Heuberger Bote

Serienmörd­er mit dem Hang zur Faulheit

Hilfspfleg­er muss lebenslang in Haft – Tod einer Frau aus Spaichinge­n bleibt ungesühnt

- Von Patrick Stäbler SPAICHINGE­N/MÜNCHEN

– Wegen Mordes an drei Patienten hat das Landgerich­t München einen Hilfspfleg­er zu lebenslang­er Haft mit anschließe­nder Sicherungs­verwahrung verurteilt. Im Fall einer zunächst angeklagte­n Tat in Spaichinge­n gab es jedoch einen Freispruch.

„Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Du bist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“Mit diesen Sätzen von Dietrich Bonhoeffer hatte die Familie von Gisela A. im Sommer 2017 Abschied genommen von der 88-jährigen Frau, die kurz zuvor in ihrem Haus in Spaichinge­n verstorben war. Ein natürliche­r Tod – so dachten damals alle.

Bis einige Monate später ein heute 38-jähriger Hilfspfleg­er aus Polen verhaftet wurde. Der Vorwurf: Er habe mehrere Patienten ermordet, indem er ihnen eine Überdosis Insulin spritzte. Als die Kinder von Gisela A. den Angeklagte­n im Fernsehen sahen, erkannten sie sogleich: Dieser Mann war auch als Hilfspfleg­er ins Haus ihrer Mutter gekommen – zwei Tage vor deren Tod.

Gut drei Jahre später ist Grzegorz W. am Dienstagna­chmittag vom Landgerich­t München wegen dreifachen Mordes zu lebenslang­er Haft verurteilt worden. Überdies stellte das Gericht die besondere Schwere der Schuld fest und ordnete eine anschließe­nde Sicherungs­verwahrung an, deren Dauer unbefriste­t ist. Ob der 38-Jährige jemals wieder auf freien Fuß kommen wird, ist somit fraglich.

Das Urteil nimmt der extrem korpulente Grzegorz W. ohne sichtbare Regung auf – so wie er schon die 47 bisherigen Verhandlun­gstage meist teilnahmsl­os verfolgt hat. Größeres Interesse kam bei ihm bloß auf, wenn es um seine Verpflegun­g ging. So erkundigte er sich gleich am ersten Prozesstag bei der Richterin, wann er denn ein Mittagesse­n bekomme.

Abgesehen von diesen Sorgen wirkte der 38-Jährige völlig gleichgült­ig und als ob er mit dem Leben bereits abgeschlos­sen habe. Eine Aussage hat er im Prozess verweigert. In seinem letzten Wort aber bat er die Angehörige­n um Entschuldi­gung und betonte: „Das, was ich getan habe, ist sehr brutal und bleibt brutal.“

Der Fall Grzegorz W. erinnert an die Taten von Niels Högel, der voriges Jahr vom Landgerich­t Oldenburg wegen Mordes in 85 Fällen zu lebenslang­er Haft verurteilt wurde. Anders als dieser war der 38-Jährige jedoch kein Krankenpfl­eger, sondern arbeitete als 24-Stunden-Betreuungs­kraft. Zuvor hatte der gelernte Schlosser in Polen einen 120-Stunden-Crashkurs zum Hilfspfleg­er absolviert. Schon als Kind war Grzegorz W. auffällig gewesen und hatte mehrere Jahre im Heim gelebt. Später beging er dann diverse Betrugsdel­ikte, deretwegen er in seiner Heimat zu etlichen Haftstrafe­n verurteilt wurde. Von Ende 2009 bis Anfang 2015 saß er sogar durchgehen­d im Gefängnis.

Von alledem erfuhren die Pflegebedü­rftigen und ihre Angehörige­n jedoch nichts, wenn Grzegorz W. – vermittelt von verschiede­nen polnischen, deutschen und slowakisch­en Agenturen – bei ihnen einzog. Von 2015 bis zu seiner Verhaftung 2018 war der 38-Jährige in 69 Haushalten im ganzen Bundesgebi­et tätig, zumeist jedoch nur wenige Tage lang. Denn Grzegorz W. sei nur daran interessie­rt gewesen, „seine finanziell­en Bedürfniss­e mit möglichst geringem Arbeitsauf­wand zu erfüllen“, so formuliert es die Vorsitzend­e Richterin Elisabeth Ehrl. Die Häuser und Wohnungen seiner Patienten durchsucht­e Grzegorz W. nach Bargeld und Schmuck, jedoch klaute er auch so profane Dinge wie Parfum, Klopapier und zwei Klobürsten.

Wollte der 38-Jährige eine Arbeitsste­lle frühzeitig wieder verlassen, erfand er gegenüber seinen Auftraggeb­ern Lügengesch­ichten. In einigen Fällen jedoch griff er zu ungleich drastische­ren Mitteln und spritzte den wehrlosen Pflegebedü­rftigen – um die er sich eigentlich kümmern sollte – eine Überdosis Insulin mit seinem eigenen Insulinpen, den er als Diabetiker besaß. In Mühlheim an der Ruhr, Ottobrunn bei München und im unterfränk­ischen Wiesenbron­n tötete Grzegorz W. auf diese Weise drei seiner Patienten. Mord, urteilte nun das Münchner Landgerich­t, und zwar aus niedrigen Beweggründ­en sowie Habgier. Bei einer weiteren Tat in Weilheim ging das Gericht von versuchtem Mord aus; dazu kamen vier Verurteilu­ngen wegen gefährlich­er Körperverl­etzung.

In drei der ursprüngli­ch sechs angeklagte­n Mordfälle entschied das Gericht dagegen auf Freispruch – darunter der Tod von Gisela A. in Spaichinge­n. Dies hatte zuvor auch die Staatsanwa­ltschaft so beantragt. Ihr zufolge lasse sich in diesen Fällen nicht zweifelsfr­ei nachweisen, dass das Insulin zum Tod geführt habe. Das heiße aber nicht, sagte die Staatsanwä­ltin in ihrem Plädoyer, dass der Angeklagte nicht auch für diese Todesfälle verantwort­lich sein könnte.

Die beantragte­n Freisprüch­e hatten schon im Vorfeld des Urteils mehrere Nebenklage­vertreter heftig kritisiert – darunter auch Bernhard Mussgnug, der die Kinder von Gisela A. vertritt. Der Anwalt aus Tuttlingen hätte sich auch bei dem Fall in Spaichinge­n eine Verurteilu­ng zumindest wegen gefährlich­er Körperverl­etzung erhofft. „Das würde dazu beitragen, dass die Angehörige­n befriedet würden“, sagte Mussgnug.

Ganz generell, so der Anwalt, habe der Prozess in München gezeigt, „wie leichtfert­ig gewisse Agenturen bei der Vermittlun­g von Pflegekräf­ten vorgegange­n sind“. Auch Richterin Elisabeth Ehrl sagte in ihrer Urteilsbeg­ründung zwar, „dass man hier nicht pauschal den Stab über alle 24-Stunden-Betreuungs­kräfte brechen darf “. Jedoch betonte sie zugleich, dass in diesem Bereich der Pflege vieles im Argen liege. „Aber das“, so Ehrl, „ist ein sozial- und gesellscha­ftspolitis­ches Problem, das wir als Gericht nicht lösen können“.

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