So verschärft die Pandemie den Lehrermangel
Ein Viertel der Lehrer könnte landesweit nicht wieder zur Schule kommen – In Tuttlingen teilweise sogar mehr
- Obwohl der Schulbetrieb inzwischen wieder angelaufen ist, wird manch ein Lehrer seine Schüler in diesem Schuljahr nicht mehr wieder sehen. Wer zur Risikogruppe gehört, darf vorerst keinen Präsenzunterricht geben beziehungsweise nicht dazu verpflichtet werden. Landeskultusministerin Susanne Eisenmann hatte vermutet, knapp ein Viertel der Lehrkräfte könne nicht wieder in die Schule kommen. In Tuttlingen liegen manche Schulen darunter, andere übertreffen die Quote.
Bis zu den Pfingstferien kamen nur Kinder in die Schule, die jetzt oder nächstes Jahr ihre Abschlussprüfungen schreiben, oder nach dem Sommer auf die weiterführende Schule wechseln. Der Rest lernte im Home Schooling. Von dort aus mussten auch vorerkrankte oder schwangere Lehrkräfte arbeiten. Sie waren nicht freigestellt, nur weil sie keinen Präsenzunterricht geben konnten, stellte das Kultusministerium auf seiner Homepage klar. Wer über 60 Jahre alt ist oder mit einer schwangeren oder vorerkrankten Person zusammenlebt, konnte selbst entscheiden, ob er in die Schule kommt.
An der Albert-Schweitzer-Schule kommen alle drei älteren Kollegen freiwillig in den Unterricht. „Ich setze sie aber nur eingeschränkt ein“, sagt Schulleiterin Heike Zwick. Eigentlich braucht sie jeden Kollegen. Die Lehrerversorgung war schon vor der Corona-Pandemie ein heikles Thema an der Förderschule. „Von 22 Lehrern sind zehn Quereinsteiger. Die müssen wir einlernen.“Und das jedes Schuljahr aufs Neue: Quereinsteiger blieben oft nicht über die Sommerferien, da sie in diesen Wochen kein Geld bekommen.
Noch dazu hat Zwick aktuell sechs Lehrerstellen ausgeschrieben. Im Briefkasten lag noch keine einzige Bewerbung. Während Acht- und Neuntklässler den ganzen Vormittag Unterricht haben, können die anderen Schüler nach den Pfingstferien nur für jeweils zwei Stunden in die Schule kommen. Ein Problem, komme es doch gerade an einer Förderschule auf den persönlichen Kontakt an. „Die Schüler brauchen einen festen Rhythmus“, sagt Zwick.
Normalerweise kämen anderthalb Lehrerstellen auf eine Klasse, plus eine Pflegekraft oder ein Freiwilligendienstleistenden, ergänzt Johannes Tirpak, Leiter der Johann-Peter-Hebel-Schule. Diesen Schlüssel könne er gerade nicht überall einhalten. Auch der Ganztag ist vorübergehend gestrichen.
Zahlen des Staatlichen Schulamts in Konstanz (Stand 12. Mai 2020) zeigen, dass Sonderpädagogische Bildungsund Beratungszentren (SBBZ) wie die Schulen von Tirpak und Zwick aktuell besonders betroffen sind vom Lehrermangel. Kreisweit können diese Schulen nur 70 Prozent aller Lehrerwochenstunden abdecken. An Realschulen liegt die Quote im Schnitt bei 84 Prozent.
Susanne Speck liegt darunter. Ein Drittel ihres Kollegiums an der Hermann-Hesse-Realschule bleibt zuhause. „Das wird sich nach den Pfingstferien noch verstärken“, vermutet die Konrektorin. Alle Klassen werden zwar in zwei Gruppen aufgeteilt, die jeweils abwechselnd wochenweise in der Schule unterrichtet werden. „Die Zahl der Klassen bleibt also gleich. Wenn aber so viele Kollegen fehlen, kann ich nicht sechs oder acht Stunden pro Unterrichtstag zur Verfügung stellen.“Speck geht davon aus, dass sie die Stundenzahl kürzen muss, vielleicht auf vier Stunden am Tag.
Außerdem werde man die Hauptfächer in den Fokus nehmen. Knackpunkt
dabei: Manch ein Lehrer habe ausschließlich Nebenfächer studiert.
An den Berufsschulen und Gymnasien ist die Lage entspannter. Knapp zehn Prozent der Lehrkräfte fallen derzeit im Präsenzbetrieb weg, sagt Wolfgang Staib, stellvertretender
Heike Zwick, Direktorin der Albert-Schweitzer Schule
Schulleiter am Otto-Hahn-Gymnasium (OHG). Schon vor der Pandemie sei die Schule lehrertechnisch gut aufgestellt gewesen. Die Umverteilung sei nicht leicht, aber gut machbar.
Optimismus kommt auch aus der Nachbarschaft des OHG. Am Immanuel-Kant-Gymnasium sollen Schüler in den Präsenzwochen ihren gewohnten Stundenplan beibehalten, inklusive der Nebenfächer. „Das ist wichtig, damit das Lernen abwechslungsreich bleibt“, betont Schulleiterin Patricia Pulfer-Jauch. Schüler sollen bestmöglich unterrichtet, Lehrer aber nicht überlastet werden. „Wir kriegen das gut hin. Stunden, die nicht abgedeckt werden können, werden über Videokonferenzen gehalten.“Rund 15 Prozent ihres Kollegiums zählen zur Risikogruppe, sagt Pulfer-Jauch. Ein paar hätten sich freiwilig bereit erklärt, trotzdem in die Schule zu kommen. Leicht sei die Planung dennoch nicht. Am IKG arbeiten kaum Teilzeitkräfte. Es fehlen rund zehn Lehrkräfte im Präsenzbetrieb, das entspricht bei zehn Vollzeitkräften 250 Lehrerstunden.
Lehrer, die jetzt mehr Präsenzunterricht als sonst abhalten, haben dafür weniger mit dem Fernlernunterricht zu tun. Den wiederum sollen vor allem Lehrer aus der Risikogruppe betreuen. Das regeln die meisten Schulen so. Außerdem übernehmen Kollegen, die zuhause bleiben, mehr organisatorische Aufgaben.
Susanne Galla dagegen setzt auf „Team-Teaching“. Dabei betreuen die Lehrer der Ferdinand-von-Steinbeis-Schule eine Klasse zu zweit oder zu dritt. Einer vor Ort in der Schule, der andere von zuhause aus. „Manchmal schalten sich die Kollegen
per Live-Video in den Unterricht dazu. Wir meistern das aktuell sehr gut.“Man arbeite stets weiter an digitalen Lösungen, führe bald vermutlich digitale Sprechstunden ein. Was man nicht vergessen dürfe. „Wir sind nicht aufgefordert, 100 Prozent zu leisten. Wenn wir 30 schaffen, ist das auch schon gut.“
Für die Berufsschulen und Gymnasien ist das Schulamt nicht zuständig. An den anderen Schulen kümmert es sich aber um die Einstellungsverfahren. Amtsleiterin Bettina Armbruster zeigt sich zuversichtlich. „Trotz Corona-Pandemie konnten alle Einstellungsverfahren für Lehrkräfte stattfinden.“Die Ausschreibungsfristen wurden verlängert, zudem gab es Online-Vorstellungsgespräche.
Was allerdings auch Teil der Wahrheit ist: Der Landkreis Tuttlingen gehöre nach wie vor zu den Gebieten, in denen sich die Versorgung mit Lehrerstunden schwierig gestalte.
„Die Schüler brauchen einen festen Rhythmus.“
Wie es nach den Pfingstferien in
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