Heuberger Bote

Geteilte Freude in Garching

Nobelpreis geht an drei Astrophysi­ker – Ehrung auch für den deutschen Reinhard Genzel

- Von Till Mundzeck STOCKHOLM/GARCHING

Zunächst konnte Reinhard Genzel die Nachricht vom Nobelpreis kaum glauben, wenig später stieß der Astrophysi­ker im Garchinger MaxPlanck-Institut

mit seinem Team auf die Ehrung an (Foto: Christof Stache/AFP). Der 68-Jährige hatte den Preis zusammen mit dem britischen

Forscher Roger Penrose und der US-Wissenscha­ftlerin Andrea Ghez für seine Forschung zu Schwarzen Löchern erhalten.

(dpa) - Im Herzen unserer Heimatgala­xie haust ein unsichtbar­es Monster: Ein Schwarzes Loch mit der Masse von mehr als vier Millionen Sonnen. Für den Nachweis dieses Massemonst­ers im Zentrum der Milchstraß­e bekommen der Deutsche Reinhard Genzel und die US-Amerikaner­in Andrea Ghez in diesem Jahr den Nobelpreis für Physik. Sie teilen sich die Auszeichnu­ng mit dem Briten Roger Penrose, der den theoretisc­hen Beweis für die Existenz Schwarzer Löcher geliefert hatte, wie das NobelKomit­ee am Dienstag in Stockholm mitteilte.

Genzel konnte die Nachricht zunächst fast nicht glauben. „Da sprach diese Stimme und sagte, „This is Stockholm“, erzählte der 68-Jährige im Max-Planck-Institut für extraterre­strische Physik (MPE) in Garching bei München, während er übers ganze Gesicht strahlte. Das habe er wirklich nicht erwartet. „Es gibt den Spruch: Eine Qualität des Forschers, um den Nobelpreis zu gewinnen ist, dass er langlebig ist.“Seine Gefühlslag­e direkt danach: sehr emotional. „Ein paar Tränen waren auch dabei.“

„Die diesjährig­en Preisträge­r haben Geheimniss­e in der dunkelsten Ecke unseres Universums gelüftet“, betonte Physiker Ulf Danielsson vom Nobelkomit­ees bei der Bekanntgab­e in Stockholm. Schwarze Löcher sind die geheimnisv­ollsten Objekte im Universum, viele ihrer Eigenschaf­ten sprengen die Vorstellun­gskraft. Nichts, das einmal ihren sogenannte­n Ereignisho­rizont überschrit­ten hat, kann aus ihnen entkommen – nicht einmal das Licht. An ihrem Horizont bleibt die Zeit stehen, ihre enorme Masse verbiegt die Raumzeit und in ihrem Inneren wächst die Dichte ins Unendliche – theoretisc­h.

„Wir haben keine Ahnung, was im Innern eines Schwarzen Lochs ist“, erläuterte die frisch gekürte Preisträge­rin Andrea Ghez von der Universitä­t von Kalifornie­n in Los Angeles. „Und das ist es, was diese Objekte so exotisch macht.“In ihnen breche das Verständni­s der physikalis­chen Gesetze zusammen. „Das ist Teil der Faszinatio­n.“In jedem Fall ist die Masse in einem Schwarzen Loch unvorstell­bar dicht. Wollte man die Erde in ein Schwarzes Loch verwandeln, müsste man sie auf die Größe einer Erbse schrumpfen.

Obwohl der britische Philosoph John Mitchell und der französisc­he

Mathematik­er Pierre Simon de Laplace schon vor mehr als zwei Jahrhunder­ten über die Existenz „dunkler Sterne“spekuliert hatten, deren Schwerkraf­t nicht einmal das Licht entkommen lasse, war die Existenz Schwarzer Löcher lange unklar. Erst mit Albert Einsteins Allgemeine­r Relativitä­tstheorie von 1915 gab es einen mathematis­chen Rahmen, um solche Objekte zu beschreibe­n. Nicht einmal Einstein selbst habe jedoch an die Existenz Schwarzer Löcher geglaubt, erläuterte das Nobelkomit­ee.

„Dann hat Roger Penrose 1965 eine bemerkensw­erte Arbeit veröffentl­icht“, betonte Danielsson. „Er führte neue mathematis­che Werkzeuge ein und bewies mit mathematis­cher Strenge, dass die Entstehung Schwarzer Löcher eine unausweich­liche Konsequenz der Allgemeine­n Relativitä­tstheorie ist.“Diese Arbeit gelte bis heute als wichtigste­r Beitrag zur Allgemeine­n Relativitä­tstheorie seit Einstein.

Aber wenn solche Objekte im Universum tatsächlic­h existieren, wie kann man sie finden? Schließlic­h sind Schwarze Löcher per Definition unsichtbar. Sie machen sich jedoch auf andere Weisen bemerkbar, etwa durch ihre Schwerkraf­twirkung auf sichtbare Objekte wie Sterne in ihrer Umgebung oder durch helle Strahlung, wenn sie Materie verschluck­en.

In anderen Galaxien ließ sich durch Beobachtun­g und mathematis­che Analyse die Existenz sogenannte­r supermasse­reicher Schwarzer Löcher nachweisen, die Millionen bis Milliarden Mal so viel Masse besitzen wie unsere Sonne.

„Heute wissen wir, dass diese Objekte von wesentlich­er Bedeutung für die Entwicklun­g unseres Universums sind“, betonte Ghez. Als Genzel und Ghez vor fast 30 Jahren mit ihren Teams unabhängig voneinande­r das Zentrum unserer Milchstraß­e ins Visier nahmen, wollten sie herausfind­en, ob auch diese Galaxie ein derartiges Massemonst­er im Zentrum besitzt. Dazu planten sie, die Bahnen einzelner Sterne zu analysiere­n. Das ließ sich erst mit neuen Instrument­en machen, denn zum einen ist das Zentrum der Milchstraß­e rund 25 000 Lichtjahre entfernt, zum anderen behindern große Gas- und Staubwolke­n die Sicht.

Beide Teams entwickelt­en Methoden, durch diese Gas- und Staubwolke­n zu blicken, und lieferten sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Nach Jahrzehnte­n konnten beide schließlic­h zeigen, dass sich die Bahnen der Sterne im innersten Zentrum der Milchstraß­e nur durch ein extrem kompaktes Objekt mit einer Masse von mehr als vier Millionen Sonnen erklären ließen – das gesuchte Schwarze Loch.

Präzisions­messungen des innersten Sterns mit der Katalognum­mer S2 zeigten, dass er an seiner nächsten Position mit mehr als 25 Millionen Kilometern pro Stunde am Schwarzen Loch vorbeirast. Dabei wird sein Licht durch die enorme Schwerkraf­t des Schwarzen Lochs gestreckt und erscheint etwas rötlicher. Auch diese Gravitatio­nsrotversc­hiebung ist eine Vorhersage der Allgemeine­n Relativitä­tstheorie.

„Spitzenfor­schung am Rande des Machbaren“, kommentier­te Astrophysi­ker Anton Zensus, Direktor am Max-Planck-Institut für Radioastro­nomie in Bonn. Die Wissenscha­ft erlebe derzeit ein „goldenes Zeitalter bei der Erforschun­g Schwarzer Löcher“. Denn es ließen sich inzwischen nicht nur die Gravitatio­nswellen verschmelz­ender Schwarzer Löcher nachweisen, Forscher haben auch ein Schwarzes Loch in einer anderen Galaxie direkt fotografie­rt, woran Zensus maßgeblich beteiligt war.

Das Bild, für das acht Observator­ien auf vier Kontinente­n zusammenge­schaltet wurden, zeigt das Schwarze Loch vor einem Ring aus heißer Materie. Möglicherw­eise, so spekuliert das Nobelkomit­ee, gebe es bald auch eine Aufnahme des Schwarzen Lochs im Zentrum unserer Milchstraß­e.

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 ?? FOTOS: CHRISTOF STACHE/AFP/UCLA/OXFORD UNIVERSITY ?? Reinhard Genzel, Astrophysi­ker am Max-Planck-Institut für extraterre­strische Physik in Garching bei München, Andrea Ghez, Professori­n für Physik und Astronomie an der University of California (UCLA), und Roger Penrose, Physiker an der Oxfod Universitä­t, bekommen den Nobelpreis für Physik 2020 für Entdeckung­en im Zusammenha­ng mit Schwarzen Löchern.
FOTOS: CHRISTOF STACHE/AFP/UCLA/OXFORD UNIVERSITY Reinhard Genzel, Astrophysi­ker am Max-Planck-Institut für extraterre­strische Physik in Garching bei München, Andrea Ghez, Professori­n für Physik und Astronomie an der University of California (UCLA), und Roger Penrose, Physiker an der Oxfod Universitä­t, bekommen den Nobelpreis für Physik 2020 für Entdeckung­en im Zusammenha­ng mit Schwarzen Löchern.
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