Alarmstufe Gelb im Südwesten
Verstärkte Kontrollen in der Gastronomie – Mehrheit für Bußgeld bei falschen Kontaktdaten
- Immer mehr Krankheitsfälle in Altersheimen, Corona-Ausbrüche nach privaten Feiern, Infektionsketten, die sich nicht nachvollziehen lassen – die Corona-Lage spitzt sich im Herbst weiter zu. In Baden-Württemberg hat die grün-schwarze Landesregierung nun erstmals „Pandemiestufe 2“verkündet – auf der Pandemie-Ampel ist dies quasi Alarmstufe Gelb. Mit mehr Kontrollen und eindringlichen Appellen soll die Ausbreitung des Virus eingedämmt werden. Gäste, die im Restaurant beim Angeben falscher Kontaktdaten
erwischt werden, müssen ab sofort mit Bußgeldern zwischen 50 und 250 Euro rechnen. Der Regelsatz wird bei 100 Euro liegen. Bundesweit gilt bereits seit Anfang Oktober eine Regelung, die Bußgelder von mindestens 50 Euro vorsieht.
Die große Mehrheit der Deutschen hält dies für richtig und angemessen. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage der „Schwäbischen Zeitung“mit dem Online-Meinungsforschungsinstitut Civey. Insgesamt halten 72,6 Prozent der Umfrageteilnehmer die Bußgelder für richtig. 22,6 Prozent der Befragten lehnen eine Bestrafung ab, der Rest ist unentschieden. Bei der Umfrage gibt es bemerkenswerte Unterschiede zwischen verschiedenen Altersgruppen (siehe Grafik links), bei Bürgern über 65 Jahren gibt es eine überwältigende Mehrheit von 84,1 Prozent für die Strafen.
Das Ausfüllen von Meldezetteln in der Gastronomie soll dabei helfen, Corona-Ausbrüche in Restaurants, Bars und Kneipen lückenlos rückverfolgen zu können. „Wir werden jetzt verstärkt kontrollieren“, kündigte Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) am Dienstag in Stuttgart an.
- Die Infektionszahlen mit dem Sars-CoV-2-Virus im Südwesten steigen. „Wir müssen jetzt, jetzt alles tun, damit sich kein exponentieller Anstieg entwickelt“, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Dienstag in Stuttgart. Deshalb habe die grünschwarze Regierung nun die mittlere Alarmstufe im dreistufigen Konzept zum Umgang mit der Corona-Pandemie ausgerufen. Was das bedeutet.
Warum tritt die neue Stufe in Kraft?
Das Land hat Mitte September einen Stufenplan im Umgang mit der Pandemie entwickelt. Bisher galt die Stufe 1, die sogenannte stabile Phase. Nun startet mit der Stufe 2 die Anstiegsphase, oder wie Kretschmann sagte: „Das ist die Hab-Acht-Stufe.“Der Stufenplan sieht das vor, wenn sich landesweit mehr als zehn Menschen pro 100 000 Einwohner innerhalb einer Woche neu infizieren. Aktuell liegt der Wert bei 17,6 Menschen. Zudem gibt es ein diffuses Infektionsgeschehen: Mehr als 50 Prozent der Kreise verzeichneten mindestens fünf Ansteckungen pro 100 000 Einwohner innerhalb einer Woche – ein weiterer Auslöser für die Stufe 2. Im Bericht des Landesgesundheitsamts vom Dienstag war das nur in zwei Kreisen nicht so.
Was ändert sich dadurch?
Nicht sehr viel. „Es ist die verstärkte Appellphase“, sagte Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne). Es gehe darum, besonders streng die AHA-Regeln zu beachten, zudem die Corona-Warnapp zu nutzen und viel zu lüften. Das Tragen der Alltagsmasken wird laut Lucha verschärft kontrolliert – etwa im ÖPNV. „Das oberste Ziel ist, die Stufe 3 um alles in der Welt zu verhindern.“Ganz entscheidend zur Eindämmung der Pandemie sei die Kontaktnachverfolgung, betonte Kretschmann. Dafür müssen die Zahlen niedrig bleiben. „Sonst haben wir die Pandemie nicht mehr wirklich im Griff.“Den Lockdown im Frühjahr führt das Sozialministerium auch darauf zurück, dass die Behörden die Nachverfolgung nicht mehr stemmen konnten.
Was heißt das für Bus und Bahn?
Die Maskenpflicht bleibt bestehen, die Polizei setzt ihre Schwerpunktkontrollen in diesem Bereich weiter fort. „Die Schwerpunktkontrollen lassen sich aber kaum mehr verschärfen, da sind wir schon sehr akgen tiv“, erklärt ein Sprecher von Innenminister Thomas Strobl (CDU). Der Minister hat am Dienstag einen Zwischenbericht zu den Kontrollen vorgelegt. Seit Mitte August hat die Polizei demnach 130 000 Menschen bei 31 solcher Einsätze kontrolliert. „Dabei wurden 26 128 Verstöße gegen die Maskentragepflicht festgestellt, von denen 659 Verstöße zur Anzeige gebracht wurden“, so Strobl.
Was ändert sich beim Besuch von Gaststätten?
Wer sich als Micky Maus in die Kontaktliste einträgt, muss Bußgeld zahlen. Auf einen Mindestbetrag von 50 Euro hatten sich vergangene Woche die Ministerpräsidenten der Länder und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) verständigt. GrünSchwarz im Land hat nun beschlossen, in der Regel 100 Euro zu verlan– möglich sind zwischen 50 bis 250 Euro. Der Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) hatte Kretschmanns Idee, dass Wirte die Personalien der Gäste kontrollieren sollen, scharf kritisiert. „Die Wirte müssen natürlich Plausibilitätskontrollen machen“, sagte Kretschmann. „Das muss man lesen und entziffern können und es muss plausibel sein.“Hinzu kämen nun verschärfte Kontrollen durch die Ordnungsämter, ergänzte Lucha. Villingen-Schwennningen hat Beschwerden aus der Bevölkerung über Verstöße gegen Corona-Regeln in Restaurants so nicht in den Griff bekommen, wie der SWR berichtet. Deshalb sind Mitarbeiter der Stadt als Gäste unterwegs. Wird ihnen keine Kontaktliste vorgelegt, kommt am nächsten Tag das Ordnungsamt. Beim ersten Verstoß muss der Wirt 750 Euro
Bußgeld, beim zweiten 1250 Euro zahlen.
Was ändert sich an Schulen?
Zunächst nichts. Beschränkungen in den Schulen, Kitas und der Wirtschaft will die Regierungskoalition unbedingt vermeiden. „Die Folgen in den Schulen sind gravierend“, so Kretschmann. „Deshalb müssen wir in anderen Bereichen die Schrauben anziehen.“Laut Kultusministerium mussten am Dienstag an 197 Schulen insgesamt 357 Klassen, beziehungsweise Gruppen wegen einer CoronaInfektion oder eines Verdachtsfalls zu Hause bleiben. Drei Schulen waren vollständig geschlossen. „Bei so vielen Schülern, wie wir haben, ist das eine erstaunlich geringe Anzahl“, sagte Lucha. Insgesamt gibt es im Land rund 67 500 Klassen an 4500 Schulen. Kindertagesstätten seien noch weniger betroffen, sagte Lucha und betonte: „Schulen und Kitas als Verbreitungsorte sind Stand heute nicht herausragend.“Das Virus werde von außen eingetragen.
Was gilt für Reisende?
Wer aus einem Kreis kommt, in dem es innerhalb einer Woche mehr als 50 Neuinfektionen gab, darf nicht in Baden-Württembergs Hotels und Pensionen übernachten. Dieses Beherbergungsverbot besteht seit Juli und gilt nach wie vor, betonte Lucha. Er sprach vom Fall eines Zugbegleiters aus München, der jüngst in Ulm nicht im Hotel übernachten durfte. „Wir sind gerade dabei, mit Bund und Ländern andere, praktikable Lösungen zu finden“, so Lucha.
Ist die Gesundheitsversorgung gesichert?
Ja, so das Sozialministerium. Ein für die Stufe 2 vorgesehenes flächendeckendes Netz an Corona-Ambulanzen habe die Kassenärztliche Vereinigung aufgebaut – mit 50 Testzentren und 900 Schwerpunktpraxen. Von 2339 Intensivbetten in Kliniken seien 51 mit Corona-Patienten belegt. 25 davon würden beatmet. 959Intensivbetten seien noch frei. Die Kliniken sind dabei, mithilfe des Landes ihre Beatmungsplätze von ehemals 2200 auf 4800 aufzustocken, um für viele schwere Erkrankungen gerüstet zu sein. 600 Geräte, die das Land bestellt hat, fehlten aber noch, so Luchas Sprecher.
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