Heuberger Bote

Security-Job als Lottogewin­n

Wegen der Ausbreitun­g des Coronaviru­s musste sich DJ Thomas Rahde einen neuen Job suchen

- Von Birga Woytowicz TUTTLINGEN

- Thomas Rahdes Terminkale­nder ist zu Beginn des Jahres gut gefüllt gewesen. Dann kam die Ausbreitun­g des Coronaviru­s. Statt auf Hochzeiten und Geburtstag­en als DJ aufzulegen, sorgt er jetzt für Ordnung vor einem Tuttlinger Supermarkt. Für ihn ist der Security-Job ein Hauptgewin­n – ein Sechser im Lotto. Auch wenn er jetzt weniger von Feierfreun­den und viel mehr von gestresste­n Einkäufern umgeben ist, die immer aggressive­r würden, bedauert Rahde.

Eine einzige Hochzeit im September wurde noch nicht gestrichen. „Ich vermute aber, die werden auch noch abspringen“, sagt Rahde. Liebend gern würde er Musik machen. Dieses Jahr habe er aber komplett abgeschrie­ben. Da arrangiert er sich lieber mit seiner neuen Arbeit als Sicherheit­sdienstmit­arbeiter. Über einen Bekannten konnte er schnell einsteigen. „Ich wüsste nicht, wie ich sonst meine Rechnung bezahlen soll. Mir wäre sonst nur Hartz IV geblieben. Ich muss aber unter Menschen.“Da sei der neue Job wie für ihn gemacht.

Jetzt steht er stundenlan­g vor dem Supermarkt, sorgt dafür, dass die Menschen Ein- und Ausgang getrennt benutzen und jeder, der nicht nur kurz zum Bäcker möchte, einen Einkaufswa­gen mitnimmt. Viele rauschen an ihm vorbei, andere halten für ein kurzes Gespräch. „Vor allem für viele Rentner ist der Einkauf noch die einzige Möglichkei­t, rauszukomm­en. Einer kommt zwei Mal am Tag, um zu reden.“

Wie gehts? Wie geht es weiter? Was macht die Liebe? „Die Leute erzählen alles Mögliche. Ich bin Seelsorger, Zuhörer und manchmal auch Frauenvers­teher“, sagt Rahde und lacht. Manchmal unterhielt­en sich Menschen am Eingang, drehten sich zustimmend zu ihm um und schon sei er mitten im Gespräch.

Aber nicht nur Rahde spendet aufmuntern­de Worte. „Hin und wieder bleiben Menschen und sagen, dass ich einen guten Job mache, bedanken sich, dass ich da bin.“Manche bringen eine Tafel Schokolade oder einen Fleischkäs­ewecken aus dem Laden mit. „Das darf ich gar nicht alles essen, sonst werde ich noch zu dick“, sagt Rahde.

Breiter Stand, schwarze Klamotten, verschränk­te Arme, ein Dauerläche­ln im Gesicht. Rahde bricht mit dem Klischee des kantigen, wortkargen Sicherheit­spersonals. Er ist gesellig. Der einzige Grund, dass er steht: „Wenn ich auf einem Stuhl sitze, sieht das doch blöd aus.“Also bleibt der Klappstuhl verpackt hinter Kisten versteckt. Ein junger Mann läuft vorbei. Rahde dreht sich zu ihm um, verfolgt seine Schritte und sucht Blickkonta­kt. Hat der Kunde vielleicht einen Einkaufswa­gen vergessen? Der grummelt nur „Muss zum Lotto.“Rahde grinst ihn an und fragt: „Warum redest du denn nicht mit mir? Mit mir kann man sprechen.“

Er beobachte, dass die Menschen immer gestresste­r würden, je länger die Ausgangsbe­schränkung­en anhalten. „95 Prozent haben Verständni­s. Aber fünf Prozent wollen es nicht verstehen.“Manch einer beleidige ihn, andere spuckten ihm vor die Füße. Zwei Mal musste Rahde ein Hausverbot erteilen.

Bedenken habe er auch, wie die Kunden künftig mit der Maskenpfli­cht umgehen. „Da wird es, glaube ich, Probleme geben. Das werden noch turbulente Zeiten“, sagt Rahde. Herausford­ernd könnte es vor allem werden, weil er den Ladeneinga­ng allein überwache. „Ich habe mir noch eine stichsiche­re Weste bestellt. Man weiß ja nie“, sagt Rahde, der sonst so optimistis­ch ist. Sorgen um die Ausbreitun­g des Coronaviru­s selbst mache er sich nicht, das würde er schon alles überstehen. Aber von seinen Mitmensche­n wünscht er sich mehr Gelassenhe­it.

Vielleicht bekommt er die erst wieder so richtig zu spüren, wenn er auf einer Feier hinter dem DJ-Pult steht. Manchen Einkäufern steckt er sicherheit­shalber seine Visitenkar­te zu. Dass sich die Menschen auch nach der Krise an ihn erinnern.

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FOTO: BWO Ohne seien neuen Job wüsste Thomas Rahde nicht, wie er sein Leben finanziere­n sollte.

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