„Ich hab ja bloß...“
Seit die Einschränkungen durch die Corona-Krise gelten, ist auf dem Aldinger Wertstoffhof die Hölle los
„FahrG doch einfach ein Stück nach vorn“, ruft Imer Niq einer Autofahrerin zu. Leiser und zu sich selbst sagt er dann: „Das ist doch alles total verrückt hier.“Es ist Brückentag und auf dem Aldinger Wertstoffhof stauen sich jede Menge Autos. „Insgesamt haben wir momentan etwa 40 Prozent mehr Müll als normal,“erzählt Jürgen Blocher. Er leitet das Sachgebiet Abfallwirtschaft beim Landkreis Tuttlingen und sagt: „Wir denken, der Grund dafür ist, dass durch Kurzarbeit und Infektionsschutzmaßnahmen im Rahmen der Corona-Krise mehr Menschen als sonst zuhause sind.“Dort verfallen sie dann ganz natürlich in des Schwaben liebste Tätigkeiten: Aufräumen und Garten herrichten. Dabei fällt jede Menge Müll an.
Was das dann für Folgen hat, lässt sich schon ab morgens auf dem Wertstoffhof in Aldingen beobachten. Hier stehen die Autos bis auf die Straße nach Schura hinaus. Das Team vom Wertstoffhof – Debora Maita, Imer Niq und Walter Haag – ist im Dauereinsatz. Die drei sind dafür zuständig, dass trotz der Maßnahmen zum Infektionsschutz der Hof in Betrieb bleiben kann.
Etwa 50 Autos rollen pro Stunde auf den Hof, schätzt Walter Haag. Trotzdem gelten besondere Regeln: Damit alle mindestens zwei Meter Abstand halten, darf immer nur eine bestimmte Anzahl Autos abladen, der Rest muss warten. Pro Auto dürfen nur zwei Personen kommen, und die müssen während der Wartezeit im Auto bleiben. Ohnehin sollen die Bürger nur kommen, wenn es unbedingt nötig ist. Damit die Abstandsregeln bei so einem Zustrom trotzdem in Kraft bleiben, kontrolliert Walter Haag den Eingang.
Er steht an der Absperrung und will vom Fahrer eines grauen VWPassat
wissen, was er dabei hat. „Alte Möbel und etwas Grünschnitt“, lautet die Antwort des mit einer Schutzmaske bewehrten Passat-Fahrers. Haag nickt und blickt kurz über seine Schulter auf den Platz. Dann sagt er: „Bleib hier stehen, wenn der weiße Wagen da vorn weg ist, kannst du zuerst zum Sperrmüll, dann runter zum Grünschnitt.“Der Passat-Fahrer nickt und meint: „Alles klar.“
Dann rollt er langsam los. Walter Haag, der schon zum nächsten Auto weitergegangen war, dreht sich genervt um. „Stehen bleiben sollst du!“, ruft er. Der Passat-Fahrer hebt in einem Ausdruck leicht genervter Entschuldigung die Hände und hält an. Walter Haag schüttelt den Kopf. „Es muss bei allen immer möglichst schnell gehen, keiner will warten“, meint er.
Fünf Autos sollen höchstens beim Abladeplatz für den Grünschnitt sein, fünf bei den Containern für Sperrmüll, Kartons oder Elektrogeräte. Wenn der Platz voll ist, muss der Rest warten. So entstehen die Schlangen bis vor an die Straße. Das stößt bei den Bürgern auf wenig Gegenliebe.
Wie zur Bestätigung steigt aus einem Auto in der Warteschlange eine junge Frau und macht sich mit einigen Gegenständen auf den Weg zu den Containern. Als Haag sie anspricht, sagt sie den Satz, den das Team vom Wertstoffhof fast nicht mehr hören kann: „Ich hab ja bloß kurz die paar Sachen.“Haag meint: „Das höre ich so oft, jeder meint, dass er damit die Regeln umgehen könnte.“
Auch wenn das manchmal für kurze Diskussionen und unschöne Worte sorgt – wirkliche Probleme mit den Bürgern oder gar Handgreiflichkeiten habe es noch nicht gegeben. Abfallchef Jürgen Blocher meint: „Das größte Konfliktpotential ist eigentlich, dass die Leute ihren Restmüll nicht bei uns abgeben dürfen.“(Was wirklich alles auf den Wertstoffhof darf, erfahren sie auch auf dieser Seite).
Für die Einhaltung der Abstandsregeln sei noch viel Verständnis da. Tatsache ist aber: Sobald auch nur ein Einziger aus der Schlange aussteigt und seine Sachen zu Fuß nach vorn bringt, sind nicht nur die Abstandsregeln kaum mehr einzuhalten, auch der mühsam geplante Ablauf
auf dem Hof kommt ins Stocken.
Der ist tatsächlich ziemlich ausgeklügelt. Debora Maita erklärt: „Wir haben mit Absperrband ein Einbahnstraßensystem geschaffen, so behindern die, die warten nicht die, die raus fahren.“Überall ist genug Platz für die Abstandsregeln. Das finden auch die Besucher gut. Harald Treiber* aus Denkingen bringt alte Fliesen weg, er meint: „Gibt schon Sicherheit, wenn man sieht, dass die auch hier auf die Vorschriften achten.“
Vor allem Gartenabfälle wollten die Menschen aus der Region schnell loswerden, sagt Jürgen Blocher und analysiert: „Generell besteht beim Bürger immer weniger die Bereitschaft Müll bei sich daheim zu lagern, er will das sofort loswerden.“
Außerdem werde jetzt noch mehr über das Internet bestellt, deshalb seien viele Menschen mit Kartons auf dem Hof. An einem Tag füllen sich in Aldingen zwei Container mit Kartons, zwei mit Sperrmüll und einer mit Schrott. Damit das genügt, drückt Walter Haag den Müll mit dem Radlader in die Container.
Andere vertreiben sich offenbar die Zeit auf dem Wertstoffhof, erzählt Walter Haag. Vor einigen Wochen sei ein Mann zu ihm gekommen und habe gefragt: „Ich hab hier einen Taschenrechner und eine Glühbirne, wo soll das hin?“Haag erzählt, wie er den Mann darauf hin etwas perplex gefragt habe, warum er denn wegen der beiden kleinen Sachen so lange in die Schlange stehe. Dessen Antwort: „Was soll ich denn sonst machen?“
Ein Problem von dem auch Sachgebietsleiter Blocher berichtet: „Leider haben unsere Aufrufe bisher wenig gefruchtet.“Weder über die Presse, noch über die anderen Informationsdienste der Tuttlinger Abfallwirtschaft (lesen Sie dazu unseren Info-Artikel auf dieser Seite) hätten Aufrufe an die Bevölkerung bisher gefruchtet. Blochers Vermutung: „Manche machen das auch, um einfach mal rauszukommen.“
Die Besucher des Wertstoffhofs sind von der Wichtigkeit ihrer Besuche überzeugt. Rudolf Herr* bringt Kühltruhen auf den Hof. Er meint: „Die nehmen daheim zu viel Platz weg.“Kathrin Gerber* hat einen Anhänger mit Grasschnitt gebracht. Sie sagt: „Ich will das nicht daheim auf dem Kompost haben, deshalb muss es weg sonst schimmelt das.“
(*Namen von der Redaktion geändert)