Demo in Stuttgart verboten
AfD will sich juristisch wehren – Strobl empört
(dpa) - Eine für diesen Sonntag von der AfD geplante Demonstration gegen Corona-Beschränkungen im Stuttgarter Stadtzentrum darf nicht stattfinden. Die Versammlung wurde aus Infektionsschutzgründen verboten, wie ein Sprecher der Stadt am Donnerstag mitteilte. Da mit Provokationen, Störungen und Gewalt zu rechnen sei, könne die Einhaltung der Mindestabstände nicht gewährleistet werden. Die AfD hatte die Demonstration mit 500 Teilnehmern geplant.
Die Südwest-AfD will nun per Eilantrag ihr Recht einklagen. „Früher hätten CDU-Innenminister in einem solchen Fall für Ordnung gesorgt und auch der Opposition Grundrechte zugestanden“, sagte der AfDLandesvize Markus Frohnmaier. „Was für ein Geschwätz“, wehrte sich Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU). Über die Zulässigkeit entscheide allein die Stadt Stuttgart – „und gerne auch ein unabhängiges Gericht, jedenfalls nicht der Innenminister“.
- Eine große Mehrheit der Deutschen befürwortet den Corona-Kurs der Regierung. Zehntausende demonstrieren jedoch gegen die Auflagen. Extremisten versuchen, die Demonstrationen für ihre Zwecke zu nutzen. Eine für Sonntag von der AfD geplante Demonstration wurde nach Angaben der Polizei am Donnerstag von der Stadt Stuttgart aus Infektionsschutzgründen verboten. Die AfD plant nun, einen Eilantrag gegen das Verbot zu stellen.
„Unsere größte Sorge ist, dass Extremisten die Möglichkeit bekommen, rechtsextreme Ideologien und Gedankengut aus der Reichsbürgerszene zu verbreiten, Kontakte zu knüpfen und neue Netzwerke aufzubauen“, sagt Daniel Meyer vom Landesamt für Verfassungsschutz (LfV). „Noch können wir nicht abschließend bewerten, wie groß der Einfluss ist, die Gefahr besteht aber mit Sicherheit.“
Die Corona-Proteste bieten Anknüpfungspunkte für verschiedene Gruppen, die dem Staat feindlich gegenüberstehen. Besonders stark vertreten sind Anhänger diverser Verschwörungsmythen, etwa von Ken Jebsen oder Attila Hildmann, millionenfach im Netz angeklickt. „Charakteristisch ist, dass stets irgendwelche dunklen Mächte am Werk sein sollen und diverse Feindbilder aufgebaut werden“, beschreibt der
Allgäuer Rechtsextremismus-Experte Sebastian Lipp die Szene. Viele dieser Mythen fußten in antisemitischem Gedankengut. „Anfangs waren sie auf den Demos im Allgäu und Oberschwaben sehr sichtbar mit Plakaten oder Spruchbändern, mittlerweile agieren sie weniger öffentlich, aber zunehmend radikaler in Chatgruppen. Sie nutzen die Corona-Proteste als Vehikel, um Menschen zu kontaktieren, die bisher nicht mit ihren Ideen in Berührung gekommen sind“, erläutert Sebastian Lipp.
Solche Mythen finden zum Teil bei „Reichsbürgern“Anklang. Rund 3200 Anhänger hat die Szene derzeit im Südwesten. Ihre Anhänger lehnen den Staat ab, weigern sich zum Beispiel,
Gerichtsurteile anzuerkennen. Nach Attacken bewaffneter „Reichsbürger“auf Polizisten wird die Szene vom LfV beobachtet.
In Teilen ihrer Weltanschauung treffen sich „Reichsbürger“, Impfgegner und Esoterik-Szene. Dort wittern manche hinter Kampagnen für das Impfen Profitstreben der Pharmaindustrie – obwohl beispielsweise Masern nach heutigem Wissenstand erheblich gefährlicher sind als mögliche Impffolgen. Der Sprung etwa zu völkischen Siedler-Bewegungen, die unter anderem vereinzelt Höfe in Oberschwaben, im Schwarzwald und Allgäu besitzen, ist nicht groß. „Gerade in der Esoterik-Szene suchen viele Menschen nach einem Sinn, einer alternativen Lebensweise“, erklärt Sebastian Lipp. Verschwörungsmythen zeigten Menschen einen Weg, auf der vermeintlich „richtigen“Seite zu stehen.
Das LfV registrierte bei den Demonstrationen Mitglieder der rechtsextremistischen Partei „Der dritte Weg“sowie des „Flügels“. Dieser völkisch-nationalistische Teil der AfD wird, wie auch die Jugendorganisation „Junge Alternative“, offiziell beobachtet. Die AfD als Ganzes wird nicht beobachtet. Landtagsabgeordnete besuchen regelmäßig die Demos. Südwest-Parteichefin Alice Weidel wollte am Sonntag in Stuttgart bei einer von der AfD angemeldeten, aber inzwischen von der Stadt abgesagten Demo sprechen. Es gehe darum, gegen die Einschränkung von Grundrechten zu protestieren. Vor dieser warnen auch Bürgerrechtsbewegungen wie die „Gesellschaft für Freiheitsrechte“.
„Mit Extremisten und Verschwörungstheoretikern zu marschieren, geht gar nicht“, betont Raimund Haser, CDU-Landtagsabgeordneter für Wangen-Illertal. Doch an ihn wendeten sich Bürger, die ebenfalls demonstrieren, darunter zahlreiche Elternpaare und Alleinerziehende. „Denen ist der Preis zu hoch, den sie für den Infektionsschutz zahlen.“Solche Argumente müsse man diskutieren dürfen, ohne gleich in der Nazioder Spinner-Ecke zu landen, sagt Raimund Haser.