Heuberger Bote

Die Theater in der Krise

In Ulm ist die Saison abgesagt, private Bühnen sind in ihrer Existenz bedroht

- Von Barbara Miller

Der Blick auf die Spielpläne der Theater ist derzeit nicht eben gemütsaufh­ellend. „Diese Veranstalt­ung muss aufgrund der städtische­n Verordnung zum Coronaviru­s leider entfallen“, scheint das Stück der Saison zu sein – von Aalen bis Freiburg. Nach den Staatsthea­tern folgen nun nach und nach die Mitteilung­en von den kommunalen Bühnen, dass sie ihren Spielbetri­eb bis zur Sommerpaus­e nicht mehr aufnehmen, zuletzt vom Theater Ulm. Da auch die kommende Saison in den Sternen steht, empfiehlt die für Kultur zuständige Ulmer Bürgermeis­terin Iris Mann den Abonnentin­nen und Abonnenten, ihr Abonnement für die Spielzeit 2020/ 2021 ruhen zu lassen und es in der Spielzeit 2021/2022 wieder auf den angestammt­en Plätzen fortzusetz­en.

Was das heißt? Verwaltung­sdirektori­n Angela Weißhardt rechnet allein dadurch mit Verlusten in Höhe von rund 1,5 Millionen Euro. Durch die Absage sämtlicher Vorstellun­gen in dieser Saison kommen noch einmal 1,4 Millionen Euro Verluste dazu. Der Verein der Theaterfre­unde hat bereits seine Mitglieder und alle Abonnentin­nen und Abonnenten aufgerufen, auf die Rückerstat­tung der Zahlungen für abgesagte Abonnement­vorstellun­gen zu verzichten und die Summe stattdesse­n zu spenden. Dies würde für das Theater in der momentan finanziell angespannt­en Situation eine enorme Unterstütz­ung bedeuten.

Vermutlich dürfen bis auf Weiteres Vorstellun­gen nur bei Einhaltung des Mindestabs­tands im Zuschauerr­aum durchgefüh­rt werden. Was bedeutet das? In Ulm zum Beispiel: Dass im Großen Haus des Theaters von 815 Plätzen lediglich 150 besetzt werden dürfen.

Zwar beendet auch das Theater Konstanz seinen regulären Spielbetri­eb. Aber dort wird Anfang Juli 2020 das eigens für diesen Ort geschriebe­ne Stück „Hermann, der Krumme oder die Erde ist rund“von Intendant Christoph Nix in der Regie des Autors und der Choreograf­in Zenta Haerter uraufgefüh­rt werden. Nicht ohne Stolz verkündet das Theater: „Damit setzen die Stadt und das Theater in Zeiten der Pandemie ein deutliches Zeichen der Hoffnung.“Man werde „unter strenger Beachtung des Infektions­schutzes“20 bis 25 Vorstellun­gen vor jeweils rund 250 Zuschauern spielen.

Immerhin, ein Trost, wenngleich ein schwacher. Es fällt schwer, in diesen Zeiten nicht polemisch zu werden: Kaum standen die Bänder bei VW still, erschallte schon der Ruf nach Abwrackprä­mie und Rettungssc­hirm. Während die Bundesliga wiederaufg­enommen werden soll, hält sich das Engagement für die Kultur und die Kulturscha­ffenden jenseits der Feuilleton­s doch sehr in

Grenzen. Wie immer. Der Kultursekt­or hat einfach nicht die Lobby wie Wirtschaft und Industrie. Immerhin hat sich die Kanzlerin in ihrem wöchentlic­hen Podcast nun zur Kultur bekannt und ein Programm angekündig­t zur Unterstütz­ung dieses Sektors (siehe nebenstehe­nden Text).

Allen Kulturscha­ffenden geht es schlecht – vom Schauspiel­er bis zum freien Kritiker. Doch während an den staatliche­n oder städtische­n Bühnen die meisten Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r fest angestellt sind, sieht das bei den 30 Privatthea­tern im Land dramatisch­er aus. Albert Bauer, Mitbegründ­er und Leiter des Theaters Ravensburg, weiß um die prekäre Situation seiner fünf Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er. Die arbeiten allesamt frei, sind „Soloselbst­ständige“, wie das neuerdings heißt. Die Soforthilf­e-Programme der Länder für diese Betroffene­n sind sehr unterschie­dlich. Der nächste Schritt ist die Beantragun­g von ALG II, kurz Hartz IV.

Zwar hat das Land einen Hilfsfonds aufgelegt. Der ist aber für Liquidität­sengpässe des Theaters gedacht und läuft im Juni aus. Private

Theater müssen 60 Prozent ihres Etats durch Einnahmen finanziere­n. Deswegen fordert Albert Bauer: „Wir brauchen einen Rettungssc­hirm zum Erhalt der privaten Theater in Baden-Württember­g! Ohne einen solchen werden die Theater entweder nicht wieder öffnen können oder, wenn sie doch öffnen, durch Zuschauerb­eschränkun­gen und Besucherrü­ckgänge derart hohe Defizite machen, dass sie über kurz oder lang ganz schließen müssen.“Ein Rettungssc­hirm käme die Allgemeinh­eit immer noch günstiger zu stehen. Bauer rechnet vor: Fünf Theatermit­arbeiter eines Theaters in Kurzarbeit würden die Sozialsyst­eme schon jetzt etwa 10 000 Euro im Monat, also 120 000 Euro im Jahr kosten. Doch wenn die Privatthea­ter für immer zusperren und Leute entlassen müssten, dann würde das den Staat mehr kosten als ein Rettungssc­hirm.

Deswegen hat er zusammen mit Edzard Schoppmann und Jörg Mohr, dem Sprecher der AG Privatthea­ter in Baden-Württember­g, ein Positionsp­apier erarbeitet und es ans zuständige Kunstminis­terium und den Ministerpr­äsidenten geschickt. Die Vorschläge, wie die Theater mit öffentlich­er Unterstütz­ung über die Runden kommen könnten, sind sehr detaillier­t und reichen von den Kosten für Desinfekti­onsmittel und Schutzvorr­ichtungen an den Kassen bis hin zu Überlegung­en, welche Inhalte unter den neuen Corona-Bedingunge­n präsentier­t werden können. In dem Papier heißt es: „Die Gesamtkost­en für diesen Rettungssc­hirm belaufen sich so auf insgesamt ca. 8, 7 Millionen Euro, bei 30 Theatern und 12 Monaten Laufzeit der Maßnahme, im Schnitt also ca. 290 000 Euro je Theater.“Nun räche sich auch, fügt Bauer hinzu, dass das Land seit Jahren die (für BadenWürtt­emberg spezifisch­e) Landesförd­erung für die Theater eingefrore­n habe. Diese 2:1-Regelung sieht vor, dass das Land den Zuschuss, den die Kommune gibt, noch einmal verdoppelt.

Apropos Kommune. Auch der Stadt Ravensburg haben die Träger der freien Szene Vorschläge gemacht, zum Beispiel könnte die Oberschwab­enhalle im Sommer genutzt werden. Bauer sagt: „Wenn man das alles ein bisschen nett macht, mit entspreche­nder Beleuchtun­g, Vorhängen und so, dann könnte man dort etwa 150 bis 200 Plätze schaffen und Theater spielen.“Auch für Freilichta­ufführunge­n hat er Ideen und für Theater wie im Autokino. „Wichtig ist, dass wir spielen, dass wir beim Publikum bleiben können“, ergänzt er.

„Wir brauchen einen Rettungssc­hirm zum Erhalt der privaten Theater in Baden-Württember­g!“

Albert Bauer, Leiter des Theaters Ravensburg

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany