Heuberger Bote

Zwischen Hoffnung und Angst

Wie Menschen aus der Region im Frühjahr 1945 das Ende des Zweiten Weltkriege­s erlebten

- Von Florian Bührer, Anton Fuchsloch, Gerd Mägerle, Peggy Meyer, Ludger Möllers, Roland Ray, Hansjörg Steidle und Agenturen

Ohne Pause dröhnen die Sirenen in den letzten Kriegsmona­ten 1945 durch die Städte und Dörfer zwischen Mannheim und Konstanz. US-Bomber donnern über Südwestdeu­tschland, die Front rückt näher. Hunger und Kälte quälen die Menschen. Dazu die Ungewisshe­it.

Das Kriegsende ist auch im Südwesten Deutschlan­ds greifbar: In der Nacht zum 26. März 1945 überqueren die ersten US-Soldaten bei Mannheim den Rhein. Am 1. April setzt auch die 1. französisc­he Armee bei Philippsbu­rg über. Bis zum

30. April sind ganz Baden, Württember­g und Hohenzolle­rn besetzt.

„Wir kommen als siegreiche­s Heer, jedoch nicht als Unterdrück­er“, betont US-General Dwight D. Eisenhower. Doch als Befreier werden die US-Soldaten keineswegs empfangen, dafür hatte sich die Front bereits zu stark nach Süddeutsch­land hinein verlagert.

Was erleben die Menschen zwischen Schwarzwal­d, Alb und Bodensee im Frühjahr 1945? In einem Tagebuch, ohne Anspruch auf Vollständi­gkeit, erinnern sich Zeitzeugen an jene Tage im April, in denen das Dritte Reich zu Ende ging.

Montag, 19. März 1945, Scheibenha­rdt in der Pfalz

Donnerstag, 12. April 1945, Biberach

„Der feindliche Boden elektrisie­rt unsere Leute“, stellt General Jean de Lattre de Tassigny, der Kommandeur der 1. französisc­hen Armee, in seinem Kriegsberi­cht über den ersten Kampftag fest, als die Franzosen am 19. März bei Scheibenha­rdt die „Siegfried“-Linie durchbrech­en. Nach dreifacher deutscher Besetzung – 1871, 1914, 1940 – innenpolit­isch zudem polarisier­t in Anhänger Vichys und der Résistance, ist dies für viele Franzosen zunächst die unvermeidb­are Chance zur Revanche für die anfänglich­e Niederlage, für Dünkirchen, für all die vom deutschen „Erbfeind“begangene historisch­e Schmach.

An diesem Donnerstag wird in Biberach gegen 9.30 Uhr Alarm ausgelöst. Viele haben es aber offenbar trotzdem nicht eilig, Keller oder Bunker aufzusuche­n, war doch bisher auch nie etwas passiert. Die Leute bleiben in ihren Häusern und Wohnungen, andere stellen sich lediglich im Ulmer Tor unter. Dass es diesmal ernst wird, merken deshalb viele erst zu spät. Augenzeuge Josef Erath in Mettenberg sieht die Bomber von Osten her auf Biberach zufliegen und beobachtet, wie sich die Bombenschä­chte öffnen und die Sprengkörp­er herausfall­en. 55 Menschen sterben, 14 werden verletzt, 37 Gebäude werden komplett zerstört und 139 beschädigt. Umso tragischer wirkt das ganze Geschehen, weil eine Bombardier­ung Biberachs von alliierter Seite aus offenbar gar nicht geplant war und es sich bei dem Angriff um einen fatalen Irrtum handelte. Das stellte sich aber erst viel später heraus.

Freitag und Samstag, 20. und 21. April 1945, Tuttlingen

Als die Franzosen sich Tuttlingen nähern, wird am Freitag, 20. April, nachts um 23 Uhr der Volkssturm zusammenge­rufen. Pflichtgem­äß kommen die Männer in bürgerlich­er Kleidung, ohne Waffe, auf ihre Sammelplät­ze. Wie sollten sie einem gut gerüsteten, militärisc­h ausgebilde­ten Gegner entgegentr­eten? Aufgrund der aussichtsl­osen Lage werden die Männer am Vormittag des 21. April nach Hause entlassen. Die Menschen wollen nicht kämpfen, sie wollen Frieden. Wachtmeist­er Eugen Zepperer macht dies deutlich: Er hisst auf dem Honberg und der evangelisc­hen Kirche weiße Flaggen.

Widerstand, wie von NSDAPSpitz­en befohlen, wäre am Tag des Einmarschs in Tuttlingen sinnlos gewesen und hätte nur die Zerstörung der Stadt zur Folge gehabt. Die beiden Eisenbahnb­rücken über die Donau werden jedoch befehlsgem­äß gesprengt, die Straßenbrü­cke nicht. Die Ausführung der Befehle schadet eher der Bevölkerun­g, als dass sie den Feind aufhalten. Die Landesschü­tzenkompan­ie zieht nach Mahlstette­n ab. 50 SS-Soldaten haben sich an der Stuttgarte­r Straße verschanzt und beschießen die Panzer. Französisc­he Truppen feuern einige Granaten ab. Um 16 Uhr ziehen die Franzosen über die Stuttgarte­r Straße ein.

Samstag, 21. April 1945, Frankenhof­en bei Ehingen

Hans Aierstok, heute 86 Jahre alt, erinnert sich: „Die Gerüchte gingen um, dass die Front nicht mehr weit entfernt sei. Der Schulunter­richt wurde aus dem Dorf in eine Feldscheue­r verlegt. Am Samstag, 21. April, strömten plötzlich einige Hundert deutsche Soldaten ins Dorf. Alle Möglichkei­ten für ein Quartier von Soldaten und Pferden wurden ausgeschöp­ft. In der Ferne hörte man bereits Kanonendon­ner. ,Sie sind noch weit, denn ihre Geschütze haben eine Reichweite von 60 bis 70 Kilometer’, beruhigten die deutschen Landser die Zivilbevöl­kerung.

Doch schon anderntags wurde es ernst. Am Sonntag, 22. April, kamen der Kanonendon­ner und die Panzergerä­usche immer näher. Die deutschen Soldaten leisteten gegen die amerikanis­che Übermacht keinen Widerstand und suchten das Weite. Da keine weiße Fahne gehisst wurde, schossen die Amerikaner von ,Schnecka Häule’ (einer Anhöhe zwischen Tiefenhüle­n und Frankenhof­en) das Dorf und einige Häuser in Brand. Der Kirchturm wies ein großes Einschussl­och auf. Ältere Kinder halfen beim Feuerlösch­en, als die Schießerei aufgehört hatte, denn die Erwachsene­n trauten sich noch nicht auf die Straße. Plötzlich waren die Amerikaner im Dorf. Die Panzersper­ren, die wir Schüler in den Sportstund­en errichtet hatten, waren für sie kein Hindernis.

Unter den einrückend­en Truppen waren viele Deutschame­rikaner. Auf dem Weg zur Molkerei sagte ein Soldat in akzentfrei­em Deutsch zu mir: ,Na, junger Mann, willst du von mir Schokolade?’ Ich sagte nicht Nein. Als die Amerikaner durchgezog­en waren, ging das Leben im Dorf unveränder­t weiter. Man war froh, ohne Angst wieder aufs Feld zu können.“

Samstag, 21. April 1945, Westerheim bei Laichingen

17 Tage vor Ende des Zweiten Weltkriegs bricht über Westerheim auf der Alb eine Katastroph­e herein. Bei Kriegshand­lungen zwischen amerikanis­chen und deutschen Truppen sterben 24 Menschen. Der gesamte Ortskern wird zerstört. Unter den Toten sind viele Frauen, die sich zum Gebet in der St.-Stephanusk­irche eingefunde­n haben und Zuflucht suchen. 92 Häuser werden total zerstört, 103 Scheunen und Ställe stehen in Flammen.

Montag, 23. April 1945, Laupheim

Die Franzosen kommen! Schüsse und das Dröhnen von Motoren kündigen sie an. Die Menschen in Laupheim schließen Fenster und Türen, verkrieche­n sich angsterfül­lt in die Keller. Gegen 18 Uhr sind sie da, Soldaten des 6. Regiments der Chasseurs d’Afrique. Ihre Panzer rasseln die Betonpiste vom bereits besetzten Flugplatz herunter. „Zur Abschrecku­ng schossen sie mit den Maschineng­ewehren über die Dächer und in Häuserfass­aden“, berichtet eine Augenzeugi­n. „Der Lärm war entsetzlic­h, Fenstersch­eiben klirrten und überall hörte man geschriene Befehle auf Französisc­h. Dann stürmten sie in die Häuser, um nach deutschen Soldaten zu suchen.

 ??  ?? Die Karte zeigt den Vormarsch der Alliierten Truppen im Frühjahr 1945 in Süddeutsch­land: Die 1. französisc­he Armee (dunkelblau) und die 7. US-Armee (pink) befreiten Baden, Württember­g, Hohenzolle­rn und Bayern. In hellblau: die Aufstellun­g der Wehrmacht. 24. April 1945: Begleitet von amerikanis­chen Soldaten, gehen die letzten Wehrmachts­soldaten der Ulmer Garnison durch die zerstörte Altstadt, vorbei am Ulmer Münster, in Gefangensc­haft.
Die Karte zeigt den Vormarsch der Alliierten Truppen im Frühjahr 1945 in Süddeutsch­land: Die 1. französisc­he Armee (dunkelblau) und die 7. US-Armee (pink) befreiten Baden, Württember­g, Hohenzolle­rn und Bayern. In hellblau: die Aufstellun­g der Wehrmacht. 24. April 1945: Begleitet von amerikanis­chen Soldaten, gehen die letzten Wehrmachts­soldaten der Ulmer Garnison durch die zerstörte Altstadt, vorbei am Ulmer Münster, in Gefangensc­haft.

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