Mit dem Evakuierungsflieger zurück
Frank Golischewski hat es nach Deutschland geschafft, sein Mann jedoch sitzt weiter auf Kuba fest
- Der Trossinger Bühnenstar Frank Golischewski hat seine zweite Heimat in Kuba gefunden. Er ist mit einem Kubaner verheiratet. Das Paar wollte dort seien Hochzeit nachfeiern und geriet in die Wirren der CoronaKrise.
„Wir wollen unsere Hochzeit nachfeiern in Baguanos, Provinz Holguín, aus der mein Mann Nelson stammt. Unser Freund Michael Ebling, der Mainzer Oberbürgermeister, hat am 21. September 2018 den Kubaner mit galizischen Wurzeln Nelson Pupo Leyva mit dem Deutschen polnisch-weißrussicher Wurzeln Frank Golischewski getraut. Mit kirchlichem Segen versehen vom Pfarrer in Mainz-Mombach haben wir zuerst in Mainz gefeiert, dann später in Trossingen, jetzt fehlt noch die Party in Holguín.
Als Nelsons Arbeitgeber, der „Öschberghof“in Donaueschingen, wegen der Corona-Krise den Betrieb zurückfahren muss und mir gleichzeitig zwölf Auftritte bis Juni wegbrechen, haben wir beide plötzlich bis Ende April frei und fliegen los. Zu diesem Zeitpunkt gibt es noch keine Reisewarnung, man weiß von fünf Corona-Fällen in Kuba, europäische Touristen, die sich in Quarantäne befinden. Kuba ist ein sozialistisches Land, die allermeisten der rund elf Millionen Kubaner dürfen oder können nicht frei ins Ausland reisen.
Das Land ist stolz auf sein Gesundheitssystem, obgleich es wirklich nur eine Grundversorgung abdeckt, teure Medikamente und Behandlungen können sich nur zahlungskräftige Patienten leisten. Zigtausende Ärzte, die das Land ausbildet, werden wie ein Export-Produkt bei ausbrechenden Epidemien oder Naturkatastrophen in die Welt geschickt: Kuba erhält dafür kostbare Devisen, die Ärzte eine bescheidene Grundversorgung. Einen gewissen „Schwund“nimmt das Regime grollend in Kauf, in Venezuela soll mal ein Drittel der jungen Mediziner nach Fahneneid und „Viva la revolución“gleich über Panama in die USA abgehauen sein.
30 Grad ist es am Abend des 19. März, als uns unser Freund Norberto
am Flughafen in Havanna abholt. Es ist alles wie immer, bis auf den grünen Mundschutz, den Norberto in seinem alten Chevrolet aus den 50er Jahren herumliegen hat: „Für alle Fälle.“
Gladys, unsere Vermieterin, empfängt uns scherzend mit dem Hinweis, dass sie mit ihren über 70 zur Risiko-Gruppe gehört, sich aber den Kuss zur Begrüßung nicht nehmen lassen will. „Hier ist alles gesund, wir haben doch unsere Ärzte. Aber habt Ihr gehört, was dieser Trump in Estados Unidos da treibt?“Das Lieblingsthema der alten Kubaner, die vielleicht am Castroismus einige Kritik haben, aber „ni en muerto“, also „nicht um den Tod“, beim kapitalistischen Lieblingsfeind „drüben in Miami“leben möchten. Es wird eine Flasche Rum geöffnet, der erste Schluck geht aus dem Fenster „para los santos“, für die Heiligen, dann gibt es „Cuba libre!“„Naja Gladys“, sage ich: „Cuba libre? Freies Kuba?“Die Opposition sitzt im Gefängnis, freie Presse gibt es nicht.
Fünf Tage später. Ich habe die Wohnung in Beschlag genommen und meinen Schreibtisch aufgebaut, die nächste Produktion steht an, „Alexander von Humboldt“soll meinem Gutenberg-Musical folgen und ich habe einige Recherchen vor mir, inklusive Segel-Törn auf die Insel Palomino in Peru, wo man mit den Humboldt-Pinguinen schwimmen kann. Nelson ist 900 Kilometer weiter in den Osten der Insel in seine Geburtsstadt Baguanos, Provinz Holguín, gereist, um mit der Familie die Hochzeits-Party vorzubereiten. Als der dortige Chef-Arzt erfährt, dass er aus Europa eingereist ist, wird er erst einmal in zweiwöchige Quarantäne gesteckt und die ganze Familie gleich mit, man hat sich ja möglicherweise angesteckt. Zu diesem Zeitpunkt gibt es rund 150 registrierte Corona-Fälle auf Kuba, zwei der Touristen sind gestorben.
Ich gehe ein paar Mal mit Freunden aus, an den Strand, alles scheint wie immer, und doch liegt eine gewisse Irritation über allem, die „Mesa redonda“, die allabendliche politische Diskussionsrunde im Fernsehen, die hauptsächlich sozialistische Wahrheiten verbreitet, hat plötzlich nur noch ein Thema: „Corona“. Klar, dass Kuba dort alles richtig macht und die USA auf einen katastrophalen Verlauf zusteuern.
Montagabend zerschneide ich ein weißes T-Shirt und nähe mir einen Mundschutz. Luis-Alberto kommt vorbei, Krankenpfleger in einer der großen Kliniken in Havanna: „Ab morgen kommen täglich Ärzte ins Haus und checken alle Bewohner.“Etwa 60 Wohnungen hat unser Mietshaus aus den 50er Jahren im „Edificio Alhambra“. Es ist Zufall, dass ich vor acht Jahren über einem der großen Musical-Theater mit 800 Plätzen im ehemaligen Vergnügungsviertel von Havanna eingezogen bin. Das einst prachtvolle Haus ist völlig runtergekommen, einmal stand die Tür auf, ein alter Parteigenosse hat Lebensmittelkarten verteilt und ich durfte auf dem alten Steinway im Foyer spielen. „Da müsste mal ein Kapitalist kommen, das Haus renovieren!“hat er gesagt. „Klar“, habe ich geantwortet, „mit ordentlich viel Kapital, um den Sozialismus zu finanzieren“. Dann haben wir beide gelacht.
Die nächsten zehn Tage gehe ich nur noch für nötige Einkäufe und mit Mundschutz auf die Straße. Jeden Tag klopft eine Ärztin an die Tür, misst Fieber, bei meiner älteren Nachbarin auch den Blutdruck. Ich habe Nelson und mich auf die Liste des Auswärtigen Amtes und der Condor eingetragen, Kuba will die Touristen nun alle loswerden, und die Bundesregierung hat mit der Rückholaktion begonnen. Thomas, ein Freund in der Botschaft, ruft an: Alle Reisen auf der Insel sind untersagt, Nelson kommt nicht mehr aus Holguín raus. „Du bist für die letzten Maschine vorgesehen, er wird warten müssen auf die ersten regulären Flüge .“
Dann geht alles sehr schnell: Am Freitag stehen etwa 90 Europäer, hauptsächlich Deutsche, am Flughafen, die deutsche Botschafterin Heidrun Tempel ist persönlich vor Ort, beantwortet Fragen und weist uns ein. Meine Frage, ob wir in Deutschland in Quarantäne müssen, wird verneint: Wir sind ja täglich von Ärzten gecheckt worden, und kein anderes Land hat momentan so wenig Infektions-Fälle
wie Kuba.
Kurz vorm Abflug rufe ich noch einmal in Baguanos an, Nelson hat sich damit abgefunden noch bleiben zu müssen, aber: „Die Regale sind leer. Es gibt nur noch Reis, sonst nichts.“Einen ganzen Tag hat er für ein halbes Hühnchen angestanden. Seine Mutter vergleicht die Situation mit den Hunger-Jahren Anfang der 90er, als die Sowjetunion zusammenbrach und Kuba am Boden lag: „Viele sind damals verhungert oder haben sich das Leben genommen“, erzählt sie mir. Wenn der Tourismus aufhört, ist Kuba am Ende. Alle Produkte müssen dann in den Export um Devisen zu beschaffen.
Schweren Herzens besteige ich die Maschine, auf den Sitzen liegen schon die Lunch-Pakete und vier Flaschen Wasser, die Besatzung wird uns die knapp zehn Stunden auf diesem letzten Flug aus Kuba nicht bedienen. Übermüdet komme ich am Samstag in Frankfurt an, froh, in Deutschland zu sein. Die Züge und die Straßen sind leer – aber wenigstens sind die Regale voll. Nun ja, nicht alle: bis auf die fürs Klopapier.
Nelson hingegen sitzt weiterhin auf Kuba fest. Die nächste Möglichkeit für einen Rückflug könnte der 17. Mai sein. Aber natürlich auch vorbehaltlich behördlicher Anweisungen. Vor ein paar Tagen hat er irgendwo ein Pfund Tomaten ergattert, drei Tage davor eine Dose Thunfisch für umgerechnet 4 Euro. Wenn man weiß, dass ein kubanischer Arbeiter weniger als 20 Euro im Monat verdient ...
Immerhin konnte ich ihm Geld überweisen, aber er kann es kaum einsetzen, es gibt so gut wie nichts zu kaufen außer Reis und schwarze Bohnen.“