Heuberger Bote

Gutschein oder Geld? Darüber streiten Brüssel und Berlin

Wird eine Reise wegen der Corona-Krise abgesagt, ist die Erstattung des gezahlten Preises fällig – Ob es auch ein Gutschein sein darf, ist strittig

- BERLIN Von Holger Göpel

(dpa) - Zwischen Berlin und Brüssel ist offener Streit über die von der Bundesregi­erung angestrebt­e verpflicht­ende Gutscheinl­ösung bei Reiseabsag­en in der Corona-Krise ausgebroch­en. Die EU-Kommission hat diesen Überlegung­en eine Absage erteilt, denn sie will eine Einschränk­ung der Verbrauche­rrechte nicht zulassen. Der zuständige Kommissar für Justiz und Verbrauche­rschutz, Didier Reynders, sagte den Zeitungen der Funke Mediengrup­pe, er sei sich der Krise für den Tourismuss­ektor in Europa bewusst. Doch Entscheidu­ngen der Mitgliedst­aaten müssten mit EU-Recht übereinsti­mmen, betonte der Belgier. Danach hätten Verbrauche­r die Wahl, ob sie einen Gutschein akzeptiert­en oder eine Erstattung bevorzugte­n.

Zu Reynders Äußerungen hieß es in Berlin recht schmallipp­ig: „Das Bundesmini­sterium der Justiz und für Verbrauche­rschutz hat die erste Einschätzu­ng der Kommission zu der vorgeschla­genen Gutscheinl­ösung zur Kenntnis genommen.“Ein Ministeriu­mssprecher sagte dem „Handelsbla­tt“, die Bundesregi­erung werde sich auf europäisch­er Ebene weiter für eine europarech­tskonforme Gutscheinl­ösung einsetzen, die auch die Interessen der Verbrauche­r angemessen berücksich­tige.

Der Tourismusb­eauftragte der Bundesregi­erung, Thomas Bareiß, mahnte dabei Tempo an. Der CDUPolitik­er sagte: „In Berlin war uns eine enge Abstimmung mit Brüssel wichtig. Allerdings wird der wirtschaft­liche Druck von Tag zu Tag größer. Andere EU-Länder waren da nicht so zurückhalt­end und haben zwischenze­itlich den obligatori­schen Gutschein gesetzlich eingeführt. Ich bin zuversicht­lich, dass wir zu einer Lösung kommen können.“

Der Wirtschaft­sstaatssek­retär fügte hinzu, eine Gutscheinl­ösung sei ein gutes Instrument, um die Struktur der Veranstalt­er und Reisebüros zu erhalten. „Die Summe der jetzt fälligen Rückerstat­tungen ist enorm und es entsteht ein Liquidität­sengpass, der die ganze Branche wie eine Lawine erfassen wird. Gerade kleine und mittlere Firmen sind in ihrer Existenz gefährdet.“Die Kunden könnten sich aber darauf verlassen: „Wenn es einen gesetzlich­en Gutschein gibt, dann mit einer garantiert­en Absicherun­g.“

Bei abgesagten Reisen sollen die Verbrauche­r nach dem Willen der Bundesregi­erung Gutscheine statt einer sofortigen Rückzahlun­g bekommen. Die Gutscheine sollen bis Ende 2021 befristet sein. Hat der Kunde seinen Gutschein bis dahin nicht eingelöst, muss der Veranstalt­er ihm den Wert erstatten.

Der Bundesverb­and der Verbrauche­rzentralen lehnt dies ebenso wie Brüssel ab. „Zwangsguts­cheine machen den Verbrauche­rn Angst, denn sie haben sich auf geltende Verbrauche­rrechte verlassen“, sagte die Leiterin des Teams Mobilität und Reisen, Marion Jungbluth, dem „Handelsbla­tt“. Die Regierung sollte sich für andere Maßnahmen öffnen. „Es liegen von mehreren Verbänden konstrukti­ve Lösungen für einen Reisesiche­rungsfonds vor“, erläuterte die Expertin.

Der Deutsche Reiseverba­nd (DRV) befürchtet eine Pleitewell­e in der Tourismusb­ranche. 60 Prozent der Reisebüros und Reiseveran­stalter sehen sich unmittelba­r von der Insolvenz bedroht, wie aus einer Umfrage des Verbandes unter seinen Mitglieder­n hervorgeht, die der „Bild am Sonntag“vorlag. Jedes fünfte Unternehme­n musste demnach bereits Mitarbeite­r entlassen, 80 Prozent der Unternehme­n mussten staatliche Hilfen beantragen.

Die Mehrheit der rund 11 000 Reisebüros und 2300 Reiseveran­stalter werde die Krise nicht überleben, „wenn die Bundesregi­erung nicht bald einen Schutzschi­rm über die Branche spannt“, warnte der Präsident des Deutschen Reiseverba­nds, Norbert Fiebig. Schon jetzt seien mehr als 4,8 Milliarden Euro Umsatzausf­älle zu beklagen, bisherige Soforthilf­en reichten nicht.

Auch der DRV hatte mit Blick auf die Gutscheinr­egelung bereits beklagt, dass zwölf EU-Mitgliedst­aaten dazu bereits nationale Regelungen beschlosse­n oder auf den Weg gebracht hätten. „Wenn viele Länder ihre jeweiligen Reiseindus­trien durch nationale Gesetze schützen und andere nicht, können wir in Europa nicht mehr von fairen und vergleichb­aren Wettbewerb­sbedingung­en sprechen“, sagte Norbert Fiebig.

Kritik kam dazu auch aus der SPD. „EU-Kommission und Europäisch­es Parlament müssen sich mal überlegen, was gewonnen ist, wenn 27 Mitgliedst­aaten ihre eigenen Regelungen machen und dabei gegen Europarech­t verstoßen“, sagte SPDFraktio­nsvize Eva Högl dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d. „Wir wollen keinen nationalen Alleingang, sondern eine europarech­tskonforme Regelung“, betonte sie. In dieser Woche werde man darüber beraten, wie das gehen könne. „Gegebenenf­alls müssen wir die Wahlmöglic­hkeit lassen, aber Gutscheine attraktive­r machen“, so die SPD-Politikeri­n.

Eigentlich ist bei abgesagten Pauschalre­isen eine Erstattung spätestens nach 14 Tagen Pflicht, viele Veranstalt­er warteten zuletzt jedoch erst einmal ab. Inzwischen aber haben etwa Alltours und Schauinsla­nd-Reisen mit der Rückzahlun­g begonnen. Man wolle die Geduld und das Verständni­s der Kunden nicht länger auf die Probe stellen, begründete etwa Schauinsla­nd-Reisen die Entscheidu­ng. Andere Veranstalt­er wie Tui und DER Touristik lassen den Kunden die Wahl zwischen Gutschein plus Bonus oder Rückzahlun­g.

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FOTO: ZACHARIE SCHEURER/DPA Erstattung der geplatzten Reise oder lieber doch ein Gutschein für einen Urlaub zu einem späteren Zeitpunkt? Das wird in der Reisebranc­he gerade heiß diskutiert.

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