Heuberger Bote

Wie das Coronaviru­s zwei Flugzeugtr­äger lahmlegte

Die Epidemie hat auf einem französisc­hen und einem US-amerikanis­chen Kriegsschi­ff katastroph­ale Folgen – Allerdings könnten die Ausbrüche aufschluss­reich sein

- Von Julia Naue und Lena Klimkeit PARIS

(dpa) - Kurz bevor das Drama offenbar wurde, gab es noch ein Konzert. Im großen Hangar des französisc­hen Flugzeugtr­ägers „Charles de Gaulle“spielte die Matrosenka­pelle. Rund 300 Militärs lauschten den Klängen. Dabei habe man sich zwar bemüht, Distanz zu halten – im Nachhinein hätte man auf diese Veranstalt­ung aber wohl verzichten sollen, resümiert der Stabschef der französisc­hen Marine, Christophe Prazuck. Denn kurze Zeit später – Anfang April – ist klar: Das Coronaviru­s ist mit an Bord. Aus ein paar Verdachtsf­ällen werden mehr als 1000 infizierte Militärs. Wie konnte das passieren?

Bereits Ende März erschütter­te ein Corona-Ausbruch auf dem USFlugzeug­träger „USS Theodore Roosevelt“die amerikanis­che Marine. Das Virus hatte sich rasch unter der Besatzung ausgebreit­et. Mehr als 770 Besatzungs­mitglieder haben sich mit dem Erreger Sars-CoV-2 infiziert, 99 Prozent der Crew wurde bisher getestet. Ein Besatzungs­mitglied starb an den Folgen einer Covid-19-Erkrankung. Am Ende stand der Rücktritt von Marinemini­ster Thomas Modly. Hätten die Franzosen nicht gewarnt sein müssen?

Die „Charles de Gaulle“ist ein nuklear angetriebe­ner Flugzeugtr­äger und das Flaggschif­f der französisc­hen Marine. Entscheide­nd bei der Frage danach, wie das Virus auf das Schiff gekommen ist, ist ein Aufenthalt in Brest. Dort machte das riesige Kriegsschi­ff vom 13. bis 16. März

Halt. Zu dieser Zeit gab es in Frankreich noch keine Ausgangsbe­schränkung­en, aber das Land steckte bereits mitten in der Corona-Krise. Der Fall aus den USA war noch nicht bekannt.

Die Militärs hätten dringend etwas Zeit zum Wiederauft­anken gebraucht, verteidigt­e Prazuck den Stopp im „Journal du Dimanche“. Allerdings geht er davon aus, dass das Virus wahrschein­lich in Brest an Bord gekommen ist – sicher sei es aber nicht. Die Militärs durften an diesem Wochenende ihre Familien besuchen, einige sind Berichten zufolge in Bars zum Feiern gegangen. Rückblicke­nd, so Prazuck, wäre es vielleicht besser gewesen, die Mission damals abzubreche­n.

Doch es ging wieder raus auf den Atlantik, mit mehr als 2000 Militärs. Auf einem Schiff, auf dem man sich kaum aus dem Weg gehen kann, mit engen Gängen und Zimmern für bis zu 20 Menschen. In dieser Zeit gab es laut französisc­hem Verteidigu­ngsministe­rium einige Vorsichtsm­aßnahmen, der Morgenappe­ll wurde etwa abgesagt. „Nach vierzehn Tagen auf See, in denen keine Fälle gemeldet wurden, wurde (dies) allmählich gelockert, da der Kommandant das Gefühl hatte, dass das Risiko geringer geworden sei …“, so Stabschef Prazuck. Im Hangar spielte also die Kapelle. Zu diesem Zeitpunkt müsste den Franzosen auch der Ausbruch auf dem US-Schiff bekannt gewesen seien.

Kurz darauf gab es erste Verdachtsf­älle auf der „Charles de Gaulle“. Das Investigat­ivportal „Mediapart“berichtete etwa unter Berufung auf einen Matrosen und Familienan­gehörige, dass die Epidemie auf dem Schiff solche Ausmaße annahm, dass nicht alle Kranken verfolgt und isoliert werden konnten. Viele Menschen hätten Symptome gehabt, es sei überall gehustet worden.

Das Schiff kehrte am 12. April schließlic­h in seinen Heimathafe­n Toulon zurück, die Militärs wurden in der Region isoliert – einige erheben schwere Vorwürfe. Mehr als 20 kamen ins Krankenhau­s, 15 waren am

Donnerstag dort immer noch in Behandlung – drei von ihnen auf der Intensivst­ation. Verteidigu­ngsministe­rin Florence Parly musste sich vor dem Verteidigu­ngsausschu­ss des Senats zu dem Skandal befragen lassen.

Dass ein solch beengter Ort wie ein Flugzeugtr­äger für ein Virus der perfekte Ort ist, ahnte auch der entlassene Kapitän der „USS Theodore Roosevelt“, Brett Crozier. Er schlug in einem Brief Alarm wegen der Situation an Bord – und sendete ihn an einen großen Verteiler. Er forderte eine weitgehend­e Evakuierun­g des Schiffs, um weitere Infektione­n zu vermeiden. „Wir befinden uns nicht im Krieg. Keine Marineange­hörigen müssen sterben“, schrieb Crozier. Ohne Evakuierun­g müsse mit dem Tod von Soldaten gerechnet werden, warnte er. Er sollte recht behalten.

Doch so dramatisch die beiden Fälle auch sind, sie sind auch wissenscha­ftlich nicht uninteress­ant. USVerteidi­gungsminis­ter Mark Esper sagte vergangene Woche, dass von 585 positiv getesteten Soldaten nur 213 Symptome gezeigt hatten. Auch in Frankreich haben nur rund die Hälfte der mehr als 1000 positiv getesteten Besatzungs­mitglieder Symptome. Die Besatzung eines Kriegsschi­ffes ist im Schnitt außerdem jünger als der Durchschni­tt der Bevölkerun­g.

„Es gibt wahrschein­lich eine beträchtli­che Anzahl asymptomat­ischer Formen, die vor allem in jüngeren Bevölkerun­gen auftreten“, sagte Jean-François Delfraissy, der Leiter des wissenscha­ftlichen Rates, der die französisc­he Regierung in der Krise berät. Allerdings gibt er zu bedenken: „Es ist sehr informativ und sollte uns zum Nachdenken anregen, aber es handelt sich immer noch um ganz besondere Bedingunge­n.“

Heute liegt die nuklearget­riebene und hochgerüst­ete „USS Theodore Roosevelt“vor der Pazifikins­el Guam. Das Schiff ist inzwischen weitgehend evakuiert worden. Aus Sicherheit­sgründen können allerdings nicht alle Soldaten von Bord gehen. Der Grund für den Ausbruch ist noch unklar. Von einer Rückkehr zur Normalität kann noch immer keine Rede sein. Die laut US-Medien geplante Rückkehr auf das Schiff, von dem angenommen wird, dass es mittlerwei­le „coronafrei“ist, verzögert sich.

Im Gegensatz zu den USA hat Frankreich nur einen einzigen Flugzeugtr­äger – die „Charles de Gaulle“. Das Flaggschif­f der französisc­hen Marine, das in der Vergangenh­eit am Kampf gegen islamistis­che Kämpfer im Nahen Osten beteiligt war, liegt nun im Hafen von Toulon und wird desinfizie­rt.

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FOTO: CHRISTOPHE SIMON/DPA Französisc­he Marinesold­aten mit Mundschutz an Bord des Flugzeugtr­ägers „Charles de Gaulle“, während dieser im südfranzös­ischen Hafen von Toulon eintrifft.

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