Rätsel über Verbleib von Kim Jong-un
Medien berichten bereits vom Tod des nordkoreanischen Machthabers – Propaganda ist vergleichsweise ruhig
(dpa) - Nach zwei Wochen Abwesenheit wird immer mehr über den Verbleib von Nordkoreas Diktator Kim Jong-un gerätselt. Inmitten widersprüchlicher Berichte über den Gesundheitszustand wurde Kims Privatzug von US-Experten an der Ostküste des Landes gesichtet. Die Nordkorea-Nachrichtenseite „38 North“veröffentlichte Satellitenbilder, die aber keinen echten Aufschluss brachten. Die Berichte über eine schwere Erkrankung Kims, der erst Mitte 30 ist, sorgen international seit Tagen für Aufsehen.
- Mediale Aufregung um Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un: Seit dem Wochenende kursieren Gerüchte über den Tod des vermutlich 36-jährigen Diktators. Die japanische Boulevardzeitung „Shunkan Gendai“meldete am Samstagabend, Kim sei nach Komplikationen bei der Herzoperation am 12. April nicht mehr bei Bewusstsein. Er befinde sich in einem „vegetativen Zustand“. Das würde bedeuten, der Diktator sei infolge einer massiven Funktionsstörung beider Großhirnhälften kaum noch oder gar nicht mehr ansprechbar. Die „New York Post“berichtet, Kim sei verstorben.
Belastbare Berichte oder gar eine amtliche Bestätigung aus Pjöngjang gibt es für beide Meldungen jedoch nicht. Das amerikanische Blatt nennt als Quelle einen Vizedirektor des Hongkonger TV-Senders HKSTV. Dieser beruft sich auf einen Post der chinesischen Nachrichten-App Weibo, der im Netz massiv geteilt werde. In den sozialen Netzwerken kursiert auch das Gerücht, China habe ein Team von spezialisierten Ärzten nach Nordkorea entsandt.
Inmitten dieser widersprüchlichen Berichte wurde Kims mutmaßlicher Privatzug von US-Experten an der Ostküste des Landes gesichtet. Die auf Nordkorea spezialisierte Nachrichtenseite „38 North“veröffentlichte dazu am Samstag (Ortszeit) Satellitenbilder, die aus der vergangenen Woche stammen sollen.
Zu den Satellitenbildern schrieben die US-Experten selbst, der Zug im Küstenort Wonsan sage nichts darüber aus, wo sich Kim selbst aufhält und wie es um seine Gesundheit bestellt ist. Allerdings verliehen die Aufnahmen Berichten Gewicht, wonach sich Kim „in einem Gebiet für die Elite an der Ostküste des Landes“befinde. Der Zug könnte bereits vor dem 21. April an einem Bahnhof eingetroffen sein, der für die stalinistische Führung reserviert ist. Am 23. April sei er noch immer dort gewesen, so „38 North“.
US-Präsident Donald Trump bezeichnete einen Bericht über den angeblich kritischen Zustand Kims als „inkorrekt“. Er habe „gehört“, dass diese Meldung auf „alten Dokumenten“basiere. Eine Quelle für diese Einschätzung nannte der Chef des
Weißen Hauses jedoch nicht. Trump hatte schon in der vergangenen Woche behauptet, er habe einen „sehr netten“Brief des Diktators erhalten. Kurz darauf dementierte das Regime in Pjöngjang aber, dass es ein solches Schreiben überhaupt gäbe.
Auch das US-Verteidigungsministerium erklärte bereits Mitte der Woche, man habe keine Anhaltspunkte, dass Kim aufgrund seiner Gesundheitsprobleme die Kontrolle über die Atomwaffen Nordkoreas verloren habe. Aber genau das scheint die Sorge der südkoreanischen Regierung zu sein. Vielleicht um die eigene Bevölkerung in Sicherheit zu wiegen, kommen aus Südkorea eher beschwichtigende Statements. Ein Sprecher des Präsidenten sagte, man habe „keine speziellen Signale im Norden wahrgenommen“.
Also: Genaues weiß man nicht und die verlässliche Faktenlage ist ausgesprochen dünn. Fest steht, dass der Machthaber am 15. April zum „Tag der Sonne“– dem Geburtstag seines
Großvaters und Präsident auf Ewigkeit, Kim Il-sung – nicht in der Öffentlichkeit aufgetaucht war. Es gilt als Unding, dass der Führer diesen Anlass ohne einen sehr triftigen Grund auslassen kann.
Ungewöhnlich ist auch, dass Kim Jong-un zwei Tage vorher als Oberkommandeur der Streitkräfte bei einem Manöver fehlte. Auch das Schweigen der Staatsmedien über den Verbleib des nordkoreanischen Führers ist mehr als unüblich. Bei internationalen Gerüchten um dessen Gesundheit lässt die amtliche Propaganda nie Zweifel an der Führungsfähigkeit des Machthabers aufkommen. Aktuell aber ist sie ruhig.
So interpretiert es unter anderen Thae Yong-Ho, ein ehemaliger TopDiplomat Nordkoreas in Großbritannien, der 2016 nach Seoul überlief. Eine schwere Herzerkrankung des stark übergewichtigen Kettenrauchers Kim Jong-un halten einige durchaus für wahrscheinlich. Sowohl sein Großvater als auch sein Vater und Vorgänger
Kim Jong-il starben nach einem Herzinfarkt. Letzterer litt zudem an Bluthochdruck, Diabetes und einem stark erhöhten Cholesterinspiegel.
Auch im Vertuschen von Krankheiten der Kim-Clique hat Pjöngjang erhebliche Erfahrungen. Im Falle von Kim Jong-il verschwand der Diktator 2008 nach einem Schlaganfall für Monate aus der Öffentlichkeit, ehe er als abgemagerter und zerbrechlicher Greis wieder auftauchte und schließlich 2011 starb. So lange gab es offenbar keinen Nachfolger und der junge Kim Jong-un war noch nicht so weit, die Dynastie fortzusetzen. Und auch diesmal stellt sich die Frage, wer die Blutlinie fortsetzen könnte.
Südkoreanische Experten tippen auf den „versteckten Bruder“des Diktators, Kim Jong-chol. Über seine Biografie ist wenig bekannt. Gerüchteweise besuchte er die International School of Berne (ISB) in der Schweiz. Dort soll er sich unter dem Decknamen Choi Pak als Kind eines nordkoreanischen Botschaftsangehörigen ausgegeben haben. Außer gelegentlich auf Konzerten des britischen Gitarristen Eric Clapton in Deutschland, Singapur und England ist dieser Kim kaum in Erscheinung getreten. Er gilt als politisches Leichtgewicht. Für den 38-Jährigen spricht, dass er männlich ist. Nordkorea ist bisher ziemlich konsequent eine chauvinistische Gesellschaft.
Dennoch ist wohl Kims jüngste Schwester Kim Yo-jong jene Favoritin, die vom Machthaber stark protegiert wird. Erst kürzlich wurde sie in das Politbüro der kommunistischen Arbeiterpartei berufen. Auch bei den Gipfeltreffen mit Donald Trump in Singapur und Hanoi saß sie bereits mit am Verhandlungstisch. Derzeit tritt sie vor allem als Propagandachefin ihres Bruders und dessen Sonderbotschafterin für heikle Angelegenheiten in Erscheinung. Für die 32-Jährige spricht neben ihrer politischen Erfahrung vor allem die Familienbande. Sie wäre die vierte Kim in Folge seit 1948.