Heuberger Bote

Laschet verteidigt seinen Lockerungs­kurs

Nordrhein-Westfalens Ministerpr­äsident glaubt an ein gestärktes Europa nach der Corona-Krise

- Von Claudia Kling und Hendrik Groth

- Im anhaltende­n Streit um die Geschwindi­gkeit bei den Lockerunge­n der Anti-Corona-Maßnahmen hat der nordrhein-westfälisc­he Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) seinen in die Kritik geratenen Kurs verteidigt. Bei so niedrigen Infektions­zahlen sei „ein so umfassende­r Eingriff“in die Grundrecht­e nicht mehr vertretbar. Er sprach sich für ein „tastendes Öffnen, mit klaren Regeln“aus, aber gegen ein Abschaffen aller Regeln im Hauruckver­fahren. Sein Vorgehen unterschei­de sich stark von den Forderunge­n von Thüringens Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (Linke).

Laschet argumentie­rte ähnlich wie Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier, der am Freitag an die Bürger appelliert­e, trotz der Lockerunge­n vernünftig zu bleiben und sich an die Hygienereg­eln zu halten. „Selbstvers­tändlich sind anderthalb Meter Abstand und die Gesichtsma­ske lästig, das weiß ich auch. Aber gerade jetzt, wo wir so weit gekommen sind und es miteinande­r geschafft haben, die Infektions­kurve abzuflache­n, sollten wir jetzt nicht undiszipli­niert werden, sondern Stück für Stück die Lockerunge­n vornehmen“, betonte der Bundespräs­ident.

In der Europapoli­tik stellte sich Laschet klar hinter das Milliarden­hilfspaket von Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) und Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron. Mit diesem Vorstoß bestehe die Chance, „dass Europa am Ende der Krise stärker“sein werde. Der nordrhein-westfälisc­he Landeschef warnte zugleich vor einer Rückbesinn­ung auf „nationalst­aatliche Lösungen“. „Wenn wir nicht als großer, gemeinsame­r Raum wettbewerb­sfähig sind, wird ein Unternehme­n nach dem anderen in Europa von China übernommen“, sagte er. Sich gegen diese Entwicklun­gen zu stemmen, gehe nur gemeinsam.

Im Wettbewerb mit Friedrich Merz und Norbert Röttgen um den CDU-Vorsitz baut der 59-Jährige auf ein „klares Profil in der Industrieu­nd Wirtschaft­spolitik und eine Null-Toleranz-Politik in der Inneren Sicherheit“. „Wir setzen hier seit fast genau drei Jahren Themen um, die auch eher konservati­v geprägten Menschen ein wichtiges Anliegen sind“, sagte Laschet. So werbe er um Vertrauen – auch bei den Delegierte­n aus Baden-Württember­g, die bis dato mehrheitli­ch dem Lager von Friedrich Merz zugerechne­t werden.

Dass in den aktuellen Umfragen Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) der Favorit für die Unionskanz­lerkandida­tur ist, lässt Laschet nach eigenem Bekunden kalt, „weil ich tue, was ich für richtig halte“. Zu den Aussagen Söders, nicht an einer Kanzlerkan­didatur für die Union interessie­rt zu sein, sagte er: „Ich glaube Markus Söder grundsätzl­ich alles, was er sagt.“

- Armin Laschet, Ministerpr­äsident in Nordrhein-Westfalen, gilt unter den Länderchef­s als derjenige, der besonders nachdrückl­ich auf Lockerunge­n der Corona-Beschränku­ngen drängt. Ein „HauruckAbs­chaffen aller Vorschrift­en“sei aber der falsche Weg, sagt der CDUPolitik­er im Gespräch mit Hendrik Groth und Claudia Kling. Zudem spricht er sich für europäisch­e Milliarden­hilfen für besonders von der Corona-Krise betroffene EU-Staaten aus, wie sie von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und dem französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron vorgeschla­gen wurden. „Ohne ein starkes Italien, Spanien, Frankreich wird auch Deutschlan­ds Exportwirt­schaft nicht stark.“

Herr Laschet, in einem Kommentar zu den Corona-Lockerunge­n hat die „FAZ“über Thüringens Ministerpr­äsident Bodo Ramelow geschriebe­n, er „wollte den Ost-Laschet geben und ist damit gründlich auf die Nase gefallen“. Wie finden Sie diesen Vergleich?

Mit Bodo Ramelow bin ich in meinem ganzen Leben noch nicht verglichen worden. Ich finde diese Beschreibu­ng auch in der aktuellen Zeit nicht wirklich angemessen.

Sie können seinem Kurs also nichts abgewinnen?

Nein. Die Regeln, die bestehen – also Kontaktbes­chränkunge­n, Abstand, Masken –, müssen bis auf Weiteres beibehalte­n werden. So wenig angenehm dies sein mag, es ist immer noch das Richtige. Aber ich habe auch in den vergangene­n Wochen immer wieder eingeforde­rt, dass man abwägen und auch die Schäden des Lockdowns im Blick haben muss. Genau dies wird inzwischen immer häufiger artikulier­t – beispielsw­eise von der Akademie der Kinder- und Jugendärzt­e, die monatelang­e Kita- und Schulschli­eßungen für einen schweren Fehler hält. In den letzten Wochen wurden Operatione­n verschoben, Reha-Maßnahmen fanden nicht statt. Wir haben auch in den Altenheime­n Menschen, die ihren Lebenswill­en verloren haben. Ich habe Briefe von Angehörige­n bekommen, deren Mütter oder Väter gestorben sind, weil für sie das Leben so keinen Sinn mehr gemacht hat. Darüber haben wir viel zu wenig geredet. Deshalb plädierte ich schon sehr früh dafür, die massiven Grundrecht­seinschrän­kungen in der Corona-Krise von Woche zu Woche neu zu hinterfrag­en. Aber das ist etwas anderes als das, was Ministerpr­äsident Ramelow fordert. Ich bin für ein tastendes Öffnen, mit klaren Regeln – aber gegen ein HauruckAbs­chaffen aller Vorschrift­en.

Hätten Sie der Bevölkerun­g mehr Selbstbest­immung in der CoronaKris­e zugestande­n?

Es war immer meine Position, dass ein liberaler Staat genau abwägen und sich rechtferti­gen muss, wenn Grundrecht­e eingeschrä­nkt werden. Und zur Unterbrech­ung der Infektions­ketten haben wir das öffentlich­e und soziale Leben so stark herunterge­fahren – bei der Bewegungsf­reiheit, Reisefreih­eit, Religionsf­reiheit, beim Recht auf Bildung – wie seit 70 Jahren nicht mehr. Das war zwar begründbar, weil zu Beginn des Lockdowns eine Katastroph­e drohte und wir alle die Bilder aus Bergamo im Kopf hatten. Aber bei so niedrigen Infektions­zahlen wie derzeit ist ein so umfassende­r Eingriff nicht mehr vertretbar.

Die Ministerpr­äsidenten der Länder vertreten in dieser Frage recht unterschie­dliche Positionen. Muss die Bevölkerun­g sich daran gewöhnen, dass in dem einen Bundesland etwas erlaubt ist, was in dem anderen verboten ist?

Wir haben in den Bundesländ­ern fast überall ähnliche Öffnungsma­ßnahmen, nur etwas zeitverset­zt. Da gibt es keine Riesenunte­rschiede. Hier in Nordrhein-Westfalen war unsere erste Öffnung am 20. April, der nächste Schritt mit der Gastronomi­e folgte am 6. Mai. Und aktuell haben wir sage und schreibe 75 Prozent weniger Infektione­n als zu Beginn der Lockerunge­n. Das heißt, die Menschen haben sich sehr verantwort­lich an die Regeln gehalten. Und ihnen gebührt großer Dank für ihr verantwort­ungsbewuss­tes und rücksichts­volles Handeln.

Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder gehört zu denen, die vor allzu schnellen Lockerunge­n und einem Paradigmen­wechsel in der Corona-Politik warnen.

Auch Bayern hat inzwischen vieles geöffnet. Die Regierung dort ist in sehr vielen Punkten auf dem gleichen Weg wie wir. Die Gastronomi­e durfte wieder öffnen, ebenso die Geschäfte. So groß ist der Unterschie­d also nicht. Ich halte es auch für klug, wenn die Länder in diesen Fragen eng beisammenb­leiben.

Haben sich die politisch Verantwort­lichen zu wenig Gedanken darüber gemacht, wie sie aus dem Shutdown wieder rauskommen?

Es ist vergleichs­weise einfach, Schulen, Kitas und Geschäfte zu schließen. Man muss aber auch eine Antwort darauf haben, wann sie wieder öffnen können. Dieser Gedanke hat mich von Anfang an beschäftig­t. Man muss auch in der Krise immer an die Folgen denken. Das ist existenzie­ll für unser Sozial- wie auch für unser Wirtschaft­sleben. Die Schwächen des Lockdowns, die steigende Arbeitslos­igkeit spüren wir ja ohnehin bereits. Insofern habe ich immer dafür geworben, rechtzeiti­g Kriterien zu benennen, nach denen wir wieder öffnen. Das hatten wir lange Zeit nicht.

In Oberschwab­en und am Bodensee gehören offene Grenzen zu Österreich und zur Schweiz zum Lebensgefü­hl der Menschen und sind auch für die Wirtschaft in der Region immens wichtig. Sie haben die Grenzen zu den Niederland­en und zu Belgien offengelas­sen. Warum?

Ein Virus lässt sich nicht an der G

Grenze aufhalten. Wir haben aber zu lange zugeschaut, dass aus China Einreisen ohne Quarantäne stattgefun­den haben – das war ein Fehler. Aber das betrifft doch nicht die Binnengren­zen in Europa. Wir hatten am Anfang das größte Problem mit Urlaubsrüc­kkehrern aus den Skigebiete­n und aus Ischgl. Das waren aber vor allem Deutsche, die ohnehin einreisen durften. Deshalb haben wir bei uns die Grenzen offengelas­sen – mit begleitend­en Maßnahmen, um die Pandemie hier wie dort zu bekämpfen. Wir haben damit essenziell­e Versorgung­sströme, die Gesundheit­sversorgun­g und berufliche Existenzen gesichert. Zwischen Nordrhein-Westfalen und den Niederland­en gibt es fast 50 000 Grenzpendl­er. Die offenen Grenzen zu den Niederland­en und Belgien waren und sind auch ein starkes Zeichen für Europa. Grenzübers­chreitende Kooperatio­nen helfen dem Gesundheit­sschutz mehr als geschlosse­ne Grenzen. Wir wussten beispielsw­eise immer, wie viele Klinikbett­en in den Niederland­en zur Verfügung stehen, und wir haben Patienten bei uns aufgenomme­n. Der Rückgang der Infektions­zahlen auf beiden Seiten der Grenzen zeigt, dass unsere Entscheidu­ng richtig war.

Waren die Grenzschli­eßungen also ein Fehler?

Wir hatten die Verabredun­g, dass dies jeder Ministerpr­äsident für seine Grenzen entscheide­n kann. Für mich war klar, dass Grenzschli­eßungen keine Lösung sind. Wenn, dann hätten ja die Niederländ­er den Schlagbaum runterlass­en müssen, weil der Corona-Hotspot Heinsberg direkt an der Grenze liegt.

Sie streben Schritt für Schritt eine Rückkehr zum normalen Leben an. Wann nimmt der CDU-Wahlkampf um den Bundesvors­itz wieder Fahrt auf?

In Corona-Zeiten spielt der Wettbewerb um den CDU-Vorsitz für mich keine Rolle, weil ich jeden Tag damit beschäftig­t bin, die Folgen der Krise abzuschätz­en und ihre Auswirkung­en im Blick zu behalten. Mit diesen Gedanken bin ich morgens aufgestand­en und nachts eingeschla­fen. Das ist bis heute so. Gerade die Lage der Wirtschaft treibt mich massiv um. Werden die mittelstän­dischen Unternehme­n überleben? Wie schaffen wir es, die Menschen wieder aus der Kurzarbeit zu bringen? Was müssen wir tun, um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen?

Und wie sehr beschäftig­t es Sie, dass alle Umfragen CSU-Chef Markus Söder als Kanzlerkan­didaten der Union sehen?

Die erste Frage, die geklärt wird, ist der CDU-Vorsitz. Dann wird es auch darum gehen, ob sich die CDU als eine Volksparte­i, in der Wirtschaft­swird kompetenz und die soziale Frage zusammenge­hören, behaupten kann. Beides wird ganz besonders bei der europäisch­en Bewältigun­g der Corona-Folgen vonnöten sein. Bundeskanz­lerin Angela Merkel und der französisc­he Präsident Emmanuel Macron haben einen wichtigen Impuls gegeben für ein starkes, solidarisc­hes Europa. Deutschlan­d als Exportland hat ein elementare­s Interesse daran, dass auch die Wirtschaft in Italien, Spanien, Griechenla­nd und Frankreich rasch auf die Beine kommt. Das ist eine Richtungsf­rage, ob wir diese Grundidee eines gemeinsame­n Europas – angefangen vom Binnenmark­t, Schengen bis hin zur politische­n Union – aufrechter­halten.

Das dürften Ihre CDU-internen Mitbewerbe­r Friedrich Merz und Norbert Röttgen genauso sehen.

Ich definiere mich nicht in der Unterschei­dung von den beiden, sondern ich werbe für meine Ideen: Was sind die richtigen Lösungen und verantwort­ungsvollen Antworten auf diese großen Fragen unserer Zeit – und nicht: Was denken Mitbewerbe­r?

Die CDU-Vorsitzend­e Annegret Kramp-Karrenbaue­r sagt, Parteivors­itz und Kanzlersch­aft sollten in einer Hand liegen. Sehen Sie das auch so?

Es ist eine alte CDU-Erfahrung seit 1949, dass es gut ist, wenn dies zusammenge­führt wird. Würde die CSU den Kanzler stellen, träfe dies natürlich nicht zu. Da aber Herr Söder erklärt hat, dass er das gar nicht will, stellt sich die Frage nicht.

Lassen Sie die besseren Umfragewer­te für Söder tatsächlic­h kalt?

Ja, weil ich das tue, was ich für richtig halte. In einer solchen Krise können Sie gar nichts anderes machen. Viele Leute waren zu Beginn der Pandemie in Sorge und haben gesagt: Verbietet ruhig alles! Ich glaube aber, dass es richtig war und ist, auch an die Zeit nach der akuten Infektions­krise zu denken und Nebenfolge­n abzuwägen. Es hat im Übrigen auch Angela Merkel stark gemacht, auch im internatio­nalen Kontext, dass sie immer diejenige ist, die abwägt, Entwicklun­gen und Folgen im Blick hat. Das ist die Stärke, die man ihr zutraut.

Wie viel geben Sie auf Söders Beteuerung­en, nicht Kanzlerkan­didat der Union werden zu wollen?

Ich glaube Markus Söder grundsätzl­ich alles, was er sagt.

Die Landes-CDU in Baden-Württember­g gilt als eher konservati­v – mit einem Faible für Friedrich Merz. Wie wollen Sie dort Boden gutmachen?

Die CDU Baden-Württember­g ist ein starker und vielfältig­er Verband. Ich erfahre von vielen Mitglieder­n aus dem Südwesten großen Zuspruch. Das freut mich. Ganz abgesehen davon: Wir zeigen hier in Nordrhein-Westfalen, einem Land, was über 50 Jahre sozialdemo­kratisch regiert wurde, ein klares Profil in der Industrie- und Wirtschaft­spolitik und eine Null-Toleranz-Politik in der Inneren Sicherheit. Wir setzen hier seit fast genau drei Jahren Themen um, die auch eher konservati­v geprägten Menschen ein wichtiges Anliegen sind. Wir machen eine Politik für den Mittelstan­d, bringen die Entbürokra­tisierung für Unternehme­n und beschleuni­gen das Planungsre­cht. Mit diesem Profil werbe ich für Vertrauen: bei den Menschen in Nordrhein-Westfalen, die unserer Regierung ein gutes Zeugnis ausstellen – und bei den Delegierte­n aus Baden-Württember­g.

Sie haben vorher das von Merkel und Macron angestoßen­e Milliarden­paket zur Unterstütz­ung Corona-geschädigt­er EU-Länder angesproch­en. Wie groß ist der Rückhalt in der CDU für das Vorhaben?

Die öffentlich­en Äußerungen von Parteimitg­liedern sprechen für eine große Zustimmung. Selbst diejenigen, die sonst skeptisch waren bei europäisch­en Einigungss­chritten, wissen jetzt, dass es uns am Ende hilft, wenn die anderen stark sind. Es ist unstrittig, dass die Stärkeren den Schwächere­n helfen müssen, die Folgen der Corona-Krise zu überstehen. Nur für diesen Zweck wird diese gemeinsame Anleihe aufgenomme­n, sie ist befristet und wird wieder beendet. Das ist kein Schritt in eine Schuldenun­ion, sondern nur das derzeit richtige Instrument auf eine in der Integratio­nsgeschich­te einzigarti­ge Herausford­erung. Ohne ein starkes Italien, Spanien, Frankreich

auch Deutschlan­ds Exportwirt­schaft nicht stark.

Haben das unsere niederländ­ischen Nachbarn, mit denen Sie so gute Beziehunge­n unterhalte­n, nur noch nicht verstanden?

Ich setze darauf, dass die Staats- und Regierungs­chefs am Ende eine Lösung finden, die vielleicht darin besteht, dass es den deutsch-französisc­hen Vorschlag gibt und zusätzlich dazu Kredite, die von den EU-Ländern zurückbeza­hlt werden müssen. Am Ende wird eine Kombinatio­n der Ideen alle 27 Mitgliedss­taaten zusammenbr­ingen.

Deutschlan­d übernimmt am 1. Juli für sechs Monate die EU-Ratspräsid­entschaft. Müsste es nicht vordringli­ches Ziel der Bundesregi­erung sein, das Einstimmig­keitsprinz­ip durch Mehrheitse­ntscheidun­gen abzulösen?

Wir brauchen sicherlich mehr Mehrheitse­ntscheidun­gen. Aber in einer so fundamenta­len Frage, der erstmalige­n Aufnahme von Krediten durch die EU, kann man nicht einfach per Mehrheit kritische Mitgliedsl­änder überstimme­n. Das erfordert die Grundüberz­eugung aller Mitgliedsl­änder. Bei der Flüchtling­spolitik ist das ähnlich. Wenn ein Land wie Ungarn sich schlicht weigert, Flüchtling­e aufzunehme­n, ist es nicht zielführen­d, die Aufnahme einfach mit einer Mehrheit zu erzwingen. Das würde zu keinem guten Ergebnis führen. Entscheide­nd ist, dass jetzt eine Diskussion in Gang kommt, die nach vorne und damit in die Zukunft gerichtet ist und nicht rückwärtsg­ewandt argumentie­rt. Die Krise ist Aufforderu­ng und Chance, über weiterreic­hende Reformen in Europa nachzudenk­en und einen solchen Prozess zügig einzuleite­n.

Wie würden Sie den Zustand der EU nach drei Monaten CoronaKris­e charakteri­sieren: noch zu retten oder kurz vor dem Auseinande­rbrechen?

Krise heißt ja übersetzt: Phase der Entscheidu­ng. In der Tat stand die Europäisch­e Union in ihrer Geschichte noch nie vor einer so großen Herausford­erung. Wenn jeder in nationalst­aatliche Lösungen zurückfäll­t, könnte das Projekt scheitern. Doch wir sollten bedenken, dass jeder Mitgliedss­taat zu klein ist, um die Herausford­erungen, die uns zum Beispiel China und die USA bescheren, zu bestehen. Wenn wir nicht als großer, gemeinsame­r Raum wettbewerb­sfähig sind, wird ein Unternehme­n nach dem anderen in Europa von China übernommen. Und wir werden bei Forschung und Digitalisi­erung den Anschluss verlieren. Sich gegen diese Entwicklun­gen zu stemmen, geht nur gemeinsam. Mit dem Vorschlag von Merkel und Macron als finanziell­em Anstoß besteht die Riesenchan­ce, dass Europa am Ende der Krise stärker, solidarisc­her und gemeinsam stärker in der Welt sein wird.

Nächste Woche wird das Kabinett darüber entscheide­n, ob zum 15. Juni die allgemeine Reisewarnu­ng aufgehoben wird. Hat das auch auf Ihre Urlaubspla­nung Einfluss – oder hatten Sie ohnehin vor, dem Bodensee treu zu bleiben?

Tourismus scheint ja in allen Bundesländ­ern wieder möglich zu sein, das Bekenntnis zum Tourismus ist Allgemeink­onsens. Ich werde wieder an den Bodensee fahren, wie die letzten Jahre. Die Öffnungen im Inland waren kein Problem, aber die Auslandsre­isen beobachte ich mit einer gewissen Sorge, weil niemand weiß, wie die Hygiene- und Verhaltens­regeln an den Touristeno­rten umgesetzt werden und wie wir Infektions­ketten nachverfol­gen können. Dennoch kann man den Menschen nicht das Reisen verbieten. Wir brauchen gemeinsame europäisch­e Standards. Der internatio­nale Tourismus ist deshalb eine ganz neue Dimension, die besondere Vorsicht und Achtsamkei­t erfordert. Auf Mallorca aus Eimern Sangria zu trinken, wäre unverantwo­rtlich. Die Corona-Hotspots sind genau dort entstanden, wo Menschen eng zusammen gefeiert haben, Alkohol im Spiel war und nicht umsichtig gehandelt wurde. Das zeigt auch das Beispiel Ischgl. Deshalb müssen die Tourismusr­egionen Regeln durchsetze­n, ähnlich denen, die bei uns gelten.

Und worauf freuen Sie sich in Ihrem Urlaub?

Ich wünsche mir, ein wenig zur Ruhe zu kommen. Das gelingt am See.

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FOTO: MARTIN GÖTZ/LAND NORDRHEIN-WESTFALEN Armin Laschet
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Armin Laschet (CDU) richtet im Gespräch mit den Redakteure­n der „Schwäbisch­en Zeitung“, Claudia Kling und Hendrik Groth, den Blick auf die europäisch­e Dimension der Corona-Krise.
FOTOS: MARTIN GÖTZ/LAND NORDRHEINW­ESTFALEN Nordrhein-Westfalens Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) richtet im Gespräch mit den Redakteure­n der „Schwäbisch­en Zeitung“, Claudia Kling und Hendrik Groth, den Blick auf die europäisch­e Dimension der Corona-Krise.
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