Heuberger Bote

Mit Münchner Grundwasse­r auf die Wiesn

Seit 130 Jahren bestimmen sechs Brauereien den Biermarkt in der bayerische­n Landeshaup­tstadt – Nun kommt das kleine Giesinger Bräu dazu und strebt zu den Platzhirsc­hen auf das Oktoberfes­t

- Von Patrik Stäbler

MÜNCHEN Der Weg zum Oktoberfes­t führt Steffen Marx hinaus auf den Parkplatz seines Werksgelän­des und zu einem unscheinba­ren Betonhäusc­hen – kaum zwei Meter breit und nur wenig länger. Durch eine silberne Metalltür geht‘s in einen schmucklos­en Raum, in dessen Mitte sich ein autoreifen­großes Loch im Boden befindet, bedeckt von einer Metallplat­te, aus der mehrere Rohre ragen. Und drum herum hängen allerlei Kabel, Schläuche und Apparature­n.

Und das soll der Schlüssel zur Wiesn sein? „Das hatte ich mir spektakulä­rer vorgestell­t“, schießt es dem Betrachter durch den Kopf. Und kaum ist dieser Gedanke ausgesproc­hen, macht sich ein Grinsen im Gesicht von Steffen Marx breit. „Genau das“, erklärt er dann, „hat bislang noch jeder gesagt, dem ich das hier gezeigt habe.“Denn das Besondere dieses betongraue­n Kämmerchen­s würde sich erst beim Blick unter die fest verschraub­te Metallplat­te offenbaren. Da geht es 150 Meter in die Tiefe, hinab bis zum Münchner Grundwasse­r, das hier nach oben gepumpt wird – 1,9 Liter pro Sekunde.

Mit diesem begehrten Gut wird Giesinger Bräu, das ist die Brauerei von Steffen Marx, schon in wenigen Tagen ihr Bier brauen. Am bisherigen Standort verwendet sie dafür noch Münchner Leitungswa­sser, das aus dem Mangfall- und Loisachtal im Voralpenla­nd stammt. Doch sobald die neue Produktion­sstätte hier im Norden der Stadt in Betrieb geht und dort Bier aus Münchner Grundwasse­r gebraut wird, darf sich Giesinger Bräu offiziell „Münchner Brauerei“nennen – eine geschützte Marke, die bislang bloß die großen Sechs tragen, also Augustiner, Hacker-Pschorr, Hofbräu, Löwenbräu, Paulaner und Spaten.

Seit 1889 ist dieser elitäre Zirkel unter sich geblieben, doch das könnte sich nun ändern – was weitreiche­nde Folgen hätte. Denn nur Münchner Brauereien erhalten von der Stadt die Genehmigun­g, ihr Gebräu im Biergarten auf dem Viktualien­markt sowie beim jährlichen Stadtgründ­ungsfest auszuschen­ken. Und vor allem: auf dem Oktoberfes­t. Für Giesinger

Bräu würde das also bedeuten: Der 2006 in einem Hinterhof gegründete Betrieb könnte plötzlich Ansprüche auf ein eigenes Wiesn-Zelt anmelden.

„Das ist natürlich unser Ziel, da wollen wir hin“, sagt Steffen Marx beim Rundgang durch das neue Werk. Die Füße des Brauerei-Chefs stecken in bunten Ringelsock­en und Turnschuhe­n; zur kurzen Hose trägt der 41-Jährige ein T-Shirt, Steppweste und zumeist ein Lächeln im Gesicht. Marx ist einer, der an jedem Biertresen sofort mit seinem Nachbarn ins Gespräch kommt. Ein Kumpeltyp, der alle vom Start weg duzt – und dennoch ein feines Näschen fürs Geschäft hat. Allein für das Image seiner Brauerei wäre ein Zelt auf dem Oktoberfes­t unbezahlba­r, ist Marx überzeugt. „Unser Bekannthei­tsgrad würde explodiere­n.“

Wobei der Brauerei-Chef sogleich anmerkt, dass all das noch Zukunftsmu­sik sei. Nun gehe es erst mal darum, das neue Werk zum Laufen zu bringen – erschwert durch die aktuellen Corona-Einschränk­ungen. Ende April haben sie den ersten Probesud aufgesetzt. Seit Anfang Mai öffnet die neue Brauerei immer samstags ihre Tore für einen Drive-in-Verkauf – die Schlange der Autos reichte dabei bis vors Werksgelän­de und noch zwei Straßen weiter.

Richtig losgehen mit der Produktion soll‘s dann im Juni. Prinzipiel­l könne man hier 40 000 Hektoliter Bier im Jahr brauen – mehr als dreimal so viel wie im jetzigen Brauhaus im Stadtteil Giesing, sagt Marx. Er ist bei seinem Rundgang inzwischen vor den meterhohen Tanks angekommen, von denen ein jeder 30 000 Liter fasst. „Wir sind der Größte von den Kleinen und der Kleinste von den Großen“: So beschreibt Marx die Rolle von Giesinger Bräu in der Münchner Brauerei-Landschaft. Diese ist freilich weit weniger münchneris­ch als die meisten meinen: Spaten und Löwenbräu sind seit 2003 im Besitz von Anheuser-Busch InBev, dem größten Brauereiko­nzern der Welt. Hacker-Pschorr und Paulaner gehören – nebst einem knappen Dutzend weiterer Brauereien – zur Paulaner Brauerei Gruppe. Sie ist zu 70 Prozent im Besitz der Schörghube­r Unternehme­nsgruppe, die auch in Immobilien, Hotels und Lachszucht macht. Die restlichen 30 Prozent gehören Heineken, der weltweiten Nummer 2 der BierRiesen.

Bleiben das Hofbräu München, das dem Land Bayern gehört und jährlich gut 360 000 Liter Bier produziert, sowie die Augustiner Brauerei. Sie wurde 1328 gegründet, ist die älteste noch bestehende Brauerei in München und zu knapp über 50 Prozent im Besitz einer

Stiftung, die mit ihrem Gewinn vor allem soziales und kulturelle­s Engagement fördert. Augustiner kommt auf einen geschätzte­n Jahresauss­toß von circa 1,6 Millionen Hektoliter – wogegen Giesinger Bräu auch nach Eröffnung des neuen Werks wie ein Winzling wirkt. Und doch werden die Münchner Brauereien den Emporkömml­ing nicht länger ignorieren können – allein schon des Oktoberfes­ts wegen.

Dass dort lediglich Münchner Brauereien ihr Bier ausschenke­n dürfen, führt schon seit Jahrzehnte­n zu Streitigke­iten – und hat auch die Justiz beschäftig­t. Als prominente­ster Kritiker der Stadt tritt dabei Luitpold Prinz von Bayern auf, der Chef der König Ludwig Brauerei und Urenkel von Bayerns letztem König, Ludwig III. Mithin waren es also seine Vorfahren aus dem Hause Wittelsbac­h, die dereinst den Startschus­s fürs Oktoberfes­t gaben, das auf die Hochzeit von Ludwig von Bayern und Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburgha­usen 1810 zurückgeht. Doch weil die Brauerei des Prinzen ihren Sitz nicht in München, sondern im nahen Fürstenfel­dbruck hat, blieb ihr der Zugang zum Oktoberfes­t verweigert – aller Klagen und öffentlich­en Protestakt­ionen zum Trotz.

Dass nun ausgerechn­et ein gebürtiger Mecklenbur­ger zum Kreis der WiesnWirte stoßen könnte, der obendrein auch noch Marx mit Nachnamen heißt – das wäre eine besonders schöne Pointe in der reichen Historie des Oktoberfes­ts. Und in der Geschichte von Giesinger Bräu sowieso. Um sie zu erzählen, muss man zurückgehe­n ins Jahr 1999, in dem Steffen Marx nach München zieht, um dort ein Studium an der Bundeswehr-Universitä­t zu beginnen. Kurz vor dem Hauptdiplo­m bricht er seine Offiziersl­aufbahn ab, erhält aber noch drei weitere Jahre einen Teil seines Gehalts. Zunächst sei er „nur rumgesande­lt“, so formuliert es Steffen Marx. Danach studiert er Brauwesen, bricht aber nach zwei Semestern erneut ab. Im Jahr 2006 gründet er schließlic­h Giesinger Bräu – in einer Garage, zusammen mit einem Kumpel. Es ist dies der Startschus­s zu einer Erfolgssto­ry.

„Unser größtes Glück war, dass wir den richtigen Zeitpunkt erwischt haben“, sagt Steffen Marx rückblicke­nd. „Wir haben mit Giesinger Bräu begonnen, als viele Leute wieder Wert auf die Herkunft von Lebensmitt­eln und das Thema Regionalit­ät gelegt haben.“Immer mehr Menschen seien damals bereit gewesen, ein paar Euro mehr für die Kiste Bier hinzulegen – wenn das Gebräu aus ihrer Nachbarsch­aft stammt und die Qualität stimmt. Und genau diese Menschen unterstütz­en die Brauerei auch auf ihrem Weg vom Hinterhof-Start-up zum Mittelstän­dler mit inzwischen circa 80 Mitarbeite­rn. So sammelt Giesinger Bräu, als die Garage irgendwann zu klein ist, per Crowdfundi­ng fast 800 000 Euro für den Bau einer Brauerei samt Bräustüber­l. Sie wird 2014 unweit des Grünwalder Stadions eröffnet, doch auch hier stößt Giesinger Bräu schon bald an die Kapazitäts­grenze.

„Aktuell ist es so, dass wir die Nachfrage nicht bedienen können“, sagt Steffen Marx. Daher hat er sich auf die Suche nach einem Standort für eine neue Brauerei gemacht – und ist im Stadtteil Milbertsho­fen im Norden von München fündig geworden. Dort ist auf 4700 Quadratmet­ern eine Abfüllanla­ge samt Sudhaus, Lager und Büros entstanden – unterstütz­t durch zwei weitere Crowdfundi­ng-Kampagnen, bei denen insgesamt mehr als 4,5 Millionen Euro zusammenka­men.

Allein zwei Jahre habe es gedauert, bis man die Genehmigun­g für den Tiefbrunne­n erhalten habe, erzählt Steffen Marx. „Von den großen Brauereien ist keiner davon ausgegange­n, dass wir diese Genehmigun­g bekommen.“Inzwischen aber steht das neue Werk kurz vor der Inbetriebn­ahme, was wegen der Corona-Auflagen bloß im kleinen Kreis gefeiert wird. Immerhin etwas Gutes habe die aktuelle Situation aber, sagt der Brauerei-Chef. „Ich war die ganze Zeit unter Feuer und wie im Hamsterrad. Erst durch Corona ist mein Kopf freier geworden.“Und so falle ihm jetzt auch auf, wenn er durch die neue Brauerei laufe, „dass das schon ziemlich cool geworden ist“, sagt Steffen Marx und blickt hinüber zu den glänzenden Tanks. „Vor allem, wenn man bedenkt, dass wir unser Bier noch vor fünf Jahren in der Garage gebraut haben.“

„Wir sind der Größte von den Kleinen und der Kleinste von den Großen.“

Steffen Marx über das Giesinger Bräu

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FOTO: PATRIK STÄBLER Auf Expansions­kurs: Das erste Giesinger Bräu hat Steffen Marx noch in einer Garage gebraut.

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