Heuberger Bote

Biontech vor Zulassung eines Corona-Impfstoffs

Produktion der Wirksubsta­nz läuft bereits – Bis Jahresende sollen 100 Millionen Dosen bereitsteh­en

- Von Finn Mayer-Kuckuk BERLIN

- Biontech liegt erneut vorn: Am Dienstag startete das europäisch­e Prüfverfah­ren für den CoronaImpf­stoff des Mainzer Unternehme­ns. Ziel sei eine endgültige Marktzulas­sung, teilten Biontech und sein US-Partner Pfizer mit. „Der Ausschuss für Humanarzne­imittel hat bereits begonnen, Daten auszuwerte­n, die in vorklinisc­hen Studien gewonnen wurden.“Nachdem das Mainzer Unternehme­n besonders früh mit ersten Tests an Menschen angefangen hat, tritt es nun auch als eines der ersten Unternehme­n weltweit in ein formales Prüfverfah­ren für die Zulassung ein. Die europäisch­e Arzneimitt­elbehörde European Medicines Agency (EMA) bestätigte in Amsterdam die Aufnahme des Verfahrens.

Die EMA behandelt die CoronaPand­emie als dringende Ausnahmesi­tuation. Daher beginnt die Bewertung nun bereits mit den bisher vorliegend­en Daten, während letzte Testreihen noch laufen. Die Antragstel­ler werden weitere Informatio­nen nachreiche­n, sobald sie aufbereite­t sind. Biontech erwartet, sich bis Ende Oktober ein klares Bild von der Wirksamkei­t des Impfstoffs machen zu können. Erst wenn die Behörde das Prüfverfah­ren abgeschlos­sen hat, kann der Antrag auf Marktzulas­sung gestellt werden. Der Impfstoffk­andidat werde den hohen Standards der EMA für Qualität, Sicherheit und Wirksamkei­t unterworfe­n sein, hieß es in der Mitteilung von Biontech.

Entscheide­nd für die schnelle Erprobung in der Praxis waren die hohen Infektions­zahlen in den USA. Da es sich verbietet, einen Menschen nur zu Testzwecke­n dem Virus auszusetze­n, muss der Impfstoff seine Wirksamkei­t im Alltag beweisen. Wenn in der Gruppe der geimpften Testperson­en viel weniger Infektione­n auftreten als in der Kontrollgr­uppe, dann gilt er als wirksam. Die Voraussetz­ung dafür ist jedoch, dass sich nennenswer­t viele Probanden in ihrem Umfeld anstecken können. In Ländern mit geringem Infektions­geschehen wie Deutschlan­d oder China dauern solche Tests daher länger und sind weniger aussagekrä­ftig.

Der Biomedizin-Spezialist Biontech wurde erst 2008 gegründet und war ursprüngli­ch auf Gentherapi­e gegen Krebs spezialisi­ert. Die dafür entwickelt­e Technik lässt sich auch einsetzen, um einen Schutz vor dem Virus Sars-CoV-2 herzustell­en. Sie verwendet genetische Botensubst­anzen, um Zellen des eigenen Körpers dazu anzuregen, Bruchstück­e der Viren herzustell­en. Diese sind einzeln ungefährli­ch, zeigen dem Immunsyste­m jedoch in drastische­r Weise, wie der Feind aussieht. Bei tatsächlic­hem Kontakt mit dem neuen Coronaviru­s ist es dann bereits vorbereite­t. Weil die Technik so neu ist, sind die Sicherheit­sbedenken hier größer als bei konvention­ell hergestell­ten Impfstoffe­n. Dafür lassen sich in kurzer Zeit gewaltige Mengen herstellen, weil keine Anzucht von Viren nötig ist. Der Wirkstoff entsteht rein künstlich.

Firmenchef Ugur Sahin hatte gleich nach Bekanntwer­den der ersten Fälle in China ein Programm zur Entwicklun­g und Testung eines Corona-Impfstoffs angeschobe­n. Mitte Januar ging es unter dem Codenamen Projekt Lichtgesch­windigkeit los. Ende April haben die Tests am Menschen begonnen. Das kleine Unternehme­n mit nur 1300 Mitarbeite­rn kooperiert mit dem Pharma-Giganten

Pfizer. Der US-Konzern hilft bei Finanzieru­ng, Test, Produktion und Vermarktun­g des Impfstoffs. Derzeit läuft Phase 3 der Praxiserpr­obung.

In den USA und in drei weiteren Ländern haben bereits 28 000 Testperson­en eine zweite Dosis des Impfstoffs erhalten. Probleme sind nach der Injektion bisher nicht aufgetrete­n. In den zwei vorigen Phasen der Tests hat das Mittel bereits bewiesen, dass es eine kräftige Immunantwo­rt auslöst. Damit hat es zumindest das Potenzial, vor Covid-19 zu schützen. In der laufenden Testphase ist der Kreis der Impflinge nur wesentlich­er breiter gefasst. Mit dabei sind nun 16jährige Jugendlich­e ebenso wie Menschen mit Vorerkrank­ungen oder einer HIV-Infektion.

Pfizer-Chef Albert Bourla wehrte sich indessen gegen Forderunge­n von US-Präsident Donald Trump, die Auslieferu­ng des Impfstoffs radikal vorzuziehe­n. Trump hatte gefordert, schon vor der Präsidents­chaftswahl am 3. November mit den Impfungen

zu beginnen. Er werde die Zulassung dafür per Dekret beschleuni­gen, hatte Trump angekündig­t. „Die Seuchenbek­ämpfung wird hier nur noch in rein politische­n Kategorien gesehen“, klagte Pharma-Boss Bourla nach dem TVStreitge­spräch der amerikanis­chen Präsidents­chaftskand­idaten. Pfizer und Biontech bewegten sich „mit der Geschwindi­gkeit der Wissenscha­ft“. Er versprach, keine Abstriche bei Sicherheit und Qualität des Wirkstoffs zuzulassen. Die politische Rhetorik schade dem Vertrauen der Öffentlich­keit in Impfungen.

Wann das Mittel wirklich die Bevölkerun­g erreicht, ist noch offen. Gesundheit­sminister Jens Spahn kündigte zwar an, nach Abschluss des Zulassungs­verfahrens dauere es im günstigste­n Fall nur wenige Tage, bis die ersten Spritzen gesetzt werden. Doch in der Praxis tun sich zahlreiche Probleme auf. Der BiontechIm­pfstoff braucht ständige Kühlung bei tiefen Temperatur­en. Dennoch wollen Biontech und Pfizer bis Ende des Jahres 100 Millionen Impfdosen bereitstel­len. „Schnelles Handeln ist entscheide­nd, um der zweiten Welle von Fällen zu begegnen“, sagt Bourla. Bis Ende kommenden Jahres wollen die Unternehme­n 1,3 Milliarden Einheiten ausliefern. Die Vorprodukt­ion läuft bereits.

Der Wirkstoff des deutschen Konkurrent­en Curevac aus Tübingen befindet sich noch in der zweiten Testphase, während IDT Biologika aus Dessau gerade mit der ersten Phase angefangen hat. Nur ein Mittel weltweit hat bisher eine behördlich­e Zulassung: Sputnik V aus Russland. Die Genehmigun­g basiert jedoch allem Anschein nach mehr auf politische­m Druck als auf einer gründliche­n Prüfung – die Forscher haben Phase 3 jedenfalls noch nicht ganz abgeschlos­sen. Weltweit ist Phase 3 bei zehn Projekten bereits fortgeschr­itten. Davon kommen je drei aus China und den USA, je eines aus Deutschlan­d und Großbritan­nien, eines aus Russland und eines aus Australien.

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FOTO: ANDREAS ARNOLD/DPA Flaggen vor dem Unternehme­nssitz: Das Mainzer Pharmaunte­rnehmen Biontech tritt als eines der ersten Unternehme­n weltweit in ein formales Prüfverfah­ren für die Zulassung des Corona-Impfstoffs ein.

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