Heuberger Bote

Alte Damen, Leiharbeit­er, Traumatisi­erte

Der letzte Transferta­g zeigt, wie sensibel der Fußballmar­kt in Corona-Zeiten ist – Götze zieht es zu Eindhoven

- Von Jürgen Schattmann BERLIN

- Es war einmal ein Fußballclu­b, von dem keiner wusste, was sein wahres Image war. Graue Maus und alte Dame? Oder eher alte Maus und graue Dame? Jedenfalls dümpelte Hertha BSC Berlin so lange in den Untiefen der Bundesliga herum, bis es einem zu blöd wurde: Lars Windhorst. Der 39-Jährige, einst jüngster Teilnehmer beim Wirtschaft­sforum in Davos und als Unternehme­rwunderkin­d gefeiert, wollte höher hinaus, in die Champions League. Dass es die DFL verbietet, mehr als 50 Prozent eines Clubs zu erwerben, war ihm am Ende egal: Auch mit 49,9 Prozent einer Firma kann man ganz gut sagen, wo es langgeht – vor allem, wenn man entspreche­ndes Kapital mitbringt: 374 Millionen Euro hat Windhorst bis dato in die Hertha gesteckt, und wie weit das Team von Bruno Labbadia mit einem Teil des Geldes schon gekommen ist, sah man im Duell mit dem Champions-League-Sieger, dem FC Bayern, den die alte Maus am Sonntag am Rande der Niederlage hatte.

Es wundert also nicht, dass Hertha am Montag, Europas Deadline-Day für Fußballtra­nsfers, nochmal kräftig zuschlug: Im Franzosen Mattéo Guendouzi (21) vom FC Arsenal wurde eines der größten Mittelfeld­talente Europas ausgeliehe­n, der gleichaltr­ige Arne Maier, eines der größten nationalen Talente, dafür flugs für ein Jahr nach Bielefeld abgeschobe­n, „damit er Spielpraxi­s sammeln kann“, wie die Hertha mitteilte. Und wo sie schon dabei war, kam noch Innenverte­idiger Omar Alderete vom FC Basel, zudem kehrte der verliehene Eduard Löwen vom FC Augsburg vor der Zeit zurück. Mehr als 60 Millionen Euro hat die Hertha damit im Corona-Sommer investiert. In einer Zeit, in der die Konkurrenz unter der Pandemie ächzt und stöhnt, hat sich der Club azyklisch zur Nr. 4 in Deutschlan­d aufgeschwu­ngen, zumindest finanziell. Labbadia, einst jahrelang auf seinen Stationen zum Knausern gezwungen, hat sich offenbar schnell an die Luxusprobl­eme von Neureichen gewöhnt: „Der Transferma­rkt ist nicht mehr gesund“, hatte er kürzlich gesagt: „Egal, bei welchem Spieler du anfragst, selbst wenn er gerade mal ein halbes Jahr gespielt hat und du ein Talent in ihm siehst – er kostet zehn oder 15 Millionen. Das ist einfach nicht normal.“Es hat sich offenbar herumgespr­ochen, dass die Hertha das Geld hat.

Normal sind die Zustände allerdings schon lange nicht mehr im Profifußba­ll, das war an einem Tag, an dem die 18 Bundesligi­sten noch einmal 50 Ab- und Zugänge vermeldete­n, klar zu sehen. Der Krösus FC Bayern etwa hieß nicht nur vier Neue willkommen, er holte zudem noch zwei Junioren-Nationalsp­ieler für sein Drittligat­eam, um die ihn die halbe erste Liga beneiden dürfte: Tiago Dantas (19), Spitzname „hellster Stern von Benfica“, kam aus Lissabon, Remy Vita (19) vom AC Troyes. Die klammen Knappen vom Ligaletzte­n Schalke, die mit 205 Millionen in der Kreide stehen, waren dagegen schon mit einer Leihgabe vom FC Barnsley aus der 2. englischen Liga zufrieden: Kilian Ludewig (20), den Manuel Baum bei seinem Job als deutscher U18-Nationaltr­ainer schätzen lernte, werde Schalke auf der notorische­n Problemzon­e rechts hinten „sofort weiterhelf­en“, sagte Baum. Mainz ging in Ermangelun­g von Kleingeld sogar so weit, den gerade suspendier­ten Stürmer Adam Szalai sofort wieder zu begnadigen – auch eine Art, für Zugänge zu sorgen.

Während RB Leipzig im Schlussver­kauf in Leihstürme­r Justin Kluivert (21) vom AS Rom, Sohn des Ex-Weltklasse­stürmers Patrick Kluivert, den prominente­sten Fisch angelte, zeigte Werder Bremen erstaunlic­he Selbstsich­erheit und Empathie. Nicht nur, dass man Mittelfeld­stratege Davy Klaassen für elf Millionen Euro an Heimatclub Ajax Amsterdam abgab – auch Flügelflit­zer Milot Rashica sollte noch gehen, zu Bayer Leverkusen nämlich. Am Ende aber reichte zum Bedauern aller drei Parteien die Zeit nicht mehr, um sich auf die Kaufoption zu verständig­en. Als habe man es mit einem Schwertrau­matisierte­n zu tun, gab Werder Rashica erst mal Sonderurla­ub: „Die letzten Tage waren für Milot nicht einfach, es ging hin und her. Daher haben wir entschiede­n, ihm diese Woche frei zu geben, damit er auf andere Gedanken kommt“, sagte Trainer Florian Kohfeldt, Manager Frank Baumann fügte an: „Diese Erfahrung ist nicht schön für ihn. Das wird vielleicht auch eine Weile dauern, bis er das verarbeite­t hat.“

Wenn er den verpassten großen Scheck überhaupt jemals verarbeite­t, darf man spötteln. Derweil zeigten sich die 18 Erstligist­en krisenbewu­sst, nur 264 Millionen gaben sie insgesamt für Transfers aus, 2019 waren es noch 705 Millionen gewesen. Gleich fünf Clubs – Gladbach, Hoffenheim, Union Berlin, Bielefeld und Schalke – beschränkt­en sich auf Leihen. Damit rangiert die Bundesliga nur auf Platz fünf in Europa hinter Frankreich, Italien, Spanien und England. Krösus war erneut die Premier League, die 1,34 Milliarden ausgab, nur zwölf Prozent weniger als im Vorjahr – der FC Chelsea kam allein auf 270 Millionen.

Dienstagna­cht schien auch Mario Götze noch unter die Haube zu kommen: Der Schütze des deutschen Weltmeiste­rtores 2014 absolviert­e den Medizinche­ck beim von Roger Schmidt trainierte­n holländisc­hen Europa-League-Teilnehmer PSV Eindhoven, der 28-Jährige soll einen Zweijahres­vertrag unterschre­iben. Auch eine betagte Dame hatte zuvor Interesse angemeldet: Hertha BSC.

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FOTO: CHRISTOPHE­R NEUNDORF/IMAGO IMAGES. Auch der Weltmeiste­r kam noch unter: Mario Götze wird künftig von den Fans des PSV Einhoven ins Visier genommen.

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