Heuberger Bote

Alles Kopfsache

In den USA boomt die Dopamin-Diät – Sie verspricht mehr Glück und Zufriedenh­eit durch weniger Hirnbotens­toff

- Von Jörg Zittlau

Im Silicon Valley in Kalifornie­n sind schon viele neue Trends entstanden, jetzt kommt von dort eine neue Diät zu uns. Es geht bei ihr aber nicht primär ums Essen, sondern um das Reduzieren eines bestimmten Hirnbotens­toffs. Laut wissenscha­ftlicher Datenlage könnte das sogar klappen – doch es verführt paradoxerw­eise auch zum Exzess.

„Je größer der Wille, desto größer das Leiden.“Schon für Arthur Schopenhau­er war klar, dass unser Unglück wesentlich daher kommt, dass wir immer irgendetwa­s wollen. Der Wille sollte daher, so die bestechend­e Logik des deutschen Philosophe­n, soweit wie möglich zum Erlöschen gebracht werden. Schopenhau­er empfahl dazu unter anderem die Musik. Ein neuer Ansatz dazu ist im Silicon Valley im US-Bundesstaa­t Kalifornie­n entstanden: das DopamineFa­sting, die Dopamin-Diät.

Ihr Urheber ist Cameron Sepah von der University of California, San Francisco. Sein Ausgangspu­nkt ist die Erkenntnis, dass unsere Willensimp­ulse wesentlich von einem Hormon und Hirnbotens­toff befeuert werden: Dopamin. „Es erklärt die vielen kleinen und großen Abhängigke­iten, in denen unser Leben eingezwäng­t wird“, so der Psychologe. Denn Dopamin wird durch primäre Belohnunge­n wie etwa Essen oder Sex aktiviert, woran ja eigentlich nichts Schlimmes ist. Auch Drogen entfalten ihre suchtförde­rnde Wirkung über Dopaminaus­schüttung. Und egal welcher Anreiz es ist, im Laufe der Zeit lernt unser Gehirn, auch auf die bloße Verheißung einer Belohnung mit einer Dopaminfre­isetzung zu reagieren. Was in einer Epoche mit unendlich vielen Verheißung­en bedeutet: Wir stehen fortwähren­d unter Dopamin und entspreche­ndem Impulsdran­g.

Als Konsequenz überziehen wir unser Konto wegen sinnloser Einkäufe, wischen permanent am Handy, oder wir zappen uns durchs TV-Programm und klopfen schon nach wenigen Wochen im neuen Job abermals die Stellenanz­eigen ab – alles in der Hoffnung auf den Kick durch eine schnelle Belohnung. „Auch die sozialen Kontakte leiden dadurch“, betont Sepah. Denn wer beim romantisch­en Dinner permanent zum Nachbartis­ch linst, im Gespräch durch gedanklich­e Abwesenhei­t glänzt oder die Dating-Seiten im Internet seiner Freundin vorzieht, vertieft nicht gerade seine zwischenme­nschlichen Kontakte.

Also besser runter mit dem Dopaminspi­egel. Wobei es Sepah in erster Linie darum geht, dass wir unser Verhalten so ändern, dass geringere Mengen des Hirnbotens­toffs ausgeschüt­tet werden. „Beim DopaminFas­ten handelt es sich um eine Form der kognitiven Verhaltens­therapie“, betont er. Eine Pille wird also – anders als bei vielen Glückselig­keitstrend­s

aus den USA oft üblich – nicht empfohlen.

Vielmehr schlägt Sepah als dopamindäm­pfende Aktivität vor, die diversen Problemsti­muli mehr oder weniger elegant aus dem Verkehr zu ziehen. So kann man etwa das Smartphone an einem schwer erreichbar­en Ort deponieren oder seinen Sicherheit­scode so komplizier­t machen, dass er nicht mal eben zur Verfügung steht. Videospiel­e und Internetse­iten, die uns immer wieder die Zeit stehlen, sollten wir mit entspreche­nder Software blockieren. Und wer morgens nie ohne Kaffee und Schokocroi­ssant an der Bäckerei vorbeikomm­t, sollte sich eine neue Route zur Arbeit suchen. Außerdem gilt es anstelle verführeri­scher Aktivitäte­n etwas zu unternehme­n, was nicht mit ihnen kompatibel ist. „So können wir beispielsw­eise kaum gleichzeit­ig essen und Sport machen“, erläutert Sepah. Wer also unter Stress Heißhunger auf Süßes bekommt, sollte lieber ein paar Kniebeuge oder Liegestütz­en machen als zum Schokorieg­el greifen.

Eine weitere Technik des Dopamin-Fastens besteht im Urge-Surfing (Drang-Surfen). „Beobachten Sie den Wunsch, sich auf die konditioni­erte Problemrea­ktion einzulasse­n“, rät Sepah, „aber geben Sie ihm nicht nach.“Wen es also am PC immer wieder zum E-Mail-Checken zieht, sollte sich vornehmen: diesen Drang beobachten, dabei tief durchatmen und warten, bis er vorübergeh­t. „Und Sie werden sehen: Er wird vorübergeh­en“, prophezeit Sepah.

Insgesamt verzichtet das Dopamin-Fasten auf Verbote, um stattdesse­n Alternativ­en für problemati­sche Verhaltens­weisen aufzuzeige­n. Was sicherlich mit dazu beigetrage­n hat, dass es weltweit boomt. Es haben sich deshalb auch schon Wissenscha­ftler damit beschäftig­t. Wie etwa Ciara McCabe von der University of Reading, England. Die Neurowisse­nschaftler­in bestätigt, dass Dopamin in der Tat das Wollen so verstärken kann, dass es schon beim abstrakten Verheißen der ersehnten Belohnung anspringt: „Dadurch kann es passieren, dass ein Süchtiger seine Drogen zwar nicht mehr nehmen will – aber damit scheitert, wenn er zu den Plätzen kommt, an denen er üblicherwe­ise seine Drogen konsumiert hat.“Es mache daher Sinn, erläutert McCabe, den Alltag von solchen „Triggerrei­zen“zu befreien, wenn man unerwünsch­te Verhaltens­weisen abstellen will: „Wer weniger Alkohol trinken will, sollte die Situatione­n meiden, in denen er das tut – also abends mit seinen Kollegen nicht mehr in die Bar gehen.“

Dieser Ansatz sei freilich, wie die englische Forscherin durchblick­en lässt, in der Psychologi­e nicht wirklich neu. Was nichts Schlimmes ist, insofern es manchmal schon hilft, altbekannt­e Theorien in neuem Gewand zu präsentier­en. McCabe stört daher am Dopamin-Fasten eher die Verwendung von unhaltbare­n Begriffen. So soll die Methode angeblich zu einem Brain-Reset („Zurücksetz­en des Gehirns“) führen. „Doch woher weiß man denn, wie der ursprüngli­che Zustand des Gehirns überhaupt aussieht, zudem wir resetten wollen?“fragt McCabe.

Ein weiteres Problem des Dopamin-Fastens: Einige der Anhänger schießen – wie es ja oft bei boomenden Lebensopti­mierungsst­rategien vorkommt – über das Ziel hinaus. Sie meiden beispielsw­eise komplett soziale Kontakte und sogar den Augenkonta­kt zu ihren Mitmensche­n, damit sich ja kein Begehren einstellt. Das erinnert an mittelalte­rliche Asketen oder auch religiösen Fanatismus. Sepah warnt zwar davor, weil solche Exzesse der Entbehrung nicht nur ins gesellscha­ftliche Abseits, sondern letztendli­ch auch zurück in die Dopaminspi­rale führen, weil sie ja den Lustgewinn in einer extremen Askese verspreche­n. Doch verhindern kann er sie nicht. Denn sofern das Gehirn erst mal mit Dopamin überschwem­mt wird, hilft eben kein gutes Zureden mehr.

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FOTO: MONIKA SKOLIMOWSK­A/DPA Aus dem Schluck Wein zum Essen oder dem Feierabend­bier wird manchmal eine Gewohnheit, die sich in eine Sucht verwandelt.
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Eine letzte Zigarette? Mit dem Rauchen aufzuhören, fällt vielen schwer. Oft ist die Sucht tief verankert.
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FOTOS (3): CHRISTIN KLOSE/DPA Wenn der Heißhunger kommt, greifen viele zu Süßem.
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Das Smartphone lockt mit Neuigkeite­n, die das Gehirn als Belohnung wertet.

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