An vorderster Front
Altenpflege ist nicht erst seit Corona ein herausfordernder Job – Zwei Pflegekräfte erzählen, was ihre Arbeit jetzt besonders anstrengend macht – und besonders wertvoll
- Was bedeutet es für Pflegebedürftige, derzeit keinen Besuch mehr empfangen zu dürfen? Wie reagieren Menschen, wenn der Friseur nicht mehr ins Altenheim kommen darf und Feste nicht gefeiert werden dürfen? Erich Nyffenegger hat mit zwei Pflegekräften gesprochen, die jeden Tag ganz unmittelbar mit den Nöten und Ängsten konfrontiert sind. Und deren Rolle durch das Kontaktverbot mit Angehörigen jetzt wichtiger ist als je zuvor.
Mein Name ist Ralf Kirchgässner, ich bin 42 Jahre alt und arbeite seit 20 Jahren für das ,Pflegeteam am See’, einem mobilen Pflegedienst in Lindau. Und was seit dem Ausbruch von Corona passiert, habe ich noch nie erlebt und hätte es mir auch niemals träumen lassen, dass so etwas geschieht. Allein wenn mir jemand gesagt hätte, dass ich einmal erleichtert, ja glücklich auf die Ankündigung von Ausgangsbeschränkungen reagieren würde, ich hätte ihn für völlig verrückt erklärt.
In meinem Betrieb arbeiten wir nach dem Bezugspflegekonzept. Das heißt, ich versorge meine Kunden jeweils über den ganzen Tag verteilt bis zu sechsmal. Was jetzt deutlich mehr Zeit kostet, ist nicht das Desinfizieren oder der Mundschutz, also die Vorsichtsmaßnahmen. Die gab es weniger stark ausgeprägt schon vor Corona. Nein, was jetzt Zeit braucht, ist der Umgang mit den Fragen und Ängsten der Kunden. Ich muss jetzt viel mehr erklären. Etwa: Kann jetzt die Fußpflege noch kommen oder der Physiotherapeut? Darf zum Geburtstag meine Familie bei mir sein – das hat sich inzwischen ja erledigt durch die Ausgangsbeschränkungen. Wir haben natürlich eine Aufklärungspflicht gegenüber unseren Kunden und auch deren Angehörigen. Das Erklären ist viel mehr geworden.
In der mobilen Pflege haben wir auch mit Menschen zu tun, die an einer beginnenden Demenz leiden, weniger an einer voll ausgeprägten. Trotzdem macht es einen riesigen Unterschied, wenn Sie plötzlich nur noch mit Mundschutz zu Ihren Kunden kommen. Das verunsichert diese Menschen natürlich, aber auch andere: Wenn ich irgendwo aus meinem Dienstfahrzeug aussteige und mit Mundschutz unterwegs bin, dann wechseln die Leute die Straßenseite. Alles sehr komisch zurzeit.
Meine Kunden lesen natürlich die Zeitung und sehen Nachrichten. Und dann kommen diese Fragen: ,Ist es jetzt nicht gefährlich, wenn Sie kommen?’ Manche schlagen vor, jetzt mal zwei Wochen auszusetzen. Da sage ich dann zum Beispiel zu einer Diabetikerin: ,Das wäre nicht so gut, wenn ich Sie jetzt zwei Wochen nicht spritzen würde.’ Eine Dame hat mich richtig gerührt, als sie mir vorschlug, das Frühstück für sich und ihren Mann jetzt mal bis auf Weiteres selbst zurechtzumachen. ,Ich streich mir selber was’, hat sie gesagt. Weil wir eine besondere Verantwortung als Pflegende haben, geben wir auf uns selber auch genau acht. Die Vorstellung ist der blanke Horror, jemanden von unseren Kunden zu verlieren an Corona und nicht zu wissen, ob man selber vielleicht die Infektion übertragen hat. Dazu muss man ja selbst gar nicht erkranken. Es gibt Kolleginnen, die haben schon richtige Probleme mit ihrer Haut vom vielen Desinfizieren – bei mir geht’s zum Glück noch. Aber wie lange diese Situation noch anhält, können wir alle noch nicht abschätzen und dann kann es schon kritisch werden mit der eigenen Haut.
Was ich nicht erwartet hätte und großartig finde, ist der neuartige Zusammenhalt. Fast eine Magie durch das Zusammenrücken unter den Kollegen. Ich selber spüre übrigens auch eine viel stärkere Wertschätzung gegenüber anderen Berufen, die wir einfach so hingenommen haben. Und die wir jetzt mit ganz anderen Augen sehen: die Kassiererin, den Lkw-Fahrer, solche Leute. Für mich ist es unglaublich und beeindruckend, wie schnell eine Gesellschaft sich zurücknimmt, um andere zu schützen.
Ob ich es bereue, Altenpfleger zu sein, gerade jetzt? Überhaupt nicht. Die Entscheidung für den Beruf fiel schon in der Realschule. Ich habe ein Praktikum in einer Bank gemacht, danach wusste ich, dass ich Altenpfleger sein will. Angst um mich selbst habe ich nicht. Ich halte mich an die Vorgaben der Ausgangsbeschränkungen – auch im Interesse meiner Kunden. Mehr kann ich nicht tun.“
Ich heiße Sabrina Mußlick, bin 38 Jahre alt und stellvertretende Pflegedienstleiterin und Wohnbereichsleiterin im Alten- und Pflegeheim St. Konrad in Kressbronn, das zur Stiftung Liebenau gehört. Seit es die Corona-Krise gibt, hat sich unser Alltag im Haus sehr stark verändert. Zum Beispiel gibt es keine bereichsübergreifenden Kontakte mehr. Die Bewohner der einzelnen Wohngruppen bleiben unter sich. Es gibt auch keine gemeinsamen Feste und Feiern mehr. Es bleibt einfach alles auf dem Wohnbereich. Und auch der Friseur darf nicht mehr kommen. Therapeuten nur noch bei medizinisch wirklich notwendigen Maßnahmen. Jeder, der das Haus betritt, muss dann ein Formular ausfüllen. Da steht zum Beispiel drauf, ob man an Symptomen leidet, Husten oder Fieber. Und die Leute sind angehalten, natürlich nicht zu kommen, wenn etwas ist.
Wir müssen sehr darauf achten, dass der sozialen Isolation unserer Bewohner entgegengewirkt wird. Unsere Angehörigen haben immer sehr viel gemacht im Alltag, was jetzt natürlich durch das Besuchsverbot nicht mehr geht. Und diese Emotionen, die da bei Bewohnern ausgelöst werden, die können wir nicht zu 100 Prozent auffangen. Da wirken wir so gut entgegen, wie wir nur können – zum Beispiel mit Telefonaten zu den Angehörigen. Unten auf der Straße haben Enkel, Urenkel und Nichten etwas auf den Asphalt gemalt für ihre Oma. Und die hat sich natürlich riesig gefreut. Im normalen Alltag ist es so, dass wir weiterhin mit den Menschen singen, und wir machen auch Beschäftigung mit unseren Bewohnern, das fällt nicht aus. Im Augenblick gibt es wirklich zwei ganze Mitarbeiter, die für die Telefonate zwischen Bewohnern und Angehörigen sorgen.
Die Aufgaben des Personals haben sich unter anderem verschoben. Die Arztvisiten werden zum Beispiel per E-Mail gemacht, zukünftig auch per Videokonferenz. Die ganzen Telefonate kosten schon Zeit. Oder die Eingangstür, die ist natürlich zu im Moment. Wenn es klingelt, müssen wir da natürlich auch hinrennen. Die Hygienemaßnahmen, die in der Pflege allgemein schon sehr hoch sind, sind jetzt natürlich noch bedachter. Im Moment tragen wir noch keine Gesichtsmasken, aber darüber machen wir uns auch Gedanken, was das heißt, wenn das kommen sollte.
Dadurch, dass wir etwa 90 Prozent an Demenz erkrankte Bewohner haben, ist es relativ schwierig, die Maßnahmen wegen Corona zu vermitteln, obwohl ich sagen muss, dass die Bewohner aktuell noch sehr verständnisvoll damit umgehen. Die Menschen sehen das ja auch in den Medien und lesen es in der Zeitung. Bisher äußern die Bewohner wegen des Virus noch keine besonderen Ängste, sondern fragen eher: ,Wann kommt der Friseur?’
Ich persönlich habe aus Vorsicht wegen meiner Arbeit schon seit Wochen auf private Kontakte verzichtet. Ich bin besonders sensibilisiert – was aber auch bei einer Grippewelle so wäre, muss ich sagen. Die Abstandsregeln und die Nies- und Hust-Etikette, die wir unter den Mitarbeitern haben, können die Bewohner natürlich nicht zu 100 Prozent umsetzen. Das Pflegen mit ein bis zwei Metern Abstand funktioniert natürlich auch nicht. Umso wichtiger ist es, dass wir untereinander genau darauf achten. Ein an Demenz Erkrankter hat das natürlich nicht im Blick. Und darum reagieren wir sensibler und wischen Sachen schneller auf, zum Beispiel.
Die gesteigerte Wertschätzung für unsere Arbeit bekommen ich und meine Kollegen schon mit. Wünschen würde ich mir allerdings, dass einfach alle systemrelevanten Berufe weiterhin Anerkennung erhalten, auch nach der Corona-Krise. Da geht es nicht nur um Pflegekräfte, sondern auch zum Beispiel um Verkäufer und um alle, die jetzt alles aufrechterhalten.
Ich selbst bin Altenpflegerin geworden, weil mir der Job einfach unheimlich viel Spaß macht. Ich habe mit 14 oder 15 angefangen mit einem ganz normalen Praktikum und bin zum Glück einfach nicht mehr davon weggekommen.“