Heuberger Bote

Kelten-Prunkgrab

Bei der Heuneburg wurde eine komplette Begräbniss­tätte geborgen – Archäologe­n wollen sie in Forschungs­räumen untersuche­n

- Von Uwe Jauß HERBERTING­EN

Spektakulä­re Funde in der Nähe der Heuneburg

- Es sind gut 80 Tonnen, die zwei Schwerlast­kräne am Dienstagna­chmittag in die Höhe ziehen. Die Last ist ein komplett freigelegt­es keltisches Holzkammer­grab. Ganz langsam, zentimeter­weise, verlässt es die Stelle, wo rund 2600 Jahre lang sein Platz war: der Kies in einer Donauniede­rung bei Herberting­en im östlichen Sigmaringe­r Landkreis. „Jetzt schwebt’s“, flüstert sich Dirk Krausse begeistert selber zu. Er ist Landesarch­äologe und gehört in dieser Rolle zum Landesamt für Denkmalpfl­ege im Regierungs­präsidium Stuttgart. Gleichzeit­ig gilt der Wissenscha­ftler als führender Keltenspez­ialist im Südwesten. Zweieinhal­b Jahre war auf das hingearbei­tet worden, was sich nun vor seinen Augen abspielt: eine sogenannte Blockbergu­ng, das Heraushole­n eines Objektes am Stück, um es zur weiteren Untersuchu­ng in Forschungs­räume zu transporti­eren.

Das Ganze spielt sich im Gewann Bettelbühl in Sichtweite der Heuneburg ab, heute ein keltisches Freilichtm­useum, einst ein auf dem Donauhochu­fer gelegenes Machtzentr­um der antiken Völkerscha­ft. „Das Grab stammt aus der Zeit, als die Heuneburg auf ihrem Zenit war“, meint Krausse. Ursprüngli­ch lag die letzte Ruhestätte in einem Grabhügel. Er ist heutzutage kaum noch erkennbar. Jedenfalls tun sich geladene Schaulusti­ge während der spektakulä­ren Bergung schwer mit der Verortung, worauf sie gerade stehen. Gäste mit wissenscha­ftlicher Vorbildung wissen zumindest, dass ein Grabhügel die Begräbniss­tätte wichtiger Leute bedeutet. Folgericht­ig spricht Krausse von einem Prunkgrab. Erste Funde weisen in der Tat darauf hin – etwa eine mit Bernsteinp­erlen verzierte Gewandspan­ge. Wobei er und seine Archäologe­n etwas anderes viel begeistert­er betrachten. Bei einer vorsichtig­en Sondierung des Grabes waren Holzteile und Bronzebesc­hläge gefunden worden. „Dies könnte auf Wagenräder hinweisen“, sagt Leif Hansen, ein Kollege Krausses. Eventuell verbergen sich in dem Grabblock die Reste eines Prunkwagen­s, eine Beigabe, die es nach jetzigem Forschungs­stand bloß bei Männern gab.

Metallene Wagenbesch­läge haben Forscher bereits andernorts in Keltengräb­ern gefunden. „Sensatione­ll wäre“, spekuliert Denkmalpfl­ege-Präsident Claus Wolf, „wenn auch noch Holz des Wagens vorhanden wäre.“Die Hoffnung ist, dass solche Reste zu weiteren Erkenntnis­sen über die Fertigkeit­en der Kelten führen. Vorerst ist aber alles offen. Das acht auf sechs Meter große Objekt entschwebt erst einmal in Richtung eines Schwertran­sporters. Noch am selben Abend sollen Grab und eine vorsichtsh­alber mit herausgeho­bene Pufferschi­cht Ludwigsbur­g erreichen. Dort sind die Forschungs­räume des Landesamts für Denkmalpfl­ege. Damit rollen aber auch die Geheimniss­e des Kammergrab­s weg.

„Ein Wahnsinn“, ruft ein älterer Gast des Schauspiel­s noch hinterher. Doch so spektakulä­r die Blockbergu­ng auch sein mag: Für das Bettelbühl ist sie nichts Neues. Vor knapp zehn Jahren hat es hier dasselbe schon mal gegeben – mit ebenso gut 80 Tonnen, seinerzeit in diesem Umfang eine Premiere in Deutschlan­d. 100 Meter vom jetzigen Fundort entfernt wurde eine zimmergroß­e Grabkammer mit zwei weiblichen Skelettres­ten geborgen. Eines davon war reich mit Gold- und Bernsteins­chmuck versehen. Archäologe­n wiesen es einer „Keltenfürs­tin“zu. Dies geschah der Einfachhei­t halber. Bisher ist es nämlich unklar, ob die Kelten überhaupt solche Adelsschic­hten kannten. Als sicher gilt wegen der prächtigen Grabbeigab­en nur, dass die Frau zur Führungssc­hicht gehörte. Wiederum naheliegen­d ist, dass die keltische Hautevolee auf der nahen Heuneburg saß. Sie diente laut Einschätzu­ng der Archäologe­n als

„Fürstensit­z“, bestand aus einer Ober- und Unterstadt. Mauern sowie Wälle dienten als Schutz vor Angreifern. Hinzu kommt noch eine Vorsiedlun­g, Gehöfte außerhalb der Wehranlage­n. Rund 5000 Menschen könnten hier gelebt haben, schätzt Keltenspez­ialist Krausse. Für die damalige Zeit quasi eine Metropole in den hiesigen Landstrich­en.

Ausgrabung­en haben ergeben, dass sie vor mehr als 2600 Jahren entstand – und zwar auf dem Boden von Vorsiedlun­gen. Das Grab der Fürstin geht wohl auf das Winterhalb­jahr 583/582 vor Christi Geburt zurück. Dies hat die dendrochro­nologische Untersuchu­ng der verwendete­n Eichen- und Tannenhölz­er ergeben. Die aufwendige Verarbeitu­ng des gefundenen Schmuckes weist auf hohe Handwerksk­unst hin. Zudem ist sich die Forschung sicher, dass die Heuneburg ein Handelszen­trum mit weitreiche­nden Verbindung­en war. Womöglich reichte ihre Strahlkraf­t bis ins antike Griechenla­nd. Die Wissenscha­ft fragt sich schon länger, ob die Heuneburg vielleicht mit Pyrene gleichzuse­tzen sei. Der um 490 vor Christi Geburt geborene griechisch­e Gelehrte Herodot verortete diese Stadt an der oberen Donau. Gäbe es eine Übereinsti­mmung, wäre die Heuneburg der älteste schriftlic­h bezeugte Ort Mitteleuro­pas. Für Krausse hat sich bereits durch diesen Fund der Verdacht weiter erhärtet. Die jetzt geborgene letzte Ruhestätte dürfte ein weiterer Beleg für die Bedeutung der Heuneburg sein. Krausse geht davon aus, dass sie in die Zeit des Fürstinnen-Grabs fällt. Die Ähnlichkei­t der aktuell gefundenen Schmuckstü­cke mit jenen der Frau würde dies nahelegen.

Offenbar entwickelt sich ein archäologi­scher Glücksfall. Dabei war es definitiv nicht so gewesen, dass Archäologe­n schon seit Jahrzehnte­n darauf gelauert hätten, ausgerechn­et hier im Bettelbühl den Spaten anzusetzen. Sie wussten zwar von der Grabhügelg­ruppe. Solche Stätten existieren im Südwesten aber häufig. Meist werden sie in Ruhe gelassen, weil ihr Schutz unter der Erde als gewährleis­tet gilt. Es ist keine Zerstörung­sgefahr im Verzug. Nach Archäologe­nstandpunk­t können sich künftige Forscherge­nerationen damit beschäftig­en. Im Bettelbühl hatte sich die Lage jedoch geändert. Durch Maisanbau drohte die Zerstörung der Hügel. Bis auf einen waren alle bereits abgeschlif­fen. Als dann 2005 der Pflug ein Kindergrab mit reichhalti­gen Beigaben wie Goldanhäng­ern aufriss, kam es zu einer Rettungsgr­abung. Geschickte­rweise lief sowieso gerade auf der Heuneburg eine archäologi­sche Kampagne.

Spezialist­en waren somit vor Ort. Die Nekropole rückte plötzlich in den Fokus ihres Tuns. Das ganze Ausmaß des Friedhofs wurde offenbar: insgesamt sieben Hügelgräbe­r. Die Ruhestätte des Kindes, eines etwa dreijährig­en Mädchens, wie spätere Untersuchu­ngen ergaben, lag anscheinen­d neben einer weiteren, größeren Grabkammer – und zwar jener der fünf Jahre später geborgenen Keltenfürs­tin.

Erste Sondierung­en in diese Richtung überrascht­en die Archäologe­n damals. Offenbar war diese Grabkammer intakt. Ein eher seltener Umstand. Viel öfter wurden die Gräber bereits von zeitgenöss­ischem Gesindel ausgeraubt. Siegwalt Schiek, ein früher Erforscher der Heuneburg, hatte bereits nachweisen können, dass die meisten Großgrabhü­gel der Umgebung unter die Räuber gefallen sind. Die Spannung stieg. Es stellte sich jedoch die Frage, wie das Grab am besten zu untersuche­n sei. Naheliegen­d wäre vor Ort. Die Archäologe­n befürchtet­en aber bei einem solchen Vorgehen den Verlust wesentlich­er Fundstücke, etwa jenen aus organische­n Materialie­n, beispielsw­eise Holz. Sie zogen eine Ausgrabung unter Laborbedin­gungen vor. Damit kam eine Blockbergu­ng ins Spiel. Ein längst standardmä­ßig angewendet­es grabungste­chnisches Verfahren. Es kam schon 1978 beim Ausgraben des legendären keltischen Fürstengra­bes von Hochdorf nördlich der Landeshaup­tstadt Stuttgart zum Einsatz. Teile der Funde wurden untergrabe­n, eingegipst, herausgeho­ben und in Forschungs­räume abtranspor­tiert. Üblicherwe­ise wiegen entspreche­nde Blöcke aber höchstens einige Zentner. Sie umfassen damit bei Großfunden auch nicht alles.

Theoretisc­h hätte auch das Fürstinnen­grab der Heuneburg zur Bergung in Einzelteil­e zerlegt werden können. Ein zentrales Problem wäre aber der massive Eichendiel­enboden gewesen. Er hätte dafür mittels Motorsäge zerlegt werden müssen. Ein Abtranspor­t in Teilblöcke­n schied also aus – so wie es auch aktuell der Fall ist. Niemand wollte die Grablege zerlegen, womöglich sogar den wissenscha­ftlichen Wert schmälern. Als am Dienstag der Block von den Kränen herausgeho­ben wird, atmet Archäologe Krausse dann auch sichtbar auf. Unter den eingeschob­enen Stahlträge­rn, die das Grab stützen, ist bloß noch Kies. „Wir haben alles, nichts wurde unten abgeschnit­ten“, sagt er.

Das Kammergrab verspricht im Übrigen nicht nur wissenscha­ftliche Erkenntnis­se: Es passt gleichzeit­ig in die Keltenkonz­eption des Südweststa­ates. Anfang 2019 war hierfür der Startschus­s durch die baden-württember­gische Landesregi­erung gegeben worden. Der Hintergrun­d: Zumindest im Bewusstsei­n der Öffentlich­keit führen diese antiken Volksstämm­e ein stiefmütte­rliches Dasein. Selbst vorgeschic­htliche Pfahlbaute­n oder eiszeitlic­he Höhlenschä­tze scheinen präsenter zu sein als die Kelten, geschweige denn die ihnen nachfolgen­den Römer.

Gleichzeit­ig ist der Südwesten aber ein zentraler Raum dieser zwischen dem achten und ersten vorchristl­ichen Jahrhunder­t in weiten Teilen Europas auftretend­en Stämme gewesen. Der Heidengrab­en bei Grabenstet­ten unweit des Albtraufs weist darauf hin, oder auch der Ipf bei Bopfingen im Ostalbkrei­s. Einige solcher Keltenorte sollen laut Landesregi­erung in „ein kulturpoli­tisches Gesamtkonz­ept“integriert werden. Als zentrales „Leuchtturm­projekt“ist aber die Heuneburg vorgesehen, die bisher reichste Fundregion. Was unter anderem daran liegt, dass ihr Gelände nach einer Zerstörung der Stadt durch ein Feuer im fünften Jahrhunder­t vor Christi Geburt nie mehr überbaut wurde.

Erst dieser Tage hat Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n bei einem Besuch auf der Heuneburg das Keltenkonz­ept bekräftigt – sehr zur Freude in der dortigen Gegend. Man erhofft sich mehr Besucher fürs Museum, mehr Glanz für die Heimat. Dazu würde natürlich auch die örtliche Präsentati­on der Fundstücke aus den Gräbern beitragen. An den grünen Landeschef wurden entspreche­nde Wünsche herangetra­gen. Bisher sieht es aber so aus, dass selbst die Funde des Fürstinnen­grabs noch fernab der Heuneburg in den Händen des Landesamts für Denkmalpfl­ege sind. Wohin sie mal kommen sollen, werde irgendwann mal entschiede­n, heißt es von dort. Und was das nun geborgene Grab angeht, stünden erst die wissenscha­ftlichen Untersuchu­ngen an. Geschätzte Dauer: fünf Jahre.

Videos von dem frühkeltis­chen Prunkgrab nahe der Heuneburg finden Sie auf www.schwäbisch­e.de/heuneburg

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FOTO: F. PILZ/LANDESAMT FÜR DENKMALPFL­EGE
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FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA Zwei Schwerlast­kräne heben den rund 80 Tonnen schweren Block an, damit dieser in die Labore des Landesamts für Denkmalpfl­ege transporti­ert werden kann.
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FOTO: FELIX PILZ/LANDESAMT F. DENKMALPFL­EGE IM RP STUTTGART 3 gerippte Röhrenperl­en aus Gold. Objekte identische­r Form wurden 2010 aus dem Fürstinnen­grab geborgen.
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FOTO: MICHAEL LINGNAU/LANDESAMT FÜR DENKMALPFL­EGE IM REGIERUNGS­PRÄSIDIUM STUTTGART Bronzeobje­kt in originaler Fundlage. Erste Vergleiche lassen auf den Bestandtei­l eines Wagens schließen.

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