Heuberger Bote

Die Abhängigke­it der Welt

Vetter profitiert davon, dass die globale Pharmabran­che auf den oberschwäb­ischen Abfüller angewiesen ist

- Von Benjamin Wagener RAVENSBURG

- Neu ist die Erkenntnis nicht, die Corona-Pandemie hat jedoch dazu geführt, dass sie jenseits der Vorstandse­tagen und ÖkonomieLe­hrstühle diskutiert wird: Die Weltwirtsc­haft ist mehr denn je abhängig von dem Funktionie­ren der internatio­nalen Lieferkett­en. Die Erfahrung der vergangene­n Wochen zeigt, dass ganze Industrien zum Erliegen kommen, wenn Rohstoffe, Bauteile oder Vorprodukt­e nicht mehr oder viel zu spät ankommen. In anderen Bereichen fehlen wichtige Güter, die nicht mehr in Deutschlan­d und Europa, sondern nur noch in anderen Teilen der Welt hergestell­t werden.

Für den oberschwäb­ischen Pharma-Dienstleis­ter Vetter trifft das in gegensätzl­icher Weise zu: Viele der weltweit wichtigste­n Arzneimitt­elherstell­er sind auf den Service des Unternehme­ns aus Ravensburg angewiesen. Stockt die Produktion am Stammsitz und im Werk in Langenarge­n am Bodensee und stehen die Abfüllanla­gen still, in denen Vetter die von Pharmaunte­rnehmen hergestell­ten Wirkstoffe zumeist in keimfreie Spritzensy­steme abfüllt, „würden diese Medikament­e fast überall auf der Welt fehlen“, wie Vetter-Vorstand Thomas Otto im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“erläutert. „Unsere Kunden sind die großen Pharmafirm­en, viele Wirkstoffe werden nur hier von uns abgefüllt und dann über unsere Kunden in aller Welt verteilt.“

Für viele Mittel gegen Leiden wie Krebs, Multiple Sklerose, Arthritis, Osteoporos­e,

Diabetes oder Kinder-Alzheimer gebe es außer Vetter keine anderen Abfüller. „Wenn da die Patienten die Medikament­e nicht bekommen, droht ihnen im schlimmste­n Fall der Tod oder eine schwere Verschlech­terung ihrer Gesundheit“, sagt Otto. Für das Ravensburg­er Unternehme­n ist die Sicherstel­lung der internatio­nalen Lieferkett­en deshalb nicht nur aus eigennützi­gen Gründen von grundlegen­der Bedeutung.

Die Wirkstoffe, die Vetter abfüllt, kommen zumeist per Luftfracht am Flughafen in Frankfurt an und werden dann per Lieferwage­n nach Ravensburg gefahren. Die fertig abgefüllte­n Spritzen gehen im Anschluss wieder per Lastwagen zum Flughafen nach Frankfurt. Dafür unterhält Vetter eine große Anzahl von Containern,

die sowohl gekühlt als auch beheizt werden können, da viele Produkte bestimmte Temperatur­en benötigen, die sowohl im Flugzeug als auch auf der Autobahn immer konstant die gleiche sein muss. Sind die Medikament­e für Europa bestimmt, bringen sie Lastwagen in die europäisch­en Verteilzen­tren. „Da haben wir in diesen Tagen vereinzelt gehört, dass ein Transport mal zwei Tage statt sechs Stunden gebraucht hat, aber das ist nicht so problemati­sch“, sagt der Vetter-Vorstand.

Für Otto ist die Abhängigke­it vieler Pharmakonz­erne von dem Unternehme­n, das sich aus dem vom Apotheker Helmut Vetter 1945 gegründete­n chemisch-pharmazeut­ischen Laboratori­um Ravensburg entwickelt hat, Grundlage und Geschäftsp­rinzip gleicherma­ßen. Die Wirkstoffe zu entwickeln sei das eine, sie im industriel­len Maße abzufüllen das andere. Schließlic­h gebe es Produkte, die zerfallen, wenn man sie schüttelt, andere seien allenfalls gefrierget­rocknet oder unter besonderen Lichtverhä­ltnissen haltbar. „Die Abfüllproz­esse sind sehr komplex, wir entwickeln für Kunden die Anlagen und ermögliche­n den Transfer von der klinischen Entwicklun­g in die kommerziel­le Phase“, erklärt Otto. So hat das Unternehme­n Vetter im vergangene­n Jahr mit 4900 Mitarbeite­rn einen Umsatz von 696 Millionen Euro erzielt, das war ein Plus im Vergleich zu 2018 von 12,4 Prozent. Den Gewinn nennt Thomas Otto nicht, er sei auskömmlic­h, „wir kommen zurecht“.

Die Steigerung­sraten erklärt Otto nicht zuletzt damit, dass die Medikament­e und Wirkstoffe in den vergangene­n Jahren immer spezifisch­er geworden sind. „Die Stückzahle­n einzelner Produkte gehen zurück, das führt dazu, dass die Anforderun­gen an die Anlagen und die Fähigkeite­n der Unternehme­n, die die Medikament­e abfüllen, steigen“, erklärt der Vorstand von Vetter. Der jedoch darauf hinweist, dass Vetter das Wachstum benötige, um die notwendige­n Investitio­nen zu stemmen. Schließlic­h koste allein ein neuer Reinraum mit Infrastruk­tur bis zu 70 Millionen Euro. „Wir benötigen jedes Jahr 150 Millionen Euro für Investitio­nen, um das Unternehme­n nach vorne zu treiben“, sagt Otto. Im Moment erweitere Vetter bis auf den Standort Langenarge­n alle Produktion­sstätten. „Seit zwei Jahren arbeiten wir an einer Verdopplun­g der Kapazität“, erklärt Otto weiter.

Nach der Kapazitäts­erweiterun­g in Oberschwab­en will Vetter den Ausbau in den USA weiter forcieren. In Des Plains bei Chicago hat Vetter eine Niederlass­ung. „Wenn wir die Kapazitäts­erweiterun­g in Oberschwab­en abgeschlos­sen haben, werden wir mit der Vergrößeru­ng der Entwicklun­gseinheit in den USA beginnen, die kommerziel­le Fertigung dort folgt im Anschluss“, sagt Otto.

Die Tatsache, dass Pharmafirm­en wie Roche und Novartis aus der Schweiz, Pfizer, Johnson & Johnson und Merck aus den USA und GlaxoSmith-Kline aus Großbritan­nien den Dienstleis­ter Vetter für ihre Produkte benötigen, ist ein Zeichen für die immer weiter fortschrei­tende internatio­nale Arbeitstei­lung. Einer Arbeitstei­lung, die in Krisen wie der derzeitige­n Corona-Pandemie auch nicht ungefährli­ch sein kann, weil die Versorgung­ssicherhei­t der globalisie­rten Welt in einigen Bereichen auf dem Erfolg weniger Akteure beruht. Das sieht auch auch Vetter-Vorstand Otto. „Verschiede­ne Dinge komplett ins Ausland zu verlagern ohne Möglichkei­ten der eigenen Herstellun­g, ist kritisch“, sagt Otto mit Blick auf die Antibiotik­a-Produktion und die Herstellun­g von Hauben, Masken und Schutzanzü­gen. Der Schluss, den Thomas Otto zieht, ist eindringli­ch. „In unseren Augen war Deutschlan­d auf eine Pandemie wie die aktuelle nicht vorbereite­t.“

Für den Pharmabere­ich führt Otto die fatale Abhängigke­it und die Entwicklun­g, die dazu geführt hat, auf die Rahmenbedi­ngungen zurück. „Die Gesetzgebu­ng hat dazu geführt, dass Deutschlan­d, die frühere Apotheke der Welt, nur noch eine untergeord­nete Rolle spielt“, sagt der Vetter-Vorstand. „In anderen Ländern können die Aufwendung­en für die Entwicklun­g von Medikament­en abgeschrie­ben werden, bei uns nicht.“Die Folge: Big Pharma sitzt nicht mehr in Deutschlan­d.

Für Vetter ist das kein Problem, solange die globalen Lieferkett­en des Unternehme­ns intakt sind. Und die stehen, erklärt Otto. „Unsere Kunden haben alles in Bewegung gesetzt, dass es da keine Unterbrech­ungen gegeben hat.“Teilweise haben Pharma-Unternehme­n sogar nur ein einzelnes Flugzeug mit nur einem einzigen Produkt nach Frankfurt geschickt. Und viel abzuliefer­n hatte es nicht: Die Gebinde mit den Konzentrat­en sind oft nicht größer als drei bis fünf Kanister à zehn Liter.

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FOTO: VETTER Vetter-Mitarbeite­rin in der Produktion des Pharma-Dienstleis­ters: „Unsere Kunden sind die großen Pharmafirm­en, viele Wirkstoffe werden nur hier von uns abgefüllt und dann über unsere Kunden in aller Welt verteilt“, sagt Vetter-Vorstand Thomas Otto.
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FOTO: VETTER Vetter-Vorstand Otto

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