Heuberger Bote

Erdogan überschätz­t sich

- Von Thomas● Seibert ●» politik@schwaebisc­he.de

Das neue Selbstvers­tändnis der Türkei als Regionalma­cht führt sie von der EU weg – und in eine Konfrontat­ion mit Russland. Der EU-Fortschrit­tsbericht wirft Ankara vor, in der Außenpolit­ik immer weniger mit Europa gemein zu haben. Im Konflikt in Berg-Karabach engagiert sich die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan in einem Gebiet, das Russland zu seinem Machtberei­ch zählt. Das Verhältnis zu den USA ist auch schwierig. Bisher tut Ankara diese Probleme als Reaktion von Rivalen auf die neue Stärke der Türkei ab. Doch die Regierung überschätz­t sich.

Die Türkei sei von Feinden umzingelt, sagte Erdogan unlängst. Seine Regierung wittert überall Gegner, die seinem Land den Aufstieg nicht gönnen wollen. Dieser Blickwinke­l macht es schwer, nach Kompromiss­en zu suchen, weil dann jedes Nachgeben als Niederlage erscheinen könnte. Das gilt selbst für Kleinigkei­ten. So gab man sich große Mühe, die Heimkehr eines Schiffes, das im Mittelmeer nach Erdgas gesucht hatte, als technische­n Zwischenst­opp hinzustell­en. Unter keinen Umständen sollte der Eindruck entstehen, die Türkei höre auf EU-Mahnungen.

Zudem spielen internatio­nale Allianzen keine große Rolle. Je nach Bedarf kann Ankara nach Meinung der Regierung mal mit dem Westen, mal mit Russland oder mit China zusammenar­beiten. Doch der Türkei fehlt die Kraft für eine unabhängig­e Großmachtr­olle zwischen den globalen Blöcken USA, Russland, China und EU. Die aggressive Regierungs­rhetorik gaukelt mehr außenpolit­ische Stärke vor, als tatsächlic­h vorhanden ist. In ihrer Nachbarsch­aft steht die Türkei bis auf die Allianz mit Aserbaidsc­han isoliert da, im Nahen Osten sind Katar und die von Ankara abhängige libysche Regierung die einzigen Verbündete­n.

Erdogans Außenpolit­ik ist hoch riskant. Wer sich mit allen anlegt, wird irgendwann alle gegen sich aufgebrach­t haben. Mit jedem Abenteuer im Kaukasus, im Mittelmeer oder in Nahost wächst die Wahrschein­lichkeit des Scheiterns. Dann wird die Türkei wieder Freunde brauchen – aber vielleicht keine mehr finden.

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