Biontech vor Zulassung eines Corona-Impfstoffs
Produktion der Wirksubstanz läuft bereits – Bis Jahresende sollen 100 Millionen Dosen bereitstehen
- Biontech liegt erneut vorn: Am Dienstag startete das europäische Prüfverfahren für den CoronaImpfstoff des Mainzer Unternehmens. Ziel sei eine endgültige Marktzulassung, teilten Biontech und sein US-Partner Pfizer mit. „Der Ausschuss für Humanarzneimittel hat bereits begonnen, Daten auszuwerten, die in vorklinischen Studien gewonnen wurden.“Nachdem das Mainzer Unternehmen besonders früh mit ersten Tests an Menschen angefangen hat, tritt es nun auch als eines der ersten Unternehmen weltweit in ein formales Prüfverfahren für die Zulassung ein. Die europäische Arzneimittelbehörde European Medicines Agency (EMA) bestätigte in Amsterdam die Aufnahme des Verfahrens.
Die EMA behandelt die CoronaPandemie als dringende Ausnahmesituation. Daher beginnt die Bewertung nun bereits mit den bisher vorliegenden Daten, während letzte Testreihen noch laufen. Die Antragsteller werden weitere Informationen nachreichen, sobald sie aufbereitet sind. Biontech erwartet, sich bis Ende Oktober ein klares Bild von der Wirksamkeit des Impfstoffs machen zu können. Erst wenn die Behörde das Prüfverfahren abgeschlossen hat, kann der Antrag auf Marktzulassung gestellt werden. Der Impfstoffkandidat werde den hohen Standards der EMA für Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit unterworfen sein, hieß es in der Mitteilung von Biontech.
Entscheidend für die schnelle Erprobung in der Praxis waren die hohen Infektionszahlen in den USA. Da es sich verbietet, einen Menschen nur zu Testzwecken dem Virus auszusetzen, muss der Impfstoff seine Wirksamkeit im Alltag beweisen. Wenn in der Gruppe der geimpften Testpersonen viel weniger Infektionen auftreten als in der Kontrollgruppe, dann gilt er als wirksam. Die Voraussetzung dafür ist jedoch, dass sich nennenswert viele Probanden in ihrem Umfeld anstecken können. In Ländern mit geringem Infektionsgeschehen wie Deutschland oder China dauern solche Tests daher länger und sind weniger aussagekräftig.
Der Biomedizin-Spezialist Biontech wurde erst 2008 gegründet und war ursprünglich auf Gentherapie gegen Krebs spezialisiert. Die dafür entwickelte Technik lässt sich auch einsetzen, um einen Schutz vor dem Virus Sars-CoV-2 herzustellen. Sie verwendet genetische Botensubstanzen, um Zellen des eigenen Körpers dazu anzuregen, Bruchstücke der Viren herzustellen. Diese sind einzeln ungefährlich, zeigen dem Immunsystem jedoch in drastischer Weise, wie der Feind aussieht. Bei tatsächlichem Kontakt mit dem neuen Coronavirus ist es dann bereits vorbereitet. Weil die Technik so neu ist, sind die Sicherheitsbedenken hier größer als bei konventionell hergestellten Impfstoffen. Dafür lassen sich in kurzer Zeit gewaltige Mengen herstellen, weil keine Anzucht von Viren nötig ist. Der Wirkstoff entsteht rein künstlich.
Firmenchef Ugur Sahin hatte gleich nach Bekanntwerden der ersten Fälle in China ein Programm zur Entwicklung und Testung eines Corona-Impfstoffs angeschoben. Mitte Januar ging es unter dem Codenamen Projekt Lichtgeschwindigkeit los. Ende April haben die Tests am Menschen begonnen. Das kleine Unternehmen mit nur 1300 Mitarbeitern kooperiert mit dem Pharma-Giganten
Pfizer. Der US-Konzern hilft bei Finanzierung, Test, Produktion und Vermarktung des Impfstoffs. Derzeit läuft Phase 3 der Praxiserprobung.
In den USA und in drei weiteren Ländern haben bereits 28 000 Testpersonen eine zweite Dosis des Impfstoffs erhalten. Probleme sind nach der Injektion bisher nicht aufgetreten. In den zwei vorigen Phasen der Tests hat das Mittel bereits bewiesen, dass es eine kräftige Immunantwort auslöst. Damit hat es zumindest das Potenzial, vor Covid-19 zu schützen. In der laufenden Testphase ist der Kreis der Impflinge nur wesentlicher breiter gefasst. Mit dabei sind nun 16jährige Jugendliche ebenso wie Menschen mit Vorerkrankungen oder einer HIV-Infektion.
Pfizer-Chef Albert Bourla wehrte sich indessen gegen Forderungen von US-Präsident Donald Trump, die Auslieferung des Impfstoffs radikal vorzuziehen. Trump hatte gefordert, schon vor der Präsidentschaftswahl am 3. November mit den Impfungen
zu beginnen. Er werde die Zulassung dafür per Dekret beschleunigen, hatte Trump angekündigt. „Die Seuchenbekämpfung wird hier nur noch in rein politischen Kategorien gesehen“, klagte Pharma-Boss Bourla nach dem TVStreitgespräch der amerikanischen Präsidentschaftskandidaten. Pfizer und Biontech bewegten sich „mit der Geschwindigkeit der Wissenschaft“. Er versprach, keine Abstriche bei Sicherheit und Qualität des Wirkstoffs zuzulassen. Die politische Rhetorik schade dem Vertrauen der Öffentlichkeit in Impfungen.
Wann das Mittel wirklich die Bevölkerung erreicht, ist noch offen. Gesundheitsminister Jens Spahn kündigte zwar an, nach Abschluss des Zulassungsverfahrens dauere es im günstigsten Fall nur wenige Tage, bis die ersten Spritzen gesetzt werden. Doch in der Praxis tun sich zahlreiche Probleme auf. Der BiontechImpfstoff braucht ständige Kühlung bei tiefen Temperaturen. Dennoch wollen Biontech und Pfizer bis Ende des Jahres 100 Millionen Impfdosen bereitstellen. „Schnelles Handeln ist entscheidend, um der zweiten Welle von Fällen zu begegnen“, sagt Bourla. Bis Ende kommenden Jahres wollen die Unternehmen 1,3 Milliarden Einheiten ausliefern. Die Vorproduktion läuft bereits.
Der Wirkstoff des deutschen Konkurrenten Curevac aus Tübingen befindet sich noch in der zweiten Testphase, während IDT Biologika aus Dessau gerade mit der ersten Phase angefangen hat. Nur ein Mittel weltweit hat bisher eine behördliche Zulassung: Sputnik V aus Russland. Die Genehmigung basiert jedoch allem Anschein nach mehr auf politischem Druck als auf einer gründlichen Prüfung – die Forscher haben Phase 3 jedenfalls noch nicht ganz abgeschlossen. Weltweit ist Phase 3 bei zehn Projekten bereits fortgeschritten. Davon kommen je drei aus China und den USA, je eines aus Deutschland und Großbritannien, eines aus Russland und eines aus Australien.