Serienmörder mit dem Hang zur Faulheit
Hilfspfleger muss lebenslang in Haft – Tod einer Frau aus Spaichingen bleibt ungesühnt
– Wegen Mordes an drei Patienten hat das Landgericht München einen Hilfspfleger zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Im Fall einer zunächst angeklagten Tat in Spaichingen gab es jedoch einen Freispruch.
„Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Du bist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“Mit diesen Sätzen von Dietrich Bonhoeffer hatte die Familie von Gisela A. im Sommer 2017 Abschied genommen von der 88-jährigen Frau, die kurz zuvor in ihrem Haus in Spaichingen verstorben war. Ein natürlicher Tod – so dachten damals alle.
Bis einige Monate später ein heute 38-jähriger Hilfspfleger aus Polen verhaftet wurde. Der Vorwurf: Er habe mehrere Patienten ermordet, indem er ihnen eine Überdosis Insulin spritzte. Als die Kinder von Gisela A. den Angeklagten im Fernsehen sahen, erkannten sie sogleich: Dieser Mann war auch als Hilfspfleger ins Haus ihrer Mutter gekommen – zwei Tage vor deren Tod.
Gut drei Jahre später ist Grzegorz W. am Dienstagnachmittag vom Landgericht München wegen dreifachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Überdies stellte das Gericht die besondere Schwere der Schuld fest und ordnete eine anschließende Sicherungsverwahrung an, deren Dauer unbefristet ist. Ob der 38-Jährige jemals wieder auf freien Fuß kommen wird, ist somit fraglich.
Das Urteil nimmt der extrem korpulente Grzegorz W. ohne sichtbare Regung auf – so wie er schon die 47 bisherigen Verhandlungstage meist teilnahmslos verfolgt hat. Größeres Interesse kam bei ihm bloß auf, wenn es um seine Verpflegung ging. So erkundigte er sich gleich am ersten Prozesstag bei der Richterin, wann er denn ein Mittagessen bekomme.
Abgesehen von diesen Sorgen wirkte der 38-Jährige völlig gleichgültig und als ob er mit dem Leben bereits abgeschlossen habe. Eine Aussage hat er im Prozess verweigert. In seinem letzten Wort aber bat er die Angehörigen um Entschuldigung und betonte: „Das, was ich getan habe, ist sehr brutal und bleibt brutal.“
Der Fall Grzegorz W. erinnert an die Taten von Niels Högel, der voriges Jahr vom Landgericht Oldenburg wegen Mordes in 85 Fällen zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Anders als dieser war der 38-Jährige jedoch kein Krankenpfleger, sondern arbeitete als 24-Stunden-Betreuungskraft. Zuvor hatte der gelernte Schlosser in Polen einen 120-Stunden-Crashkurs zum Hilfspfleger absolviert. Schon als Kind war Grzegorz W. auffällig gewesen und hatte mehrere Jahre im Heim gelebt. Später beging er dann diverse Betrugsdelikte, deretwegen er in seiner Heimat zu etlichen Haftstrafen verurteilt wurde. Von Ende 2009 bis Anfang 2015 saß er sogar durchgehend im Gefängnis.
Von alledem erfuhren die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen jedoch nichts, wenn Grzegorz W. – vermittelt von verschiedenen polnischen, deutschen und slowakischen Agenturen – bei ihnen einzog. Von 2015 bis zu seiner Verhaftung 2018 war der 38-Jährige in 69 Haushalten im ganzen Bundesgebiet tätig, zumeist jedoch nur wenige Tage lang. Denn Grzegorz W. sei nur daran interessiert gewesen, „seine finanziellen Bedürfnisse mit möglichst geringem Arbeitsaufwand zu erfüllen“, so formuliert es die Vorsitzende Richterin Elisabeth Ehrl. Die Häuser und Wohnungen seiner Patienten durchsuchte Grzegorz W. nach Bargeld und Schmuck, jedoch klaute er auch so profane Dinge wie Parfum, Klopapier und zwei Klobürsten.
Wollte der 38-Jährige eine Arbeitsstelle frühzeitig wieder verlassen, erfand er gegenüber seinen Auftraggebern Lügengeschichten. In einigen Fällen jedoch griff er zu ungleich drastischeren Mitteln und spritzte den wehrlosen Pflegebedürftigen – um die er sich eigentlich kümmern sollte – eine Überdosis Insulin mit seinem eigenen Insulinpen, den er als Diabetiker besaß. In Mühlheim an der Ruhr, Ottobrunn bei München und im unterfränkischen Wiesenbronn tötete Grzegorz W. auf diese Weise drei seiner Patienten. Mord, urteilte nun das Münchner Landgericht, und zwar aus niedrigen Beweggründen sowie Habgier. Bei einer weiteren Tat in Weilheim ging das Gericht von versuchtem Mord aus; dazu kamen vier Verurteilungen wegen gefährlicher Körperverletzung.
In drei der ursprünglich sechs angeklagten Mordfälle entschied das Gericht dagegen auf Freispruch – darunter der Tod von Gisela A. in Spaichingen. Dies hatte zuvor auch die Staatsanwaltschaft so beantragt. Ihr zufolge lasse sich in diesen Fällen nicht zweifelsfrei nachweisen, dass das Insulin zum Tod geführt habe. Das heiße aber nicht, sagte die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer, dass der Angeklagte nicht auch für diese Todesfälle verantwortlich sein könnte.
Die beantragten Freisprüche hatten schon im Vorfeld des Urteils mehrere Nebenklagevertreter heftig kritisiert – darunter auch Bernhard Mussgnug, der die Kinder von Gisela A. vertritt. Der Anwalt aus Tuttlingen hätte sich auch bei dem Fall in Spaichingen eine Verurteilung zumindest wegen gefährlicher Körperverletzung erhofft. „Das würde dazu beitragen, dass die Angehörigen befriedet würden“, sagte Mussgnug.
Ganz generell, so der Anwalt, habe der Prozess in München gezeigt, „wie leichtfertig gewisse Agenturen bei der Vermittlung von Pflegekräften vorgegangen sind“. Auch Richterin Elisabeth Ehrl sagte in ihrer Urteilsbegründung zwar, „dass man hier nicht pauschal den Stab über alle 24-Stunden-Betreuungskräfte brechen darf “. Jedoch betonte sie zugleich, dass in diesem Bereich der Pflege vieles im Argen liege. „Aber das“, so Ehrl, „ist ein sozial- und gesellschaftspolitisches Problem, das wir als Gericht nicht lösen können“.