Lucha verteidigt Klinik-Kurs
Kleine Krankenhäuser werden nur zeitweise reaktiviert
STUTTGART (tja) - Die Reaktivierung geschlossener Krankenhäuser ist aus Sicht von Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) nur eine befristete Maßnahme, um die Corona-Pandemie zu bewältigen. „Die momentane Krise mit einem zu erwartenden Anstieg der Patientenzahl in zuvor noch nie dagewesenem Ausmaß erfordert kurzfristig eine massive Ausweitung der Behandlungskapazitäten“, sagte Lucha. Die Konzentration auf wenige große Kliniken und die Schließung kleinerer Häuser sei aber weiter geboten, um eine gute, finanzierbare Versorgung zu bieten.
Der Münchner Gesundheitsökonom Professor Andreas Beivers mahnte angesichts der zahlreichen Klinikschließungen in den vergangenen Jahren: „ Wir haben einfach alle zu wenig berücksichtigt, dass es Katastrophenfälle wie diesen geben kann. Jetzt sind wir um jedes Bett froh, das wir haben.“
- Kleine Krankenhäuser schließen, große stärken – so lautet seit Jahren das Mantra von Gesundheitspolitikern in Bund und Land. In der Region hat das zuletzt Isny, Leutkirch, Spaichingen, Weingarten und Riedlingen getroffen. Muss man das Konzept angesichts der Corona-Krise überdenken?
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis sprach in der vergangenen Woche im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“aus, was viele Bürger umtreibt. „Es zeigt sich überdeutlich, dass auch kleine Krankenhäuser durchaus ihre Funktion haben. Kommunale Krankenhäuser sind ein wichtiger Teil der Daseinsvorsorge, insbesondere in Oberschwaben“, sagte Mattheis.
Derzeit arbeiten im Südwesten laut Verband der Ersatzkassen 213 Plankrankenhäuser, das sind fast 90 weniger als vor zwei Jahrzehnten. Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) setzt weiter auf Konzentration: gut ausgerüstete, große Zentren, die viele Eingriffe und Behandlungen durchführen, daneben kleine, hochspezialisierte Häuser und alternative Modelle wie Gesundheitszentren. Damit folgt er dem Rat zahlreicher Wissenschaftler. Einige Argumente für die Konzentration: Je kleiner ein Haus ist, desto weniger Routine haben die Ärzte und Pflegekräfte bei Behandlungen. Teure Geräte wie MRTs sind an großen Kliniken besser ausgelastet. Verwaltungsund Technikkosten sollten effizient und damit an wenigen Standorten anfallen.
Krankenhäuser bekommen von den Krankenkassen Geld pro Patient. Für jede Behandlung ist festgelegt, wie viel eine Klinik erhält. Diese Pauschalen fließen, egal wie lange der Patient in der Klinik liegt. Je kürzer der Aufenthalt, desto weniger Kosten für das Krankenhaus, desto besser rechnet sich die Behandlung. Unter diesen Bedingungen können kleine Häuser kaum überleben, ihnen fehlt der Patientendurchsatz. Viele Landkreise müssen jährlich Millionenbeträge investieren, um ihre Kliniken zu unterstützen. Immer mehr beteiligen daher private Konzerne an den Krankenhäusern – oder diese schließen sich zu großen Verbünden zusammen. Zumal Bürger oft emotional für ihr kleines Klinikum streiten, für wichtige OPs aber große Zentren wählen.
Der Gesundheitsökonom Professor Andreas Beivers ist ein Befürworter dieses Prozesses. Aber er gibt zu: „Wir haben einfach alle zu wenig berücksichtigt, dass es Katastrophenfälle wie diesen geben kann. Jetzt sind wir um jedes Bett froh, das wir haben.“Allerdings bleibe das zentrale Problem der Personalmangel. Ohne geeignete Ärzte und Pflegekräfte nütze ein Klinikbett gar nichts. Ein wesentlicher Fehler im System werde offensichtlich: Beatmungsgeräte
oder Betten zu kaufen lohnt sich für ein Krankenhaus nur, wenn diese benutzt werden. Die Vorhaltung für Krisen dagegen zahlt niemand. Das müsse sich dringend ändern, so Beivers. Dem stimmt Matthias Einwag, Geschäftsführer der baden-württembergischen Krankenhausgesellschaft zu: „Die Funktion der Krankenhäuser als Absicherung in medizinischen Krisenzeiten muss ein größeres Gewicht bekommen.
Dass die Strukturveränderungen der letzten Jahre rückgängig gemacht werden, sehe ich allerdings nicht.“
Ein weiteres Problem laut Wissenschaftler Beivers: Wer nicht im Krankenhaus bleibt, sondern nur untersucht und mit Medikamenten heimgeschickt wird, bringe den Kliniken viel zu wenig ein. Das müsse sich ändern. Gerade nach der Corona-Krise werde Geld erst recht knapp sein. Deswegen gelte es, die
Krankenhauslandschaft effizient zu organisieren. Die Vorteile großer Häuser blieben ja bestehen.
Die CDU-Landtagsabgeordneten einiger von Schließungen betroffenen Standorte, Thomas Dörflinger, Raimund Haser und August Schuler, plädieren dafür, nach der Krise Probleme zu analysiere und gegebenenfalls Konsequenzen zu ziehen. Jetzt sei es dafür zu früh. Die Grünen-Abgeordnete Petra Krebs betont, man müsse vor allem die finanziellen Rahmenbedingungen ändern, um Probleme wie den Pflegenotstand zu beheben. Ein Sprecher der Krankenkasse AOK sagte, Land und Kassen hätten viel investiert, um „die Strukturen dem medizinischen Fortschritt anzupassen“– also unter anderem für den eingeschlagenen Konzentrationsprozess. Deswegen sei das System im Südwesten eines der leistungsfähigsten.
Gesundheitsminister Lucha hält es angesichts steigender CoronaFallzahlen für notwendig, stillgelegte Standorte zeitweise wieder zu nutzen. Etwa, um Kliniken Patienten abzunehmen, die nicht an Corona leiden. Zunächst sollen aber möglichst viele der 25 000 Betten in Rehakliniken dazu genutzt werden, im zweiten Schritt die rund 780 Betten an geschlossenen Standorten. Die Vorbereitungen dazu laufen. Aber grundsätzlich sei der Kurs der Konzentration auf große Häuser, ergänzt um passgenau regionale Angebote richtig, betont der Minister. „Das Bestreben des Landes ist es, Krankenhäuser in die Lage zu versetzen, eigenständig zu arbeiten und langfristig überlebensfähig zu sein.“