Obdachlose stehen vor geschlossenen Türen
Anlaufstellen sind wegen Corona zu oder nur eingeschränkt nutzbar – AWO hilft mit Care-Paketen
Keine guten Zeiten für Obdachlose: Die Corona-Krise trifft die besonders hart, die eh nichts haben. Die Wärmestube, täglich Anlaufstelle für viele Menschen ohne Wohnsitz, hat wegen des Versammlungsverbots zu. Die Toilettenanlagen öffentlicher Gebäude sind geschlossen. Supermarktregale sind teilweise leer, die Tafeln haben Probleme mit Helfern und Warennachschub. „Momentan ist alles wie schockgefroren“, beschreibt Doris Mehren-Greuter, Leiterin der AWOFachberatung für wohnsitzlose Menschen, die Situation. Oberste Priorität habe die Existenzsicherung: „Wir schauen, dass die Menschen zu ihrem Geld kommen, und keiner verloren geht.“
Rund 50 bis 60 Menschen kommen regelmäßig zur Wohnsitzlosenberatung in die Tuttlinger Karlstraße, in direkter Nachbarschaft zur Wärmestube. Dort können die Menschen ihre Hartz IV-Sätze abholen. In der Regel geschieht das einmal pro Woche, denn für viele Klienten übernehmen die AWO-Mitarbeiterinnen die Einteilung der Finanzen, damit diese auch in den letzten beiden Wochen des Monats noch etwas zum Leben haben. Das lässt sich so nicht aufrechterhalten: „Wir wollen die persönlichen Kontakte so weit wie möglich herunterfahren“, erklärt die Sozialpädagogin, denn viele Obdachlose gehören aufgrund von Vorerkrankungen zur Risikogruppe. Also werde der Hartz IV-Satz jetzt erst einmal ganz ausbezahlt mit Blick auf Einzelfälle, wo genau geschaut werden müsse, was ihnen zugetraut werden kann. Alles andere wird auf telefonische Beratung umgestellt.
„Wir arbeiten mit Menschen, die viele Probleme haben“, erklärt Mehren-Greuter und zählt Suchtkarrieren und psychische Erkrankungen auf. „Unser aller Welt ist zusammengebrochen“, einige Kunden der AWO verunsichere das besonders. Für sie sei der Alltag jetzt noch schwieriger zu handhaben. Die Ansteckungsgefahr, Dinge wie Abstand halten, nicht in Gruppen mit mehr als zwei Menschen zusammenzustehen: „Sie sind hilflos und haben viele Fragen.“Fragen, auf die im Grunde niemand eine Antwort wisse.
Dazu kommt, dass Infrastruktur wegbricht. Deshalb verteilen die AWO-Mitarbeiterinnen Doris Mehren-Greuter und Tanja Müller-Zaum schon seit einigen Tagen Care-Pakete mit haltbaren Lebensmitteln und Waren des täglichen Gebrauchs für all jene, die zum Monatsende nichts mehr übrig haben - im Nachtlager ebenso wie in den Notunterkünften zum Beispiel in der Jetterstraße. Normalerweise verpflegen sich die Obdachlosen mit günstigem Essen in der Wärmestube und vom Tafelladen. Die Wärmestube hat auf unabsehbare Zeit geschlossen, und die CoronaKrise mache sich auch im Tafelladen bemerkbar (wir berichteten). Also braucht es Hilfen im Alltag.
Auch bei der Unterkunft. Im Nachtlager in der Schützenstraße leben zur Zeit sechs Menschen. Mehr geht nicht – man sollte ja möglichst Abstand halten. Die Einrichtung ist auf die Wintermonate begrenzt und schließt Ende März. Dieses Jahr nicht: In Absprache mit der Stadtverwaltung,
die die Räumlichkeiten zur Verfügung stellt, ist sie bis Ende April geöffnet, bei Bedarf auch länger. „Das war selbstverständlich, dass wir dem zugestimmt haben“, sagt Stadtsprecher Arno Specht. „Wir können momentan zu niemandem sagen, Du musst gehen. Das funktioniert nicht“, erklärt Mehren-Greuter die Situation.
In den städtischen Notunterkünften
leben 156 Menschen ohne Obdach. Die Einzelpersonen in 50 Zimmern, auch in WGs, Paare und Familien sind in 37 Wohnungen untergebracht. Diese Verteilung könne auch während der Pandemie beibehalten werden, trotz der Abstandsregelungen. Specht: „Man kann wie in jeder anderen WG nur an die Verantwortung jedes Einzelne appellieren, dass nicht alle zeitgleich auf die Toilette gehen oder sich in der Küche drängeln.“
In vielen Städten werden „Gabenzäune“eingerichtet, um Obdachlose mit dem Nötigsten zu versorgen. Wer etwas geben will, hängt es an Tüten an den Zaun. Geldspenden kann die AWO immer gebrauchen. Sachspenden benötige es (momentan) nicht, weder Lebensmittel noch Kleidung. „Wir haben noch Reserven“, erklärt Doris Mehren-Greuter. Die große Frage sei, wie es in den kommenden Wochen und Monaten weitergehen wird. „Ich denke, das wird noch schlimmer“, sagt sie.
In Gedanken ist sie dabei auch bei den Menschen, die „unter der Oberfläche leben“, wie sie sagt: Die keine Transferleistungen vom Job-Center bekommen, weil sie sich mit Minijobs durchboxen würden. In der jetzigen Wirtschaftskrise fallen genau diese Möglichkeiten weg. Auch bei diesen Menschen werde es demnächst um die reine Existenzsicherung gehen. Mehren-Greuter: „Wenn das eintritt, dann müssen wir laut um Hilfe rufen.“