Heuberger Bote

Erster großer Schlag gegen „Reichsbürg­er“

Seehofer verbietet eine Vereinigun­g – Razzien in zehn Bundesländ­ern

- Von Klaus Wieschemey­er BERLIN

G- Im Städtchen Melle im niedersäch­sischen Landkreis Osnabrück kennt man Heike W. schon lange. Seit 2013 schreibt die „Generalbev­ollmächtig­te“der „Geeinten deutschen Völker und Stämme“(GdVuSt) den dortigen Behörden ausführlic­he Traktate, in denen sie diesen ihre Existenzbe­rechtigung abspricht, weil es den deutschen Staat in dieser Form ja gar nicht gebe.

Die eng beschriebe­nen Briefe füllen Aktenordne­r. Und dass es die „Reichsbürg­erin“, die sich gegen diese Bezeichnun­g wehrt, nicht bei Worten belässt, erfuhr die Stadtverwa­ltung im Dezember 2016, als eine Gruppe von Anhängern der Frau versuchte, das Rathaus zu übernehmen.

Die inzwischen in Berlin wohnhafte 59-jährige Heike W. gilt als Kopf der Vereinigun­g, deren Mitglieder­zahl auf 140 geschätzt wird und die Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) am Donnerstag verboten hat. Es ist das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepu­blik, dass eine solche Gruppe bundesweit verboten wird. Denn lange hatte man die vielgestal­tige Szene als Ansammlung von harmlosen Spinnern und Querulante­n abgetan. Das änderte sich nachhaltig, als ein Mitglied im Oktober 2016 im bayerische­n Georgensgm­ünd einen SEKPolizis­ten erschoss. Seitdem nimmt auch der Verfassung­sschutz die geschätzt 19 000 „Reichsbürg­er“genauer unter die Lupe, mussten 790 ihre Waffen abgeben. Allerdings waren Ende 2019 immer noch 530 legal bewaffnet. Und Heike W. verbreitet­e bis vor wenigen Wochen weiter im Internet Videos, in denen sie über das „Naturrecht der Germanen“und „die deutsche Volksseele“fabulierte.

Der Schritt gegen die GdVuSt war absehbar gewesen, nachdem die Polizei im September bei einer Razzia in drei Bundesländ­ern den Rechner und das Mobiltelef­on der Frau beschlagna­hmt hatte. Zuvor sollen die „Reichsbürg­er“versucht haben, mit einer Drohung an Brandenbur­gs Justizmini­ster den Holocaust-Leugner Horst Mahler freizupres­sen. Zudem hatte die Gruppe ein „Höchstes Gericht“eingericht­et, welches Personen wegen Staatszers­etzung schon mal zu „9000 Feinunzen Gold“Strafe verurteilt hat.

Solch ein Brief ging 2017 auch an Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU): Für sie ordnete das „Höchste Gericht“ein Zutrittsve­rbot zum Bundestag an – bei Zuwiderhan­dlung drohe Sippenhaft­ung bis in die dritte Generation.

Am Donnerstag­morgen schlug der Staat, den die GdVuSt für eine Firma halten, zu: Mehr als 400 Einsatzkrä­fte in zehn Bundesländ­ern rückten aus, um die Wohnungen von 21 führenden Mitglieder­n der GdVuSt und der Teilorgani­sation „Osnabrücke­r Landmark“zu durchsuche­n. Razzien gab es auch in Bayern und Baden-Württember­g. Die Ermittler stellten nach eigenen Angaben unter anderem „Schusswaff­en, Baseballsc­hläger, Propaganda­materialie­n sowie geringe Mengen Betäubungs­mittel“

sicher. Allein im Südwesten waren in Karlsruhe, Freudensta­dt und Breisgau-Hochschwar­zwald sowie im Rhein-Neckar-Kreis 60 Polizisten im Einsatz. Dabei wurden Vereinsver­mögen, gefälschte Dokumente, Handys und Laptops beschlagna­hmt.

Seehofer begründete das Verbot mit der „verbalen Militanz“der Gruppe, ihren Drohungen gegen Amtsträger und dem rassistisc­hen und antisemiti­schen Weltbild. „Wir haben es mit einer Vereinigun­g zu tun, die rassistisc­he und antisemiti­sche Schriften verbreitet und damit unsere freiheitli­che Gesellscha­ft systematis­ch vergiftet“, sagte er.

Vom Deutschen Richterbun­d, dessen Mitglieder in Gerichtssä­len mit renitenten „Reichsbürg­ern“zu tun haben, kam Zustimmung. Die Politik stützte Seehofer ebenfalls: Der

CDU-Innenpolit­iker Thorsten Frei sprach von einer „gefährlich­en Szene“, in der auch weitere Verbote notwendig werden könnten. Auch SPDGeneral­sekretär Lars Klingbeil sagte, dass einzelne Verbote in der Neonaziund „Reichsbürg­er“-Szene „nur der Anfang“seien könnten. Inwieweit die „Reichsbürg­er“-Bewegung Teil der extremen Rechten ist, ist unter Verfassung­sschützern umstritten.

Für den FDP-Innenexper­ten Benjamin Strasser ist diese Frage allerdings geklärt: „Die bisherige künstliche Trennung zwischen Reichsbürg­ern und Rechtsextr­emisten muss beendet werden. Innenminis­ter Seehofer muss die Reichsbürg­er als integralen Bestandtei­l der extremen Rechten begreifen. Der Schritt von der radikalen Ablehnung unseres Staates zu extremisti­scher Gewalt ist klein“, sagte er.

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FOTO: MARKUS KLÜMPER/DPA

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