europäischer Politik auf den Kreis
- In gut fünf Wochen findet die Europawahl statt. Andreas Schwab (CDU), der den Landkreis Tuttlingen in Straßburg vertritt, will wieder in das EU-Parlament einziehen. Im Gespräch mit Redakteur Matthias Jansen spricht er darüber, wie die EU von den Bürgern wahrgenommen wird, wie sich die Arbeit der Europäischen Union auf den Landkreis auswirkt und wie es mit der Medizinprodukte-Verordnung weiter gehen kann.
Gegenüber der Europäischen Union gibt es in der Bevölkerung durchaus Skepsis. Können Sie das verstehen?
Ich glaube, dass es bei den Menschen eine große Unterstützung für die europäische Idee gibt: Freiheit, Frieden, Sicherheit und wirtschaftliche Entwicklung. Wenn man die Lage im Jahr 2019 zusammenfasst, hat die EU davon fast 100 Prozent erreicht. Viele Bürger – auch im Landkreis Tuttlingen – nehmen das große Ganze allerdings nur bedingt wahr. Nicht die erfolgreiche Zusammenarbeit der europäischen Staaten wird gesehen, sondern es werden eher einzelne Dinge gesehen, die aus dem Zusammenhang gerissen für Widerspruch sorgen, zum Beispiel die DatenschutzGrundverordnung. Es wird viel zu wenig erklärt. Es wäre aber nötig, aufzuzeigen, warum die Entscheidungen so und nicht anders gefallen sind.
Was haben die Menschen im Landkreis denn konkret von der EU?
Die Menschen im Landkreis können stolz sein, dass sie die meisten EUFördermittel nicht brauchen. Es gibt zwar Programme, die auch in dieser Region ankommen, vor allem in der Landwirtschaft oder für die duale Hochschule. Aber die Region ist insgesamt wirtschaftlich so stark, dass sie die finanziellen Mittel selbst beschafft. Die kleinen und mittelständischen Unternehmen der Region profitieren sehr davon, dass der europäische Markt offen und dass die Fairness im Binnenmarkt gewährleistet ist. Europa hat einen Großteil zum Wohlstand beigetragen. Produkte können in einem friedlichen Europa mit stabiler Währung viel einfacher abgesetzt werden.
Zwei Gesetze – die DatenschutzGrundverordnung und die Medizinprodukte-Verordnung – sind nicht wirklich gut bei den Bürgern und Unternehmen angekommen. Müssen Sie sich die Kritik gefallen lassen oder eher die Abgeordneten in Berlin wegen der Umsetzung der Vorgaben?
Es ist egal, welcher Gesetzgeber dafür verantwortlich ist. Es hilft auch nicht, die Verantwortung hin- und herzuschieben. Bei der DatenschutzGrundverordnung ist die Angst von Eltern und Vereinsvorständen gewesen, dass sie sich eine Abmahnung einfangen. Das ist aber eine rein deutsche Angst, die nirgendwo anders besteht. In Österreich haben sie beispielsweise die Ahndung des Erstverstoßes ausgesetzt. Das müssten wir auch in Deutschland hinbekommen. Generell wissen die Bürger, dass Datenschutz wichtig ist und das Vorhaben der EU wird im Prinzip unterstützt.
Und die Medizinprodukte-Verordnung?
Dabei ist zu berücksichtigen, dass aufgrund des Brustimplantate-Skandals der politische Druck hoch war, die bestehende Richtlinie zu überarbeiten. Jetzt gibt es eine einheitliche Regelung für ganz Europa, die auch den deutschen Unternehmen nützt, weil alle Hersteller in Europa nun die gleichen Standards erfüllen müssen.
Aber optimal ist diese Verordnung nicht.
Das Gesetz ist zu bürokratisch. Das haben wir bei der Beratung schon bemerkt und verhindern wollen. Als CDU/CSU haben wir für die notwendigen Änderungen leider keine Mehrheit gehabt.
Beim Besuch von Landeswirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut in Tuttlingen hieß es jüngst, dass Unternehmen der Medizintechnikbranche mit weniger als 20 Mitarbeitern bis Ende Mai aufgeben müssen.
Ich habe immer gesagt, dass wir die Innovationskraft der kleinen und mittleren Unternehmen im Markt erhalten müssen. Sollten kleine Unternehmen zum Aufgeben gezwungen sein, würden vor allem die Patienten leiden. Das ist nicht gewollt, aber im Mittelpunkt steht die Patientensicherheit. Jeder Zweifel an der Patientensicherheit ist schädlich für die Unternehmen, auch in der Region. Ich hoffe, dass es gelingt, die Verordnung nach der Wahl so zu überarbeiten, um pragmatische Lösungen zu ermöglichen.
Wie können die aussehen?
Erstens müssen die Benannten Stellen als Zertifizierer einsatzfähig sein, damit die Unternehmen aus der Region ihre Produkte auch zertifizieren können. Bisher gibt es nur eine Stelle, die in Großbritannien sitzt. Zweitens muss es einen Übergangsprozess für das Inkrafttreten geben. Das betrifft Produkte, die bisher nicht oder anders gekennzeichnet waren. Ich war ausdrücklich dagegen, die Klassifizierung einfacher chirurgischer Instrumente zu ändern. Aber es wurde beschlossen, weil man beispielsweise auch mit einer Schere sensible Eingriffe durchführen kann. Da ist die Frage, wie viel gesunder Menschenverstand bei dieser Entscheidung dabei war.
Was wahrscheinlich alle Bürger interessiert: Wie realistisch ist es, dass es zu einem Brexit kommt?
Das kann heute niemand mit Sicherheit sagen. Deswegen sind Prognosen zu riskant. Das Problem ist, dass die britische Politik nur weiß, wogegen sie eintritt, aber nicht wofür. Die Briten müssen sich jetzt entscheiden, ob und wie sie austreten wollen. Die EU kann ihnen die Entscheidung nicht abnehmen. Die Lähmung der britischen Politik macht uns als Europäer insgesamt lächerlich.
Womit können die Unternehmen rechnen?
Ich glaube, dass eine Einigung auf Basis des Austrittsabkommens von Theresa May erreicht werden kann – vielleicht sogar noch um eine Zollunion erweitert. Beides wären gute Nachrichten für die Unternehmen.