„Diese Gruppe macht mir Sorgen“
- Am Wochenende versammelten sich Tausende Menschen zu Demonstrationen. Der Virologe Professor Thomas Mertens erklärt im Gespräch mit Daniel Hadrys, ob diese Proteste zu mehr Infektionen führen können.
Die Reproduktionszahl ist wohl wieder auf über 1 gestiegen. Das heißt, ein Sars-CoV-2-Infizierter steckt im Schnitt eine weitere Person an. Ist das besorgniserregend oder müssen wir uns an solche Schwankungen gewöhnen?
Die Reproduktionszahl, also die Anzahl Neuinfizierter, ist von verschiedenen Faktoren abhängig, vor allem natürlich von der Anzahl der durchgeführten Tests zur Erkennung neuer Infektionen. Über weitere Faktoren haben wir in Folge 30 vom 29. April gesprochen und auch dort schon erwähnt, dass Schwankungen möglich sind. Die Berechnung der Reproduktionszahl ist auch für die Mathematiker nicht einfach. Wichtig ist, den Verlauf weiter zu beobachten und vor allem auch die regionale Infektionsausbreitung genau zu überwachen. Wie von den Ländern beschlossen, muss dann reagiert werden, – Stichwort „Notbremse“– wenn der Grenzwert der Neuinfektionen überschritten wird, wie in unserer Folge 36 besprochen.
Was geht Ihnen als Virologe durch den Kopf, wenn Sie vor diesem Hintergrund Tausende Demonstranten sehen, die sich gegen die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus stellen?
Ich versuche schon, mich in die Denkweisen auch dieser Mitmenschen hineinzuversetzen, aber es ist mir fast unmöglich.
Ich denke, dass die
Gruppe dieser
Demonstranten heterogen ist, einige sind prinzipiell immer dabei, wenn es
Demonstrationen gegen den
Staat gibt, andere verfolgen andere extreme politische
Ziele, wieder andere gehören in die Gruppe der „Verschwörungstheoretiker“. Diese letzte Gruppe macht mir als Virologe, aber vor allem als Bürger, besondere Sorgen, weil sie sich von rationalen Argumenten vollständig entfernt hat. Diese Menschen bewegen sich in ihrer eigenen „Informationsblase“und unterstellen immer, dass hinter allem, was von Wissenschaftlern und Politikern gesagt wird, etwas anderes „Geheimes, Ungesagtes“steckt. Daraus entsteht auch Wissenschaftsfeindlichkeit. Wissenschaft will aber genau das Gegenteil, nämlich die Natur und den Kosmos verstehen und für alle zugänglich erklären. Jeder Wissenschaftler ist verpflichtet, seine Ergebnisse zu veröffentlichen. Als Wissenschaftler halte ich solche Verschwörungstheorien für „bullshit“, aber auch der lässt sich über unsere modernen Kommunikationswege natürlich leicht verbreiten. Im „www“gibt es ja keine Qualitäts- und Richtigkeitskontrolle für „Informationen“.
Wenn viele Menschen zusammenkommen, wird es meist lauter – also muss der Einzelne auch lauter sprechen. Laut Forschern aus den USA und München gibt es Hinweise darauf, dass die Aussprache dadurch feuchter wird und die Infektionsgefahr steigt. Könnten diese Demonstrationen zu neuen Infektions-Hotspots werden?
Ja, beim lauten Sprechen und Singen nimmt, wie beim Husten, die „feuchte Aussprache“zu, und natürlich kann das in dichten Menschenansammlungen vermehrt zu Infektionen führen. Das dies gut funktioniert, ist ja unter anderem in Skikneipen und bei Karnevalsveranstaltungen gezeigt worden. Allerdings sind im Freien die Voraussetzungen für effektive SarsCoV-2-Ausbreitung wahrscheinlich weniger günstig als in geschlossenen Räumen.