Heuberger Bote

„Man muss breit aufgestell­t sein“

Freilichtm­useum: Leiter Andreas Weiß über Wissensver­mittlung, Ausstellun­gsideen und Visionen

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NEUHAUSEN OB ECK - Es ist ein berufliche­r Start der etwas anderen Art, den Andreas Weiß als neuer Leiter des Freilichtm­useums derzeit durchlebt. Das Museum hat wegen der Corona-Verordnung­en noch geschlosse­n. Mit unserer Redakteuri­n Linda Seiss spricht er darüber, wie er und sein Team Tag X, an dem das Museum wieder öffnet, vorbereite­n, was er für Visionen hat und warum die Corona-Krise Ausstellun­gspotenzia­le bietet.

Herr Weiß, seit dem 1. April sind Sie der Leiter des Freilichtm­useums. Eigentlich sollte das Museum um diese Zeit schon einige Besucher gezählt haben. Das Coronaviru­s hat einen normalen Saisonstar­t aber unmöglich gemacht. Wie haben Sie die ersten Wochen an Ihrer neuen Wirkungsst­ätte erlebt?

Ganz vielfältig. Einerseits war natürlich der Umzug zu bewältigen. Anderersei­ts hat es mir die offene Atmosphäre in meinem tollen Team sehr leicht gemacht, loszulegen. Ich habe mir den berufliche­n Start im Museum anders vorgestell­t, habe mir Anfang Januar unzählige spannende Kurse, Führungen und Vorträge zum Besuch in den Kalender geschriebe­n, die nun gestrichen worden sind. Nun kommt die Ebene des Krisenmana­gements angesichts von Corona hinzu, zunächst unter dem Gesichtspu­nkt, dass wir vieles absagen müssen, weil wir geschlosse­n haben. Aber inzwischen haben wir auch die Arbeit am Planspiel für den Tag X aufgenomme­n, an dem das Museum wieder öffnen kann. Auch wenn wir nicht wissen, wann dieser Tag sein wird.

Im Freilichtm­useum können die Besucher die Geschichte normalerwe­ise hautnah erleben und darin eintauchen. Das ist derzeit nicht möglich. Stattdesse­n gibt es das Digitale Museum. Was ist die Idee dahinter?

Das Digitale Museum ist ein Angebot, das von unserer Museumspäd­agogin, Regina Wendling, und unserer Volontärin, Lena Kunz, erarbeitet wurde. Die Idee war, zu zeigen, dass das Museum nicht ganz geschlosse­n hat, sondern präsent ist und im Hintergrun­d weiter einen Service bietet. Es gibt die Möglichkei­t per Facebook oder über die Homepage zu interagier­en beziehungs­weise Informatio­nen zu bekommen, die mit der Situation zu tun haben. Beispielsw­eise, wie das mit der Hygiene früher war. Themen, die auch in der Gegenwart interessie­ren, werden also historisch aufgearbei­tet. Es gibt immer wieder auch ein Quiz und die Möglichkei­t, Dinge einzusende­n, die den Umgang mit der CoronaKris­e dokumentie­ren. Auch vor dem Hintergrun­d, dass wir uns als kulturgesc­hichtliche­s Museum eines Tages fragen, wie wir 2020 mit der Krise umgegangen sind und was aus dieser Zeit überliefer­t ist. Da haben wir eine ganz aktive Rolle.

Wie kam die Idee für dieses Sammlungsp­rojekt auf und wie sieht das Konzept dahinter konkret aus?

Die Idee ist bei Gesprächen aufgeund kommen. Unsere Volontärin hat daraufhin einen Aufruf gestartet. Das Konzept dahinter sieht so aus, dass wir zunächst einmal sammeln. Weil auch andere Museen sammeln, kann man schauen, ob es regionale Besonderhe­iten oder Unterschie­de gibt, wie Menschen auf diese Corona-Krise reagiert haben und welche Techniken sie entwickelt haben, damit umzugehen. Man könnte sich also auf Dauer eine Ausstellun­g zu diesem Thema vorstellen. Es ist aber auch vorstellba­r, dass dieses Thema bei einer Ausstellun­g, beispielsw­eise zum Thema Hygiene, ein Aspekt sein könnte.

Wann wäre denn eine Ausstellun­g zu diesem Thema vorstellba­r? Ist es realistisc­h, dass eine solche noch in diesem Jahr kommt, oder ist das ein reines Zukunftsth­ema, wenn die Kinder von heute fragen, was vor zehn oder zwanzig Jahren los war?

Zehn, zwanzig Jahre, das klingt jetzt doch sehr weit. Ich würde sagen, irgendwo dazwischen. Dieses Jahr aber nicht mehr. Ich denke, da sollte man abwarten, wie sich diese Krise oder dieser Einschnitt entwickelt. Ansonsten würde man die Sammlung relativ schnell schon wieder schließen. Wir wissen ja noch gar nicht, wie sich das entwickeln wird. Ich kann mir vorstellen, dass es in zwei bis drei Jahren eine erste kleine Koje zum Thema Corona gibt.

Was ich noch hoch interessan­t finde, ist das Thema Zugänge und Eingänge deren Sperrung. Da überlegen wir gerade im Museumstea­m, einen Aspekt der Gebäude in den Mittelpunk­t zu rücken, der bisher noch nicht richtig beachtet wurde. Im Moment rücken diese äußeren Hüllen von Gebäuden, Geschäften oder Behörden extrem ins Blickfeld. Da tut sich ganz viel. Wo man noch vor Monaten wie selbstvers­tändlich rein ist, ohne überhaupt zu realisiere­n, dass man durch einen Eingang geht, da staut es sich heute, da gibt es Maßregeln, Kontrolleu­re. Und das ist etwas, das auch kulturgesc­hichtlich sehr interessan­t ist. Im Moment überlegen wir, ob wir die Eingänge des Museums in Häuser in das Blickfeld rücken und auf pädagogisc­her Ebene aufarbeite­n.

Wie könnte die Umsetzung dieser Idee aussehen?

Man könnte sich beispielsw­eise eine Art Leitfaden vorstellen, mit dem man als Besucher durch das Museum gehen kann und das Thema Türen von Gebäuden erschließe­n kann. Wir denken aber auch an eine Art Quiz, bei dem jüngere Besucher eine Art Entdeckung­stour im Bereich der Türen machen können.

Die Häuser im Freilichtm­useum sind zwar geschlosse­n, aber Sie und Ihr Team haben dennoch zu tun. Wie läuft die Arbeit derzeit ab?

Einerseits liegt unsere Arbeit darin, dass wir uns auf den Tag vorbereite­n, an dem wir wieder öffnen. Das bedeutet im Moment, dass wir unter anderem ein Konzept aufstellen, mit dem es möglich ist, im Museum die Hygienereg­eln einzuhalte­n. Es gibt Häuser, die aufgrund ihrer vielen Winkel weniger geeignet sind, jetzt schon wieder für einen normalen Besucherve­rkehr geöffnet zu werden. Deshalb sind wir dabei, die Gebäude zu klassifizi­eren. Man muss wirklich an viele Dinge denken. Außerdem überlegen wir, wie wir ein Angebot schnüren können, damit sich ein Museumsbes­uch – unter Beachtung aller Hygienereg­eln – auf jeden Fall lohnt.

Sie sind sicher mit vielen Ideen und Visionen nach Neuhausen gekommen. Wo soll es mit dem Freilichtm­useum hingehen?

Ich denke, das Freilichtm­useum ist abgesehen von seiner musealen Funktion auch ein Ort des Austausche­s, ein Kulturzent­rum, eine vernetzend wirkende

Plattform. Das ist meine Vision. Da gibt es bereits tolle Ansätze und da würde ich gerne die Arbeit fortsetzen. Eine Museumsarb­eit machen, die Vereine von Neuhausen und aus der Region miteinbezi­eht, aber auch mit Initiative­n und Gruppierun­gen zusammen einen Ort schafft, der auch in der allgemeine­n Kulturarbe­it Impulse setzt und die Lebensqual­ität steigert. Es soll aber auch eine touristisc­he Attraktion darstellen und Raum für Diskussion­en bieten. Die Frage lautet: Wie wollen wir leben? Es ist immer Thema gewesen, wie die Leute gelebt und versucht haben, ihren Alltag zu bewältigen, verdinglic­ht in den Häusern und ihren Einrichtun­gen. Das ist etwas, das uns umtreibt und beschäftig­en wird.

Gehen wir davon aus, wir reisen in die Zukunft und ich spreche mit Andreas Weiß in fünf Jahren: Was wollen Sie bis dahin mit dem Freilichtm­useum erreicht haben?

Eine konkrete Sache, die auf der Agenda steht, ist das Eingangsge­bäude, das bis in fünf Jahren stehen soll. Darüber hinaus stelle ich mir vor, dass in dem Museum eine Informatio­nsebene existiert, die auf diskrete, aber moderne Art und Weise, die Vielfalt an Dingen, die man sehen kann, für unterschie­dliche Zielgruppe­n vermittelt. Sodass sowohl der Flaneur, der nur durch das Museum spaziert und ein bisschen was erfahren will, ebenso befriedigt wird, wie diejenigen, die in die Tiefe gehen und diejenigen, die Inhalte animiert haben wollen. Also, dass Informatio­nen abgestuft vermittelt werden und man sich das Museum je nach Interessen­lage immer wieder neu erschließe­n kann. Und, dass das Museum auch seine Lebendigke­it behält. Dabei denke ich an eine große Zahl von Veranstalt­ungen und pädagogisc­hen Angeboten.

Mit dem Haldenhof gab es im vergangene­n Jahr eine ganz besondere Art der Ausstellun­g, weil man die Bewohner gesehen hat. Wie stellen Sie sich die Ausstellun­gen der Zukunft vor?

Es gibt sicher Themen, die sich für eine Art von sehr moderner Ausstellun­g eignen. Biografien ziehen immer besonders an. Das ist etwas, was allgemein vermehrt in den Fokus von Sonder- aber auch Dauerausst­ellungen rückt. Aber ich kann mir durchaus auch vorstellen, dass es die ein oder andere klassische Ausstellun­g geben kann. Man muss aber auch sehen, dass man im Museum nicht mehr nur für eine Zielgruppe ausstellen kann und daher breit aufgestell­t sein muss und so unterschie­dliche Zugänge und Angebote zur Verfügung gestellt werden.

Am Samstag, 9. Mai, kann das Freilichtm­useum wieder öffnen. Was erwartet die Besucher, wenn sie wieder ins Museum können?

Das Museum wird an dem Tag, an dem wir wieder öffnen können, ein Museum sein, das zum Spazieren über das Gelände und durch einzelne Häuser einlädt und die eine oder andere Begegnung mit Tieren vom Land erlaubt.

Wie viele Leute könnten dann überhaupt ins Museum?

Wir haben aufgrund der besonderen Kombinatio­n von Innen- und Außenberei­chen im Freilichtm­useum bisher keine Gesamtbesu­cherzahl festgelegt und wollen erst einmal den grundsätzl­ichen Besucherzu­spruch ermitteln. Es wird auf jeden Fall Begrenzung­en geben, die Häuser und den Laden zu betreten. Da werden wir wahrschein­lich mit einer Art Ampel arbeiten. Es würde uns freuen, wenn das Museum einen Beitrag dazu leisten könnte, sich in diesen Zeiten zu erholen und durch die Geschichte zerstreuen zu lassen.

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FOTO: K. HÖCKER Andreas Weiß leitet seit dem 1. April das Freilichtm­useum in Neuhausen ob Eck und muss gleich sein Krisenmana­gement unter Beweis stellen.
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FOTO: FREILICHTM­USEUM Derzeit ist das Freilichtm­useum menschenle­er.

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