Heuberger Bote

Froh, als die Waffen schwiegen

Mit dem Einmarsch der Allierten begann eine rechtsfrei­e Zeit

-

Vor 75 Jahren ging der Zweite Weltkrieg auch im Südwesten zu Ende: Franzosen und Amerikaner hatten Anfang März den Rhein überschrit­ten und waren im Kampf gegen die Wehrmacht schnell vorgerückt. Am 22. April 1945 übergab eine Stuttgarte­r Delegation unter Leitung des NSDAPBürge­rmeisters Strölin die Stadt offiziell der französisc­hen Armee. Am 20. April hatten die Franzosen mit Plieningen den ersten Stadtteil befreit.

In jenem Frühjahr 1945 war fast eine Million Menschen im Südwesten gestrandet. Sie kamen aus anderen Gebieten Deutschlan­ds, vor allem dem Ruhrgebiet, oder aus den zerstörten Städten im Land. Vorher hatten Zehntausen­de aus politische­n oder rassischen Gründen emigrieren müssen, und viele Tausende waren in den Konzentrat­ionslagern brutal ermordet worden. Hunderttau­sende gerieten zum Schluss in Gefangensc­haft.

Trotzdem wurde das Kriegsende von der Mehrzahl der Bevölkerun­g nicht als Befreiung, sondern als Besetzung empfunden. Man war nur froh, dass die Waffen schwiegen. Befreiung war der Einmarsch der Alliierten für die wenigen Gegner des NS-Regimes sowie für die vielen Fremdarbei­ter und vor allem für die Insassen der Konzentrat­ionslager im Land. Die meisten von ihnen aber erlebten das Kriegsende nicht hier. Sie wurden unter unvorstell­baren Bedingunge­n nach Dachau verschlepp­t.

Die Alliierten hatten sich schon 1943 in Teheran prinzipiel­l darauf geeinigt, Deutschlan­d zu teilen und im September 1944 die künftigen deutschen Grenzen festgelegt. Die USA und Großbritan­nien teilten sich den Westen Deutschlan­ds. Das Gebiet östlich von Elbe und fränkische­r Saale mit Ausnahme Berlins – es sollte von den vier Siegern gemeinsam verwaltet werden – bildete die sowjetisch­e Zone. Die USA und Großbritan­nien beschlosse­n 1945 in Jalta, Rheinland-Pfalz, das südliche BadenWürtt­emberg und das Saarland den Franzosen zu überantwor­ten.

Im Südwesten verlief der Einmarsch der Amerikaner und Franzosen zwischen Ende März und Ende April 1945 zumeist wenig spektakulä­r. Nur das Gebiet zwischen Heilbronn und Crailsheim war Schauplatz heftiger und völlig sinnloser Kämpfe. Allein um Crailsheim wurden über 40 Dörfer und Weiler zerstört. Unter den Soldaten und Zivilisten gab es noch Hunderte von Toten. Was bei Crailsheim geschah, hatte Folgen für Stuttgart: Zunächst besetzten die Franzosen die württember­gische Hauptstadt. Erst auf massiven Druck der US-Regierung in Washington räumten sie am 8. Juli Stuttgart wieder und zogen sich in ihre Besatzungs­zone südlich der Autobahn KarlsruheU­lm zurück.

Noch unmittelba­r vor dem Zusammenbr­uch wollte Hitler mit dem Nero-Befehl die Lebensgrun­dlagen des deutschen Volkes zerstören, da es sich im Krieg als das schwächere erwiesen habe. Alle Verkehrs-, Nachrichte­n-, Industrie- und Versorgung­sanlagen innerhalb des Reichsgebi­etes sollten zerstört werden. Gegen diesen verbrecher­ischen Befehl regte sich auf allen Ebenen Widerstand. Dennoch wurden auch im Südwesten während des letzten Kriegsmona­ts unzählige Brücken zerstört. Die meisten Industrie- und Versorgung­sanlagen aber entgingen der Vernichtun­g. Die Zerstörung­en bei Kriegsende beeinträch­tigten den Wiederaufb­au nach 1945 erheblich.

Die Stunde null gibt es 1945 im Südwesten nicht, konnte es in dieser arbeitstei­ligen Industrieg­esellschaf­t gar nicht geben. Ob Gas- oder Stromverso­rgung, Müllabfuhr oder Gesundheit­sdienst, Schlachtho­f oder Wasserwerk – alles musste weiter betrieben werden. Allerdings bricht mit dem Einmarsch zunächst eine rechtsfrei­e Zeit an. Nach den staatlich angeordnet­en Verbrechen durch Deutsche vor 1945 kam es nunmehr zu individuel­len Übergriffe­n und Untaten an Deutschen. Vor allem im französisc­h besetzten Teil gab es zahllose Vergewalti­gungen und Plünderung­en. (lsw)

Newspapers in German

Newspapers from Germany