75 Jahre Kriegsende für Spaichingen
75 Jahre Kriegsende in Spaichingen und Umgebung – Vor dem Einmarsch gab es schwere Bombardierungen
Vor dem Einmarsch der Franzosen gab es Bombenangriffe.
- 1945: Rottweil ist am 20. April besetzt, oder befreit, je nach Blickwinkel. Der Tag, an dem Adolf Hitler seinen 56. Geburtstag begeht. Jedes Kind kennt das Datum. Am 21. April ist auch Spaichingen befreit. Es sind diese Tage in der letzten Aprildekade, die vor 75 Jahren den Kreis Tuttlingen zur Besatzungszone machten und Völkermord und einen mörderischen Krieg Deutschlands gegen ganz Europa und darüber hinaus und die eigenen Bürger beendeten.
Es waren aber auch Tage, die, wie etliche zuvor, in den Gedächtnissen mit Bombenabwürfen eingebrannt sind. In den letzten Kriegstagen begleitet von Flugblättern, die die Moral zermürben sollten: „Wir sind die lustigen Acht und kommen bei Tag und bei Nacht“. Stark getroffen hat es Spaichingen. Ob es damit zu tun hat, dass dort das einzige Konzentrationslager im Kreis existierte, oder an den Rüstungszügen, die von Norden Richtung Bodensee durch Spaichingen führten, ist bis heute nicht aufgeklärt. Auch auf dem Heuberg versetzten Bombergeschwader die Menschen in Schrecken.
Zehn Fliegerangriffe gab es in Spaichingen im Kriegshalbjahr 1944/45. Der Stein am ehemaligen Heubergbahndamm Richtung Denkingen erinnert an den Beschuss am 7. Oktober, bei dem eine Frau starb. Zehn Menschen starben am 13. Februar in der Eisenbahnstraße, als drei Häuser ganz, neun teilweise zerstört wurden. Es war derselbe Tag, an dem Dresden bombardiert wurde, ein schöner Fasnetsdienstag. Beim Angriff am 20. April wurden Phosphorbomben abgeworfen: drei Menschen starben, 37 Häuser wurden in Hofen zerstört.
Ebenfalls im Oktober wurde ein Arbeiterzug zwischen Spaichingen und Tuttlingen bei Weilheim beschossen, zwei Menschen starben, vier wurden verletzt. Im Dezember wurde Tuttlingen noch einmal beschossen, am 28. der Bahnhof und das Gebiet dort noch einmal am 9., 13. und 22. Februar. Große Schäden richteten Sprengbomben sowie Brandbomben in Tuttlingen am 4. März an. Ziel waren offenbar zahlreiche Fabrikantenvillen und -häuser. Fünf Erwachsene und zwölf Kinder starben. Weitere Angriffe folgten am 14., 15. und 17. März sowie 15. April und verursachten Zerstörungen. Die letzten Bomben fielen am 21. April, am Tag des Einmarschs, der um 16 Uhr war. Offenbar ein Missverständnis. 50 Menschen, darunter auch französische Soldaten, starben.
Französische Kräfte waren einmal am 20. April mit ihren Panzern von Norden über Deilingen und den Heuberg vorgerückt und weiter Richtung Neuhausen, einmal aus Rottweil über die B14 nach Spaichingen und Tuttlingen.
Überall zogen noch SS- und andere deutsche Verbände durch. 50 SS-Soldaten verschanzten sich in Tuttlingen in der Stuttgarter Straße und beschossen die anrückenden französischen Panzer. Der Volkssturm löste sich schon am Morgen auf, es wurden aber noch Brücken gesprengt. Die Groß Bruck aber nicht. Dort, so berichtete es Kreisarchivar Hans-Joachim Schuster in einem Interview in dieser Zeitung, hätten sich mutige Bürger drauf gestellt und das verhindert.
Auch Trossingen wurde in jenem Winter bombardiert: Am 9. Februar 1945 starben elf Menschen, mehrere Häuser wurden zerstört. Auch hier wurden die besagten Flugblätter abgeworfen, berichtet Stadtarchivar Martin Häffner in dieser Zeitung.
Am 23. Februar starben bei einem Angriff auf Nendingen vier Menschen. Das Dorf wurde ebenfalls am 21. April besetzt, die Verbände kamen aus Richtung Mühlheim.
Doch gab es auch militärische Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit dem Vorrücken der französischen Armee und dem Rückzug von Deutschen Einheiten.
Besonders fanatisiert waren oft die jungen Leute, und so kam Balgheim nur dank des Einschreitens französischer Zwangsarbeiter, die offenbar gut behandelt worden waren, wie sie auch später bei Besuchen in Spaichingen gegenüber Altbürgermeister Albert Teufel berichteten. Denn am 21. April verschanzte sich eine Gruppe von jungen Napola-Schülern (nationalpolitische Erziehungsanstalt, Kaderschmiede des Nazi-Staats) aus Rottweil und schossen einen vorrückenden französischen Panzer ab. Zuvor hatten vernünftige Spaichinger Männer die Panzersperre Richtung Hofen einfach nicht mehr geschlossen oder wieder aufgemacht und Hans Faht vom „Sternen“war den Franzosen mit einer weißen Fahne entgegen gegangen. Nun aber das: Beschuss aus Balgheim. Die französischen Soldaten zogen sich wieder nach Spaichingen zurück in den Bereich der Möbelfabrik Frey.
So erinnerte sich Hermann Blamberger als Augenzeuge (er war damals acht) vor fünf Jahren in einem Bericht dieser Zeitung: Beim Bombardement von Hofen war auch die Arbeitskollegin seiner ältesten Schwestern betroffen gewesen. Nicht nur sie halfen dabei, aus deren zerstörtem Haus zu retten, was zu retten war, sondern auch zwei französische Zwangsarbeiter. Diese bekamen ebenso Obdach bei Blambergers wie die Kollegin. Nach dem Beschuss aus Balgheim forderten die Soldaten Luftunterstützung an. „Da war schon ein ganzer Pulk Bomber am Himmel. Und die beiden Franzosen, die bei uns übernachtet haben, sind auf einen Panzer draufgestiegen und haben die Flugzeuge ihrer Landsleute angefunkt, dass sie keine Bomben schmeißen sollen,“es seien nur wenige Fanatiker, und keine Balgheimer, die Widerstand leisteten.
Auch in den folgenden Tagen gab es Gefechte, vor allem im Bereich Immendingen/Geisingen, wo deutsche Truppen aus dem Hegau auf dem Rückzug waren. Französische Jagdbomber richteten erhebliche Schäden in Zimmern, Ippingen und KirchenHausen
an, sagte Kreisarchivar Schuster in bereits genanntem Interview.
Die französische Besatzung erließ sofort strikte Regeln. Die meisten Geschäfte waren geschlossen, nachts herrschte Ausgangssperre. Wohnraum wurde zwangsrekrutiert und auch Gegenstände genommen, wenn sie die Soldaten brauchen konnten. Es ist wohl auch zu Übergriffen auf Frauen gekommen, wie einzelne gegenüber der Autorin dieser Zeilen berichteten, allerdings hat sich nie jemand getraut, die ganze Geschichte zu erzählen. Mit den Kindern seien die Franzosen außerordentlich freundlich umgegangen, erinnerte sich Ministerpräsident a.D. Erwin Teufel, der in Zimmern aufgewachsen ist und der sich auch erinnerte, dass sich seine Mutter in den ersten Tagen der Besatzung versteckte.
Die französische Verwaltung machte sich auch gründlich daran, verantwortliche Nationalsozialisten zu finden, Listen in den Archiven zeugen davon. Dieser Teil der Geschichte - die Zeit der französischen Besatzung und die Entnazifizierung harren in weiten Teilen im Kreis Tuttlingen aber noch der Aufarbeitung.
Noch leben Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs und der Zeit danach. Es gilt, die Schätze der Erinnerung festzuhalten, auch einfach fürs Archiv. Wer seine Geschichte erzählen möchte, möge sich bitte melden: r.braungart@schwaebische.de und ab Montag: 07424/949315.