„Wir müssen in Tuttlingen Zeichen setzen“
Staatsanwältin schlägt Alarm im Messerstecher-Prozess, kann sich aber nicht durchsetzen
- Staatsanwältin Isabel Gurski-Zepf hat in ihrem Plädoyer zum Tuttlinger Messerstecher-Prozess vor dem Landgericht Rottweil Klartext gesprochen und Härte demonstriert: „Die Angeklagten sind zwar körperlich hier angekommen, aber nicht in unserer Rechtsordnung.“Statt diese anzuerkennen, übten sie Selbstjustiz, klagte die Anklägerin. Sie bezog sich dabei nicht nur auf die Täter, drei junge Flüchtlinge aus Syrien, sondern ausdrücklich auch auf ihr Opfer: einen Mann aus dem Kosovo, der bei dem Streit am 9. August 2019 vor dem Tuttlinger Rathaus lebensgefährliche Verletzungen davontrug und auf unabsehbare Zeit an den Folgen leidet. Karlheinz Münzer, Vorsitzender Richter der 1. Großen Strafkammer, gab der Staatsanwältin zwar in der Sache recht, nicht aber im Strafmaß.
Während sie beim Vorwurf des versuchten Totschlags blieb und Haftstrafen von bis zu sieben Jahre plus drei Monate forderte, entschied das Gericht auf gefährliche Körperverletzung und Haft für vier Jahren und drei Monaten für die beiden Haupttäter, beziehungsweise sechs Monate auf Bewährung für den Mitläufer (wir haben berichtet). „Wir dürfen Selbstjustiz in Deutschland nicht tolerieren“, forderte GurskiZepf in ihrem Plädoyer. Und dann fügte die Staatsanwältin, bezogen auf den konkreten Fall und ähnliche Vorkommnisse in der Vergangenheit, hinzu: „Wir müssen ein ganz klares Zeichen aussenden, dass wir so etwas in Tuttlingen nicht weiter akzeptieren.“Sie erinnerte an die in Sprachnachrichten gefundenen Todesdrohungen des „Rädelsführers“und kam zum Schluss, die beiden Haupttäter hätten „in Todesabsicht“gehandelt. Einsicht oder Reue hätten sie im Prozess nicht gezeigt. „Sie beschlossen, ihn umzubringen.“Zudem hätten sie sich geweigert, die Identität des vierten Täters zu verraten.
Wolfgang Burkhardt und Rüdiger Mack, die Verteidiger der beiden
Haupttäter, widersprachen und verwiesen darauf, dass, wenn ihre Mandanten wirklich hätten töten wollen, dann hätten sie das schwer verletzte Opfer nach der Tat nicht aufstehen und davonlaufen lassen. Mack, der den „Rädelsführer“vertrat, erklärte, dieser habe „nur reden wollen“, sei ausweislich Zeugenaussagen „ein guter Mensch und überhaupt nicht aggressiv“– im Gegensatz zum „hoch aggressiven“Kosovaren, der mit „Blutrache“gedroht habe.
Bernhard Mussgnug, Verteidiger des dritten Angeklagten, sah die Darstellung der Staatsanwältin, die für seinen Mandanten eine dreieinhalbjährige Haftstrafe gefordert hatte „spekulativ und falsch“. Man könne dem 24-Jährigen allenfalls vorwerfen, dass er zur Selbstverteidigung einen Stoßdämpfer aus dem Kofferraum seines Autos geholt, ihn aber dann ohne zu benutzen wieder abgelegt habe. Mussgnug forderte
Freispruch, allenfalls eine Bewährungsstrafe. Richter Münzer wies in seiner Urteilsbegründung darauf hin, dass die Täter an keinen psychischen Störungen leiden würden. Und hob hervor, dass sich alle drei gut in Deutschland integriert, Sprachkurse absolviert und sich um Arbeit bemüht hätten. Gleichzeitig übte er Kritik an der Selbstjustiz. Das steigere die Gefahr einer „Parallelgesellschaft“.
Münzer betonte, dass das elffach vorbestraffe Opfer mit seinen aggressiven und beleidigenden Chatnachrichten zur Zuspitzung des Streits zwar beigetragen, sich dann aber vor der Eskalation zurückgezogen habe. Mitentscheidend sei der Streit vom Betreiber einer ShishaBar in einer Tuttlinger Nachbargemeinde befeuert worden. Gegen ihn läuft ein Verfahren wegen Strafvereitelung. Zur Beurteilung der Tat, so Münzer, sei es für die Strafkammer letztlich entscheidend gewesen, dass die beiden Haupttäter zwar zugestochen, dann aber von dem Opfer abgelassen hätten und den Mann laufen ließen. „So konnte er knapp dem Tod entrinnen“, erklärte der Richter. Rechtlich handle es sich somit nicht um versuchten Totschlag, sondern gefährliche Körperverletzung.
Auf Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung entschied das Gericht bei dem 24-Jährigen, der die Stoßstange weglegte und nicht direkt an der Tat beteiligt war. Er kam mit einer sechsmonatigen Bewährungsstrafe davon, muss aber zusammen mit seinen Komplizen die Kosten des Verfahrens, sondern auch die des Kosovaren tragen, der mit einem Anwalt als Nebenklägers auftrat. Möglicherweise strengt das Opfer wegen der gesundheitlichen Probleme als Folge der Tat noch eine Zivilklage an.