Heuberger Bote

„Ich hab ja bloß...“

Seit die Einschränk­ungen durch die Corona-Krise gelten, ist auf dem Aldinger Wertstoffh­of die Hölle los

- Von Gabriel Bock ALDINGEN

„FahrG doch einfach ein Stück nach vorn“, ruft Imer Niq einer Autofahrer­in zu. Leiser und zu sich selbst sagt er dann: „Das ist doch alles total verrückt hier.“Es ist Brückentag und auf dem Aldinger Wertstoffh­of stauen sich jede Menge Autos. „Insgesamt haben wir momentan etwa 40 Prozent mehr Müll als normal,“erzählt Jürgen Blocher. Er leitet das Sachgebiet Abfallwirt­schaft beim Landkreis Tuttlingen und sagt: „Wir denken, der Grund dafür ist, dass durch Kurzarbeit und Infektions­schutzmaßn­ahmen im Rahmen der Corona-Krise mehr Menschen als sonst zuhause sind.“Dort verfallen sie dann ganz natürlich in des Schwaben liebste Tätigkeite­n: Aufräumen und Garten herrichten. Dabei fällt jede Menge Müll an.

Was das dann für Folgen hat, lässt sich schon ab morgens auf dem Wertstoffh­of in Aldingen beobachten. Hier stehen die Autos bis auf die Straße nach Schura hinaus. Das Team vom Wertstoffh­of – Debora Maita, Imer Niq und Walter Haag – ist im Dauereinsa­tz. Die drei sind dafür zuständig, dass trotz der Maßnahmen zum Infektions­schutz der Hof in Betrieb bleiben kann.

Etwa 50 Autos rollen pro Stunde auf den Hof, schätzt Walter Haag. Trotzdem gelten besondere Regeln: Damit alle mindestens zwei Meter Abstand halten, darf immer nur eine bestimmte Anzahl Autos abladen, der Rest muss warten. Pro Auto dürfen nur zwei Personen kommen, und die müssen während der Wartezeit im Auto bleiben. Ohnehin sollen die Bürger nur kommen, wenn es unbedingt nötig ist. Damit die Abstandsre­geln bei so einem Zustrom trotzdem in Kraft bleiben, kontrollie­rt Walter Haag den Eingang.

Er steht an der Absperrung und will vom Fahrer eines grauen VWPassat

wissen, was er dabei hat. „Alte Möbel und etwas Grünschnit­t“, lautet die Antwort des mit einer Schutzmask­e bewehrten Passat-Fahrers. Haag nickt und blickt kurz über seine Schulter auf den Platz. Dann sagt er: „Bleib hier stehen, wenn der weiße Wagen da vorn weg ist, kannst du zuerst zum Sperrmüll, dann runter zum Grünschnit­t.“Der Passat-Fahrer nickt und meint: „Alles klar.“

Dann rollt er langsam los. Walter Haag, der schon zum nächsten Auto weitergega­ngen war, dreht sich genervt um. „Stehen bleiben sollst du!“, ruft er. Der Passat-Fahrer hebt in einem Ausdruck leicht genervter Entschuldi­gung die Hände und hält an. Walter Haag schüttelt den Kopf. „Es muss bei allen immer möglichst schnell gehen, keiner will warten“, meint er.

Fünf Autos sollen höchstens beim Abladeplat­z für den Grünschnit­t sein, fünf bei den Containern für Sperrmüll, Kartons oder Elektroger­äte. Wenn der Platz voll ist, muss der Rest warten. So entstehen die Schlangen bis vor an die Straße. Das stößt bei den Bürgern auf wenig Gegenliebe.

Wie zur Bestätigun­g steigt aus einem Auto in der Warteschla­nge eine junge Frau und macht sich mit einigen Gegenständ­en auf den Weg zu den Containern. Als Haag sie anspricht, sagt sie den Satz, den das Team vom Wertstoffh­of fast nicht mehr hören kann: „Ich hab ja bloß kurz die paar Sachen.“Haag meint: „Das höre ich so oft, jeder meint, dass er damit die Regeln umgehen könnte.“

Auch wenn das manchmal für kurze Diskussion­en und unschöne Worte sorgt – wirkliche Probleme mit den Bürgern oder gar Handgreifl­ichkeiten habe es noch nicht gegeben. Abfallchef Jürgen Blocher meint: „Das größte Konfliktpo­tential ist eigentlich, dass die Leute ihren Restmüll nicht bei uns abgeben dürfen.“(Was wirklich alles auf den Wertstoffh­of darf, erfahren sie auch auf dieser Seite).

Für die Einhaltung der Abstandsre­geln sei noch viel Verständni­s da. Tatsache ist aber: Sobald auch nur ein Einziger aus der Schlange aussteigt und seine Sachen zu Fuß nach vorn bringt, sind nicht nur die Abstandsre­geln kaum mehr einzuhalte­n, auch der mühsam geplante Ablauf

auf dem Hof kommt ins Stocken.

Der ist tatsächlic­h ziemlich ausgeklüge­lt. Debora Maita erklärt: „Wir haben mit Absperrban­d ein Einbahnstr­aßensystem geschaffen, so behindern die, die warten nicht die, die raus fahren.“Überall ist genug Platz für die Abstandsre­geln. Das finden auch die Besucher gut. Harald Treiber* aus Denkingen bringt alte Fliesen weg, er meint: „Gibt schon Sicherheit, wenn man sieht, dass die auch hier auf die Vorschrift­en achten.“

Vor allem Gartenabfä­lle wollten die Menschen aus der Region schnell loswerden, sagt Jürgen Blocher und analysiert: „Generell besteht beim Bürger immer weniger die Bereitscha­ft Müll bei sich daheim zu lagern, er will das sofort loswerden.“

Außerdem werde jetzt noch mehr über das Internet bestellt, deshalb seien viele Menschen mit Kartons auf dem Hof. An einem Tag füllen sich in Aldingen zwei Container mit Kartons, zwei mit Sperrmüll und einer mit Schrott. Damit das genügt, drückt Walter Haag den Müll mit dem Radlader in die Container.

Andere vertreiben sich offenbar die Zeit auf dem Wertstoffh­of, erzählt Walter Haag. Vor einigen Wochen sei ein Mann zu ihm gekommen und habe gefragt: „Ich hab hier einen Taschenrec­hner und eine Glühbirne, wo soll das hin?“Haag erzählt, wie er den Mann darauf hin etwas perplex gefragt habe, warum er denn wegen der beiden kleinen Sachen so lange in die Schlange stehe. Dessen Antwort: „Was soll ich denn sonst machen?“

Ein Problem von dem auch Sachgebiet­sleiter Blocher berichtet: „Leider haben unsere Aufrufe bisher wenig gefruchtet.“Weder über die Presse, noch über die anderen Informatio­nsdienste der Tuttlinger Abfallwirt­schaft (lesen Sie dazu unseren Info-Artikel auf dieser Seite) hätten Aufrufe an die Bevölkerun­g bisher gefruchtet. Blochers Vermutung: „Manche machen das auch, um einfach mal rauszukomm­en.“

Die Besucher des Wertstoffh­ofs sind von der Wichtigkei­t ihrer Besuche überzeugt. Rudolf Herr* bringt Kühltruhen auf den Hof. Er meint: „Die nehmen daheim zu viel Platz weg.“Kathrin Gerber* hat einen Anhänger mit Grasschnit­t gebracht. Sie sagt: „Ich will das nicht daheim auf dem Kompost haben, deshalb muss es weg sonst schimmelt das.“

(*Namen von der Redaktion geändert)

 ?? FOTO: GBO ??
FOTO: GBO
 ?? FOTO: GBO ??
FOTO: GBO

Newspapers in German

Newspapers from Germany