Arbeitsplatzverlust schlägt im Kreishaushalt auf
Zahl der Hartz-IV-Anträge verdreifacht sich – Das Jugendamt sorgt sich um schwierige Familienverhältnisse
- Im Sozialetat des Landkreises Tuttlingen zeigt sich, dass immer mehr Menschen ihre Arbeitsstelle durch die Coronakrise verlieren. Bernd Mager, Sozialdezernent des Kreises, rechnet bis Jahresende mit einem Anstieg um 1000 Hartz IV-Bezieher auf dann 3350 Bedarfsgemeinschaften. Die Aufwendungen des Landkreises, der die Kosten von Unterkunft und Heizung mitträgt, würden dadurch um rund eine Million Euro steigen.
Laut der jüngsten Prognosstudie von 2019 leben im Landkreis Tuttlingen besonders viele Sozialversicherungsbeschäftigte ohne beruflichen Ausbildungsabschluss: 17,8 Prozent (Erhebung aus 2015). Im Landesschnitt liegt der Anteil bei 13,9 Prozent. „Das Risiko, von Arbeitslosigkeit betroffen zu sein, hängt sehr stark von der Qualifikation ab. Je höher die Qualifikation, desto geringer ist das Risiko, arbeitslos zu werden“, heißt es in einer Statistik der Bundesanstalt für Arbeit.
Gleich mit Beginn des Lockdowns und der Schließung vieler Betriebe und Dienstleistungsangebote hat das Kommunale Jobcenter des Landratsamts einen deutlichen Anstieg bei den Hartz-IV-Empfängern (Arbeitslosengeld II) festgestellt. Laut Bernd Mager gab es im April 215 Neuanträge, im Mai waren es bislang 110 (Stand 18. Mai). In den Monaten davor seien es durchschnittlich rund 70 Anträge gewesen.
Diese Verdreifachung innerhalb kurzer Zeit bringt mit sich, dass aktuell keine intensive Überprüfung stattfindet. Bernd Mager: „Für Anträge, die zwischen dem 1. März und dem 30. Juni bewilligt werden, wird in den ersten sechs Monaten von einer Vermögensprüfung abgesehen, sofern es keine Anhaltspunkte auf ein erhebliches Vermögen gibt.“Mit dem Leistungsbeginn ab dem 1. Juli sei diese Vermögensüberprüfung aber wieder Pflicht. Dennoch werde auch momentan nicht jeder Antrag bewilligt, zum Beispiel spielt auch das Einkommen des Partners eine Rolle.
In den Monaten März bis April haben 1380 Betriebe im Kreis Kurzarbeit angemeldet – mit 24 570 Beschäftigten, sagt Elena Niggemann, Sprecherin der Agentur für Arbeit Rottweil/Villingen-Schwenningen. Im gleichen Vorjahreszeitraum waren es fünf Betriebe mit 84 Beschäftigten. Im April stieg die Arbeitslosenquote im Kreis auf 3,5 Prozent und lag damit 0,9 Prozentpunkte höher als im Vorjahresmonat.
Diese Zahlen sprechen für sich.
„Der Arbeitsmarkt gerät gerade massiv unter Druck. Die Prognosen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
deuten auf deutliche Verschlechterungen bei Beschäftigung und Arbeitslosigkeit hin“, heißt es im aktuellen Arbeitsmarktbarometer des Instituts für Arbeitsmarktund Berufsforschung. Niggemann weist aber darauf hin, dass Kurzarbeit Arbeitslosigkeit vermeiden soll: „Damit zeigt sich, dass die Betriebe in unserer Region ihre Arbeitskräfte halten möchten“, unabhängig von der Qualifikation der betroffenen Arbeitnehmer. So werde der Fachkräftemangel auch nach der Corona-Pandemie eine Herausforderung auf dem Arbeitsmarkt bleiben. Für ungelernte Kräfte könnten berufliche Qualifizierungsmaßnahmen während der Kurzarbeit eine Chance sein.
Während die Sozialkosten im Bereich Hilfe zum Lebensunterhalt ansteigen, gab es für den Kreishaushalt eine leichte Einsparung von rund 15 000 Euro dadurch, dass die Kosten für die Kindertagespflege bei Tagesmüttern zurückgegangen sind. Diese durften zu Beginn der Pandemie keine Kinder mehr betreuen. Im März und April sind dennoch 80 Prozent der üblichen Leistungen ausbezahlt worden. „Wir hatten die Sorge, dass diese Betreuung wegbricht, wenn keine Vergütung erfolgt. Deshalb haben wir uns für eine reduzierte Weiterfinanzierung entschieden“, erklärt der Sozialdezernent. Das sei auch eine Empfehlung des Landes gewesen.
Mit Mehrausgaben rechnet er in den kommenden Monaten bei individuellen Jugendhilfen, zu der auch Inobhutnahmen bei Kindswohlgefährdung zählen. Zwar sei die Zahl der Kinder, die seit Beginn des Kontaktverbots und Lockdowns aus ihren Familien genommen werden mussten, nicht angestiegen und hätten auch nicht über den Zahlen vom Vorjahr gelegen. Allerdings: „Da die Schulen und Kitas geschlossen waren, gab es auf diesem Weg auch keine Gefährdungsmeldungen mehr durch Lehrer, Erzieher und Eltern.“
Mager äußert die Sorge, dass sich bei ohnehin schwierigen Familienverhältnissen in den vergangenen Wochen vieles aufgestaut habe. Durch das Kontaktverbot sei auch eine Art Sozialkontrolle weggefallen. „Wir befürchten daher, dass die Zahl der Inobhutnahmen und der Meldungen aufgrund Kindswohlgefährdung in nächster Zeit deutlich ansteigen werden“, führt er aus.