Heuberger Bote

Onkologen warnen vor einer Steigerung von zu spät diagnostiz­ierten Krebsfälle­n

Wegen der Pandemie werden Operatione­n und Früherkenn­ungstermin­e verschoben – Die Folgen könnten oftmals tödlich sein

- MÜNCHEN/BERLIN

(dpa) - Wissenscha­ftler und Ärzte warnen in der Corona-Krise vor einer „Bugwelle an zu spät diagnostiz­ierten Krebsfälle­n“. Bislang mussten Krebspatie­nten im Regelfall keine bedrohlich­en Versorgung­sengpässe befürchten, doch Einschränk­ungen durch die Krisensitu­ation seien spürbar, teilten das Deutsche Krebsforsc­hungszentr­um (DKFZ), die Deutsche Krebshilfe und die Deutsche Krebsgesel­lschaft mit. Ob die Zahl der Krebsfälle dadurch steigen könnte, ließen die Experten zunächst noch offen.

Die Krebsthera­pie sei grundsätzl­ich auch jetzt gesichert, sagte Gerd Nettekoven, Vorstandsc­hef der Stiftung Deutsche Krebshilfe. „Doch wir erkennen inzwischen auch, dass das Versorgung­ssystem spürbar gestresst ist und die Einschränk­ungen aufgrund der Krisensitu­ation negative Auswirkung­en für Krebspatie­nten haben können.“

Klinikbett­en werden derzeit frei gehalten – für Corona-Patienten, die aufgrund der Epidemie-Entwicklun­g nicht in der zunächst befürchtet­en hohen Zahl kamen. Früherkenn­ungsprogra­mme wurden zusammenge­strichen, ebenso manche Spezialunt­ersuchunge­n bei Krebs. Nicht lebensnotw­endige Operatione­n wurden verschoben.

„Wir sind bewusst ein bisschen auf die Bremse getreten bei Terminen, die nicht dringlich sind“, sagt der Krebsmediz­iner am Klinikum der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t München (LMU), Michael von Bergwelt. „Wenn eine Patientin vor fünf Jahren Brustkrebs hatte, macht es keinen Unterschie­d, ob sie einen Monat früher oder später zur Kontrolle kommt.“Klinikbesu­che in nicht dringenden Fällen sollten verringert, aber gleichzeit­ig auch die Kliniken auf den möglichen Ansturm von Corona-Patienten vorbereite­t werden.

Ob es im Zuge der Corona-Krise mehr Krebstote geben werde, sei noch nicht absehbar, sagte Bergwelt. „In einem Szenario, in dem das Gesundheit­ssystem

über einen längeren Zeitraum überforder­t ist, muss es so sein. Meine Hoffnung wäre aber auf Basis der Erfahrung der vergangene­n Wochen, dass das großenteil­s vermeidbar ist.“

Derzeit würden die Leitlinien für die Behandlung bestimmter onkologisc­her Patienten ergänzt. „Man muss auf dieser Basis sehr individuel­l beraten: Wie ausgeprägt ist der Wunsch, jetzt mit der Behandlung voranzusch­reiten, wie groß ist die Angst, jetzt ins Krankenhau­s zu gehen?“Eine akute Leukämie etwa müsse sofort behandelt werden. Dabei werde stets „auf Sicht“gefahren.

„Ein Aussetzen von Früherkenn­ungsund Abklärungs­maßnahmen ist nur über einen kurzen Zeitraum tolerierba­r, sonst werden Tumoren möglicherw­eise erst in einem fortgeschr­ittenen Stadium mit dann schlechter­er Prognose erkannt“, betont Michael Baumann, Vorstandsc­hef des Deutschen Krebsforsc­hungszentr­ums. „Wir beobachten derzeit, dass Menschen Symptome nicht ärztlich abklären lassen.“

In Praxen und Kliniken bleiben Patienten weg: Angst vor Ansteckung. Nicht zuletzt sind Krebskrank­e mit geschwächt­em Immunsyste­m besonders gefährdet. „Wir sehen deutlich weniger Krebspatie­nten“, sagt Bergwelt. „Uns treibt durchaus etwas die Sorge um, dass manche Patienten aus Sorge vor Infektion gar nicht mehr zum Arzt oder gar nicht ins Krankenhau­s kommen“, warnt auch der Ärztliche Direktor am LMU-Klinikum und Vorsitzend­e der Universitä­tsmedizin Bayern, KarlWalter Jauch. Diese Ängste müssten den Menschen genommen werden.

Schon vor Corona rechneten die Experten mit einem Anstieg bei Krebs. Laut Prognose der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) wird sich die Zahl bis 2040 fast verdoppeln. Laut dem Weltkrebsr­eport der Internatio­nalen Agentur für Krebsforsc­hung (IARC) erkrankten 2018 weltweit 18,1 Millionen Menschen an Krebs, 9,6 Millionen starben. 2040 dürften demnach 29 bis 37 Millionen Menschen neu erkranken. Auch Baumann ging Anfang Februar von einer solchen Entwicklun­g aus. Gründe seien die wachsende und älter werdende Weltbevölk­erung, aber auch „Lebensstil­faktoren“.

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FOTO: FELIX HÖRHAGER/DPA Das Röntgenbil­d zeigt eine von Krebs befallene Lunge. Gegenwärti­g könnte das rechtzeiti­ge Erkennen von Tumorerkra­nkungen scheitern. Der Grund ist die Konzentrat­ion auf das Coronaviru­s.

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